Demokratie live nach Konstanzer Ratsherrenart

Die erste Sitzung des Konstanzer Gemeinderates nach der Sommerpause war kein Lehrbeispiel in Sachen: Demokratie. Der wochenlange Streit um eine Vergrößerung des Lago-Parkhauses fand zwar mit dem denkbar knappen Votum von einer Stimme sein vorläufiges Ende – ein Beispiel für ehrliches, demokratisches Miteinander boten die Ratsherren und – damen aber nicht. Teil eins unseres Berichts aus dem Stadtparlament

Statistik kann auch Spaß machen. Die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte waren äußerst wissbegierig, und Hans-Rudi Fischer, der Leiter des Bürgeramtes, erwies sich als ebenso geduldiger wie auskunftsfreudiger Gesprächspartner, als er den Bericht seiner Behörde vorstellte. So war etwa zu erfahren, dass in Konstanz pro Tag im Schnitt zwei Führerscheine eingezogen werden und dass die Zahl der registrierten Waffen in Konstanz rückläufig sei. Aufgrund strengerer Kontrollen der Waffenaufbewahrung im Gefolge des Amoklaufes von Winnenden seien 612 Waffen zurückgegeben worden. Derzeit gibt es nach Fischers Angaben in Konstanz 694 registrierte Waffenbesitzer mit etwa 3.100 Waffen. Immer noch genug also, um auch noch den letzten Seehasen gleich mehrtausendfach zu erlegen.

Ausländer-Schelte

Nach einem außerordentlich detailreichen Beitrag von Alexander Fecker (CDU), der bei Publikum wie Zuhörerschaft auch mit seinem durchaus humoristischen Potential punkten konnte, sprach Vera Hemm (Linke Liste) die Tätigkeit des Ausländeramtes an. Sie bemängelte aus ihrer Erfahrung den rauen Umgangston gegenüber den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und das fehlende Fingerspitzengefühl mancher Sachbearbeiter gerade beim Ausschöpfen von Ermessensspielräumen.

Sie warf der Verwaltung auch vor, dass Dienstaufsichtsbeschwerden ohne Reaktion geblieben seien. Hans-Rudi Fischer antwortete, in der Ausländerbehörde herrsche (wie auch sonst in der Verwaltung) Personalmangel, und es seien Stellen ausgeschrieben, außerdem wolle man die Sprechstunden durch Terminvereinbarungen ersetzen, davon hoffe man sich eine Entspannung der Lage. Zur Frage der Dienstaufsichtbeschwerden äußerte er sich nicht, was den faden Nachgeschmack hinterlässt, dass hier eine seit längerem herrschende diskriminierende Praxis gegenüber einem der schwächsten Teile der Bevölkerung von der Verwaltungsspitze weitgehend ignoriert wird.

Parkhaus-Party

Richtig zur Sache ging es dann anlässlich der Erweiterung des Lago-Parkhauses. Denn eins war klar: die Sache würde knapp. Der Investor Cornelius Liedtke von der B&L AG kam eigens, um sein Anliegen ganz im Stil des klassischen hanseatischen Kaufmannes zu vertreten. B&L ist in Konstanz sowohl durch das Lago als auch durch die Ulmer Modemeile und den C&A-Bau bekannt. Sein Credo: „Wer einen Bau behindert, schwächt den Wirtschaftsstandort.“ Dass er ausgerechnet im Grünen OB Frank seinen stärksten Befürworter fand, mag jeden überraschen, der sich noch erinnert, wofür die Grünen eigentlich mal angetreten sind. Man erinnere sich, es ging damals um Ökologie und mehr Demokratie. Aber das war wohl im letzten Jahrhundert oder Jahrtausend?

„KoBuBu“ (Konstanzer Bummel-Bus) wurde in der Debatte schnell zum geflügelten Wort, das der literarisch ambitionierte Roland Wallisch (FGL) in seinem Redebeitrag in einer Science-Fiction-Story aufbrachte. In dieser Geschichte fährt eine Familie von außerhalb nach Konstanz, stellt ihr Auto am P+R-Parkplatz ab, fährt mit eben jenem KoBuBu in die Stadt, erledigt ihre Einkäufe, stellt ihr Gepäck in Schließfächern ab, besichtigt das Münster und kehrt ebenso mit dem KoBoBu zu ihrem Auto zurück.

In dieser Welt braucht es keine Parkhäuser, und während der große Philip K. Dick die Frage „träumen Androiden von elektrischen Schafen“ nicht wirklich beantworten konnte, gelang es Wallisch, ein schlüssiges Konstanztopia zu entwerfen, in dem glückliche Familien viel Geld ausgeben können, ohne sich im Auto fortbewegen zu müssen, sofern sie nur Zauberworte wie KoBuBu oder KoBuRa aussprechen können, ohne sich vor Lachen auf die Zunge zu beißen … aber lassen wir das. Wallischs niedliche Utopie hat durchaus etwas für sich: Sie lässt einen nämlich darüber nachdenken, ob es nicht ein Konstanz auch jenseits von Verkehrsstau und Betonierwahn geben könnte, wenn – ja, wenn – man sich denn endlich mal zu einem vernünftigen Verkehrskonzept durchringen könnte, das sich nicht an der Frage orientiert, wo man all‘ die sich ständig (auf scheint’s natürlichem Wege und hinterrücks?) vermehrenden Autos unterbringen kann, sondern sich daran ausrichtet, wie Menschen in dieser Stadt denn vernünftig leben können, wenn sie beispielsweise an der Bodanstraße wohnen oder diese gar gefahrlos überqueren wollen.

