Den Leuten stinkt’s gewaltig
Die Gemeinderatssitzung letzten Donnerstag wurde von der Bürgerfragestunde dominiert. Die „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ machten in Sachen Büdingen mächtig Alarm und geigten der Verwaltung ordentlich ihre Meinung. Geholfen hat‘s nichts, denn die Verwaltung ihrerseits verwies mit Nachdruck auf die geltende Rechtslage, durch die ihr die Hände gebunden seien. Das heilt die Gemüter kaum, denn es ist abzusehen, dass die traumatisierenden Angriffe auf die Natur kein Ende nehmen werden …
Es ist erstaunlich, so berichtete eine sichtlich gleichermaßen gerührte wie aufgewühlte Maria Claudia Weber dem Gemeinderat, was ihre BürgerInnen-Initiative innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt hat. In nur einer Woche hat das wackere Häuflein erstaunliche 1190 Unterschriften gegen die Baumfällungen auf dem Büdingen-Areal, für eine transparente Politik der Stadtverwaltung und gegen die Pflichtvergessenheit des Oberbürgermeisters gesammelt.
Diese Unterschriften wurden gestern dem Oberbürgermeister öffentlich übergeben, und dabei gab es eine spannende atmosphärische Störung am Rande. Üblicherweise pflegt bei einer solchen Unterschriftenübergabe der OB mit den Übergebenden vor den Kameras der Lokalpresse Hand in Hand zu posieren. Aber dieses Mal trat Uli Burchardt beim Übergaberitual überraschend einen Schritt zurück, weil er den Eindruck hatte, die Bürgerinitiative wünsche kein gemeinsames Foto mit ihm. Dies stellte sich dann zwar als Missverständnis heraus, es zeigt aber deutlich, wie aufgewühlt die Gemüter derzeit sind und wie sehr die Volksseele brodelt.
Antworten auf den offenen Brief
Die Initiative „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ hatte vor einigen Tagen einen offenen Brief mit Fragen an die Verwaltung gerichtet, der hier nachzulesen ist. Am gestrigen Tag nun erhielt die Initiative um 16 Uhr eine Antwort der Verwaltung, also just zu Beginn der Gemeinderatssitzung. Es klang an, dass einige InitiativlerInnen davon ausgehen, dass der Termin für die Antwort bewusst so gewählt wurde, damit sich die Initiative für die Gemeinderatssitzung nicht mehr vernünftig mit diesem Antwortschreiben auseinandersetzen konnte. Aber sei’s drum, die Verwaltung erwies sich gestern als ungewöhnlich diskussionsfreudig.
Bäume müssen sterben für den Profit
Die Fragen der InitiativlerInnen in der Bürgerfragestunde waren im Wesentlichen die aus besagtem Brief. Sie lassen sich so zusammenfassen:
1. Warum wurden die zahlreichen Einwendungen an die Adresse der Stadtverwaltung nicht einzeln beantwortet, sondern pauschal, so dass etliche die Antwort auf ihr Anliegen nur vom Hausverwalter erhielten? Diese Frage ging im weiteren Verlauf unter und blieb unbeantwortet.
2. Warum wurden die AnliegerInnen nicht informiert, bevor mit dem Fällen von mehr als 50 Bäumen begonnen wurde? Schließlich sind ein solcher Anblick und vor allem das Geräusch der Säge, die den unschuldigen Gewächsen das Lied vom Tod spielt, emotional kaum zu ertragen, denn es ist „markerschütternd zu sehen, wie diese Baumriesen zuerst schwankten und dann für immer fielen“.
3. Wenn auf Büdingen für die Baustelle des Hotelneubaus Grundwasser abgepumpt wird, sinkt der Grundwasserspiegel in der Umgebung, was zu Rissen in den benachbarten Häusern führen kann. Weshalb verpflichtet die Stadt den Bauherrn nicht, ein Beweissicherungsverfahren durchzuführen, so dass man hinterher genau sieht, welche Schäden er verursacht hat?
4. Die Abluft sollte bisher über das Dach des Hotelneubaus entsorgt werden, jetzt ist aber die Rede davon, sie solle unten aus dem Gebäude ausgestoßen werden, so dass mit Geruchsbelästigung zu rechnen ist – wie erklärt sich das?
„Unser Vertrauen in die Stadtverwaltung und ihre zuständigen Gremien ist auf Grund der geschilderten Vorkommnisse und Versäumnisse tief erschüttert. Wir wollen mit unseren berechtigten Anliegen und Sorgen gehört und ernst genommen werden“, hatten die InitiantInnen in ihrem Schreiben eine Bilanz ihres bisherigen Engagements gezogen.
