Den Arbeitgebern auf die Finger schauen und hauen
4600 Beschäftigte im Landkreis Konstanz könnten vom Mindestlohn, der seit 1.1. gilt, profitieren – acht Prozent der 58 000 Beschäftigten im Landkreis. Noch viel höher liegt der Prozentsatz bei den 25 500 Teilzeitbeschäftigten und 20 900 Minijobbern. Nur: Etliche Arbeitgeber versuchen, sich vor der Umsetzung des neuen Gesetzes zu drücken, wurde auf einer Presse-Konferenz der Gewerkschaften bekannt
Der gestrige Montag war vom DGB zum Aktionstag „Mindestlohn“ erklärt worden. Überall im Ländle wurden Beschäftigte über ihre neuen Rechte aufgeklärt. Denn 8,50 € pro Stunde bedeuten bei einer 39-Stundenwoche und im Schnitt 4,35 Arbeitswochen einen Monatsverdienst von rund 1500€/Woche brutto. „Immer noch nicht üppig“, wie Margrit Zepf, ver.di-Geschäftsführerin Schwarzwald-Bodensee, meint, „gerade angesichts des Preisniveaus am Bodensee. Aber für viele doch ein Gehaltssprung von bis zu 600 Euro. Und dafür lohnt sich schon zu kämpfen“.
Die Tricks der Arbeitgeber
Und Kampf gerade der Betroffenen ist wohl nötig, wenn man sich die Taktik mancher Arbeitgeber anschaut, über die schon nach den ersten zwei Wochen des Mindestlohn-Gesetzes berichtet wird. Zwei Beispiele.
Taxifahrer: Mehrere Taxibetriebe gerade in Konstanz zahlen zwar den Mindestlohn (präzise Daten sind wohl erst zum Monatsende zu erfahren), rechnen aber die Zuschläge, wie z. B. für Nachtfahrten, dagegen. Sodass Konstanzer Taxifahrer, bislang mit einem Stundenlohn von knapp sechs Euro abgespeist, von einer Erhöhung ihres Stundenlohns auf 8,50 kaum etwas übrig behielten.
Zeitungszusteller: Sie sind für eine Übergangszeit vom Mindestlohn ausgenommen. Doch die Schüler, Rentner oder Hausfrauen, die nachts den Südkurier austragen, liefern in den meisten Fällen auch Briefe für den Postzusteller arriva (eine Tochtergesellschaft des Südkuriers) aus und für die sollten die neuen Bestimmungen gelten. Von verschiedenen Zustellern war nun zu erfahren (s. dazu auch die seemoz-Kommentare), dass ihnen neue Arbeitsverträge angeboten würden, die den Mindestlohn unterlaufen.
Auf solche Ungereimtheiten angesprochen, reagierten die in Konstanz auf der gestrigen DGB-Info-Veranstaltung versammelten Gewerkschafter ausgesprochen sauer. Roman Fickler, früher in der Zoll-Abteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ tätig, die solche Gesetzesbrüche aufdecken soll, und heute freigestellter Personalrat der Zoll-Verwaltung, weiß: „Da werden noch zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen auf uns zukommen“. Und Lore Dizinger vom DGB-Kreisvorstand ergänzt: „Dazu aber brauchen die Betroffenen den Mut, Fachleute der Gewerkschaft zu informieren und gegebenenfalls den Streit auch auszutragen“. Das aber, wie Margrit Zepf, selber Arbeitsrechtlerin, an einem Beispiel erläutert, ist so riskant nicht. „Denn Nachtzuschläge zum Beispiel sind im Arbeitszeitgesetz geregelt“.
Es fehlt an Kontrolleuren
Um solche Arbeitgeber-Finten aufzudecken, braucht es aber Kontrolleure. 1600 zusätzliche Prüfer sollen zur detaillierten Prüfung der neu gezahlten Löhne bundesweit eingesetzt werden. „Viel zu wenig“, rechnet Roman Fickler am Beispiel des Hauptzollamtes Singen, das immerhin für die Region zwischen Bad Säckingen und Konstanz zuständig ist, vor: „Auf unser Amt entfallen in den nächsten fünf Jahren damit 4,5 neue Stellen – gleichzeitig gehen aber rund 30 Kolleginnen und Kollegen in Rente oder Pension. Bundesweit werden deshalb zusätzlich 3000 neue Kontrolleure gebraucht und nicht nur 1600“.
Und noch etwas regt die GewerkschafterInnen auf: Noch kurz vor Weihnachten 2014 wurden zusätzliche „Erleichterungen“ ins Mindestlohn-Gesetz geschrieben – beispielsweise wurde die Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten aufgeweicht, wohl, um der Arbeitgeber-Kritik von „unnötigem Bürokratismus“ zu entgehen. „Damit“, so Fickler, „werden den Arbeitgebern neue Hintertürchen geöffnet. Schwarze Schafe können weiter betrügen und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.“
Den Arbeitgebern auf die Finger schauen und nötigenfalls auch auf die Finger hauen, darauf kommt es jetzt bei der Umsetzung das Mindestlohn-Gesetzes an. „Wer gegen das neue Gesetz verstößt, begeht kein Kavaliersdelikt,“ warnt Lore Dizinger. Wem Verstöße nachgewiesen werden, müsse mit bis zu 500 000 Euro Geldbußen rechnen. Und Margrit Zepf ergänzt: „Beschäftigte sind gut beraten, sich Aufzeichnungen über ihre geleisteten Arbeitsstunden zu machen. Wem der gesetzliche Mindestlohn vorenthalten wird, kann noch bis zu drei Jahren später Klage einreichen“.
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Autor: hpk
Weiterer Text zum Thema:
02.07. 2014: Der Südkurier, seine Zusteller und der Mindestlohn