Umsatz und Utopie

Es ging nach Ansicht von OB Frank darum, mehr Parkplätze zu schaffen, nachdem das provisorische Parkhaus am Döbele gescheitert war, um so Konstanz als Einkaufs- und Touristenziel attraktiv zu halten. Parallel zum Parkhaus will er eine Begegnungszone am Bahnhof einrichten. Halt: „Begegnungszone“ – sollen sich dort Menschen treffen, um miteinander zu plauschen? „Begegnungszone“ – ein großartiges Wort, dessen Erfinder sicher Häuptling Silberzunge war, denn es geht eigentlich um eine verkehrsberuhigte Geschäftszone, in der die Menschen streßfrei einkaufen können, während die Autos unbemerkt an ihnen vorüber gleiten. Man merkt schon, es geht um Umsatz. Und um Utopie. Oder eine typisch konstanzerische Mischung aus beidem: Irgendwie geht’s schon weiter.

Anselm Venedey (FWG) sah das Parkhaus als notwendiges Signal der Verlässlichkeit dem Einzelhandel gegenüber. Heinrich Everke (FDP) ist ohnehin immer für mehr Parkplätze, und für die CDU vertrat Alexander Fecker die Meinung, dass angesichts des zu 47% aus der Schweiz kommenden Verkehrs ein P+R-System an der neuen Rheinbrücke keine Abhilfe schaffen werde

Jürgen Ruff (SPD) hielt klar dagegen. Für ihn lösen Parkhäuser keine Verkehrsprobleme, sondern schaffen zusätzlichen Verkehr, mehr Staus, mehr Lärm- und Schadstoffemissionen. Holger Reile (Linke Liste) kritisierte, „Ihr Angebot an die Kunden und Besucher dieser Stadt heißt leider immer noch: Fahrt nur rein mit Eurem Blech, irgendwo wird es schon einen Platz dafür geben, auch wenn Ihr erstmal bei laufenden Motoren stundenlang im Stau steht. Diese Politik ist in der Tat rückwärts gewandt und völlig perspektiv- und verantwortungslos.“

Investoren-Bonbon

Nach einigen weiteren Beiträgen kam dann der Investor zu Wort. Cornelius Liedtke betonte, es handele sich nicht um neue Parkplätze, sondern um die „Einhausung“ bereits im Freien bestehender Parkplätze, die jeweils nur bei Überfüllung des bestehenden Parkhauses genutzt würden. Letztlich entstehe hier ein öffentliches Parkhaus, das die öffentliche Hand aber keinen Cent koste. Und er bot dem Gemeinderat ein Bonbon an: Da die öffentliche Hand klamm sei und daher die Begegnungszone am Bahnhof auf absehbare Zeit nicht gebaut werden könne, sei sein Unternehmen bereit, diese Zone mit einem „erheblichen“ sechsstelligen Betrag zu unterstützen. Für ihn – und hier war er ganz der ehrliche hanseatische Kaufmann – sei das Konzilsjubiläum 2014 ein Ereignis, das erhebliches wirtschaftliches Potential in sich berge, und er wolle der Stadt dabei helfen, die verkehrsberuhigte Geschäftszone bis 2014 zu verwirklichen. Cornelius Liedtke sprach offen von Umsatz, nicht von Utopie.

Nun, ein Investor stellt sich also vor den Gemeinderat und bietet ein Geschäft an: Ich kriege ein profitables Parkhaus, und ich helfe Euch aus der erweiterten Portokasse bei der Begegnungszone. Demokratisch gewählte Gemeinderäte sind der Souverän und verstehen sich gemeinhin nicht als ein Haufen von Krämern. Ihnen schwillt der Kamm vor Zorn ob dieses Versuches, eine demokratische, aus ihrem Gewissen heraus getroffene Entscheidung mit Geld zu beeinflussen.

Nichts dergleichen, denn obwohl es noch zahlreiche Wortmeldungen gab, beantragte Ewald Weisschedel (FWG) das Ende der Debatte, das dann auch umgehend von einer knappen Mehrheit beschlossen wurde. Die Abstimmung über die Parkhaus-Erweiterung ergab, was zu erwarten war: 20 Gemeinderätinnen und -räte (die gesamten Gemeinderatsbänke rechts vom OB) geschlossen dafür, 20 (die gesamten Gemeinderatsbänke links vom OB) geschlossen dagegen, auch die Grünen. Ausschlaggebend war damit die Stimme von OB Horst Frank, und der war dafür.

Wie rief Till Seiler (FGL) daraufhin so treffend in den Saal? „Es kann nicht sein, dass Investoren das Wort kriegen, gewählte Räte aber nicht.“ Doch, Till Seiler, das kann durchaus sein, vielleicht muss es das sogar, so bitter es klingt, denn unter diesem (grünen) OB Horst Frank siegt der Umsatz nicht nur über die Utopie, sondern notfalls sogar über die Realität.

Autor: O. Pugliese