Demo: Sichere Fluchtwege statt Kriminalisierung

„Day Orange“ – bundesweit folgten am 6. Juli Zehntausende dem Aufruf der Seebrücke-Bewegung, für die Rechte von Geflüchteten und die Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen zu demonstrieren. Auch in Kon­stanz zogen mehr als 300 Menschen vom Benediktinerplatz aus über die Radbrücke durch die Innenstadt zur Marktstätte, die lautstark daran erinnerten, dass Seenot­ret­tung kein Verbrechen ist. „Viva Italia – Nieder mit Salvini“ tönte es etwa durch die Straßen, unter Bezug auf die Einlaufverbote des rechtsextremen italienischen Innenministers für Schiffe mit Geretteten an Bord.

Im Zentrum des Protests: Die Abschottungspolitik der Europäischen Union, die an ihren Südgrenzen im Mittelmeer alle Rettungsaktivitäten eingestellt hat. Stattdessen finanziert man eine sogenannte Küstenwache in Libyen, die Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen in Lager pfercht, in denen Folter, Vergewaltigung, Mord, Versklavung und Prostitution an der Tagesordnung sind. Damit nicht genug werden zivile Seenotrettungs-Projekte, die Geflüchtete vor dem Ertrinken retten, strafrechtlich verfolgt, RetterInnen mit drakonischen Strafen bedroht. Zuletzt war Carola Rackete, Kapitänin der Sea Watch 3, von den italienischen Behörden auf Anweisung des Innenministers beim Versuch verhaftet worden, gerettete Geflüchtete an Land in Sicherheit zu bringen. Für die Seenotretterin hatten schon eine Woche zuvor um die 100 KonstanzerInnen demonstriert. Auch wenn Carola Rackete nach einem Gerichtsbeschluss derweil auf freiem Fuß ist, droht ihr für ihr humanistisches Tun weiterhin eine empfindliche Strafe.

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Auf der Marktstätte kritisierten mehrere Redner die EU-Praxis als Verstoß gegen die Menschenrechte und verlangten eine europäische Lösung. Nötig seien sichere und legale Fluchtwege, darunter der Aufbau eigener staatlicher Rettungsstrukturen und ein gerechter Schlüssel für die Aufnahme der vor Krieg, Verfolgung und Elend Fliehenden. Dietmar Messmer vom Bündnis für gerechten Welthandel prangerte in seinem Beitrag unter anderem die Verantwortung der EU für die Umstände an, die Menschen in Afrika und dem Nahen Osten zur Flucht treibt. Die unfaire Handelspolitik der EU-Staaten zerstöre dort häufig die Lebensgrundlagen der Bevölkerung. FGL-Stadtrat Normen Küttner, selbst ausgebildeter Retter, forderte die Stadt Konstanz auf, den Beschluss zum „Sicheren Hafen“ umzusetzen und kündigte einen Antrag seiner Fraktion an den Gemeinderat an, dem kürzlich gegründeten Bündnis „Städte sicherer Häfen“ beizutreten. Küttner hatte Anfang Juni am Kongress der Seebrücke-Bewegung in Berlin teilgenommen, bei dem auf Initiative des Rottenburger Oberbürgermeisters Stephan Neher das Bündnis aufnahmewilliger Kommunen ins Leben gerufen worden war (mehr dazu hier).

Rudy Haenel, auf Asylrecht spezialisierter Rechtsanwalt, geißelte die EU-Politik als völker- und menschenrechtswidrig: Seenotrettung sei nach internationalen Gesetzen Pflicht. Um den Zynismus des Vorgehens zu veranschaulichen, schlug er den Bogen zum heimatlichen Bodensee. Was würden etwa Eltern davon halten, wenn die Wasserschutzpolizei den Hilferuf ihrer bei einer Schlauchbootfahrt in Schwierigkeiten geratenen Kinder nicht nur ignoriere, sondern auch andere Boote daran hindere, zu Hilfe zu eilen. Das Vorgehen der europäischen Autoritäten „macht mich traurig und wütend“, rief Haenel in die Runde der Demonstrierenden, der sich unterdessen auch PassantInnen zugesellt hatten.

Für die Konstanzer Seebrücke-Gruppe forderte abschließend Christian Schroff Taten. Neben dem Beitritt zum Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ müsse sich Konstanz öffentlich gegen die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung positionieren. Sie soll auch die Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff übernehmen oder sich an einer solchen Patenschaft beteiligen. Der Ernstfall, Geretteten einen „sicheren Hafen“ zu bieten, könnte für die Bodenseestadt schon bald eintreten: Aktuell warten 65 vom Sea-Watch-Rettungsschiff Alan Kurdi gerettete Flüchtlinge vor der – von Salvini prompt wieder gesperrten – Küste Italiens auf eine menschenwürdige Aufnahme.

jüg (Fotos: J. Geiger, Konstanzer Seebrücke)


Nachtrag: Am Sonntag hat die Regierung Maltas sich bereiterklärt, die 65 Geretteten an Bord des Rettungsschiffs Alan Kurdi vorübergehend aufzunehmen. Noch auf See wurden sie von der maltesischen Marine übernommen, die sie an Land brachte. Von Malta aus sollen die Menschen nun umgehend auf andere EU-Länder verteilt werden. Herr Burchardt: Klemmen Sie sich ans Telefon.


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