Was Recht ist, bleibt recht
Der Oberbürgermeister nahm die Linie der Verwaltung vorweg: Der Hotelbau auf Büdingen sei keine politische Frage, bei der etwa er oder der Gemeinderat etwas mitzureden hätten. Es gehe hier vielmehr um eine rein juristische Angelegenheit, denn seit 1987 bestehe für dieses Gelände ein gerichtlich bestätigtes Baurecht. Damit übergab er das Wort an Andreas Napel vom Baurechts- und Denkmalamt der Stadt. Und jetzt wurde es kompliziert, was nicht an Napel lag, sondern daran, dass das unglaublich komplizierte Baurecht, die Kommunalpolitik und das schlichte Rechtsempfinden betroffener Nachbarn drei extrem verschiedene Welten sind. Die weit verbreitete Ansicht, der OB oder der Gemeinderat könne einfach bestimmen, das Scala-Kino müsse erhalten oder der Hotelkomplex Büdingen ungebaut bleiben, wurden von der Verwaltung ausdrücklich zurückgewiesen. Der OB sagte gar, er sei seiner Erinnerung nach noch nie in Napels Büro gewesen. Zwischenruf aus dem Publikum: „Dann wird’s aber Zeit!“
Napel gab zuerst einmal einen Rückblick auf die jüngere Rechtsgeschichte des Büdingen-Areals. Danach wurde bereits vor rund 30 Jahren ein Bauantrag für ein Hotel auf diesem Gelände gestellt, und die Stadt lehnte diesen Antrag damals ab. Die Sache ging dann durch die gerichtlichen Instanzen bis zur allerhöchsten, dem Bundesverwaltungsgericht, und dort unterlag die Stadt und wurde verpflichtet, das Bauvorhaben zu genehmigen. Letztlich musste sie damals aufgrund ihrer Ablehnung der Baugenehmigung einen Schadensersatz von 3,5 Millionen D-Mark zahlen (nach heutiger Währung etwa 1,8 Millionen Euro, nach heutiger Kaufkraft etwa 3,1 Millionen Euro). Außerdem musste die Stadt 1991 die Baugenehmigung für ein Hotel erteilen, das 100 Zimmer größer war als das heute geplante. Diese Baugenehmigung ist noch heute gültig, man könne sich also glücklich schätzen, dass der Bauherr seine Möglichkeiten nicht mal ganz auszuschöpfen gedenke. Nach Aussagen der Verwaltung jedenfalls sind auf dem Gelände 200 Zimmer plus 141 Stellplätze für Autos erlaubt (man braucht wohl deshalb weniger Stellplätze als Räume, weil in Hotels der gehobenen Preisklasse etliche Leute ihre Autos mit aufs Zimmer nehmen).
Quintessenz: Ob es diesen Bau geben wird oder nicht, steht nicht im Belieben der Stadt oder des Baurechtsamtes oder wessen auch immer, sondern wird durch Gesetze und Rechtsprechung festgelegt und erzwungen.
Haut sie einfach um
Was ist mit der Fällgenehmigung für die Bäume? Warum wurde die Nachbarschaft nicht beteiligt oder informiert, zumal ja beim Regierungspräsidium in Freiburg Einwände vorliegen, über die noch gar nicht entschieden wurde, so dass hier schnell und heimlich Tatsachen geschaffen wurden? Der Grund ist laut Napel einfach: Die Fällgenehmigung ist nicht Ausfluss des Baurechts, sondern folgt der Baumschutzsatzung der Stadt Konstanz, und diese sieht keine Information der NachbarInnen vor. Zwischenruferin aus dem Publikum: „Wir müssen aber beim Fällen nicht mithelfen?“
Auf Spurensuche
Eine Grundwasserabsenkung mit der Gefahr eventueller Schäden an den Nachbargebäuden ist laut Napel nur dann möglich, wenn der Bauherr eine entsprechende Zusatzgenehmigung vom Landratsamt einholt, sie ist also genehmigungspflichtig, aber wiederum nicht Sache der städtischen Stellen. Doch es liege ja im Interesse des Bauherrn, eine Beweissicherung vorzunehmen, um spätere falsche Entschädigungsansprüche aus der (man muss „verlogenen und habgierigen“ mitdenken) Nachbarschaft abwehren zu können. Wenn der Unterzeichnete es richtig verstanden hat, geht es bei einem solchen Verfahren darum, vor Beginn der Baumaßnahmen festzustellen, welche Risse in den umliegenden Häusern bereits vorhanden sind, so dass sich später genau sagen lässt, welche tatsächlich erst durch den Neubau hinzugekommen sind.
Dicke Luft im Nobelviertel
Was die dicke Luft anbelangt, so soll sie ungesehen und ungerochen entweichen, wenn man Napel Glauben schenken will. Es wird auf dem Dach nur fingerlange Einrichtungen geben, die nicht in Erscheinung treten dürfen, und Abluftrohre im Bereich der Tiefgarage seien auch nicht geplant.
Isabel Perabo, ebenfalls eine Mitunterzeichnerin des offenen Briefes, stellte ihm eine politisch brisante Frage: Viele BürgerInnen sehen sich von der Verwaltung bei den geringsten Anlässen bis aufs Blut schikaniert, und der Bauherr auf Büdingen darf jetzt klotzen statt kleckern, weit über jedes ursprünglich genehmigte Maß hinaus. Dem Kapitalisten in den Arsch gekrochen, dem kleinen Mann in den Arsch getreten, meinte sie als erfahrene Kennerin des deutschen Obrigkeitsstaates wohl.
Offensichtlich, das wurde aus Napels Antwort indirekt deutlich, gibt es durchaus Spielräume für die Verwaltung. In diesem Fall habe man mit dem Investor Hans Jürg Buff eine Regelung getroffen, nach der dieser auf einiges verzichte, auf das er rechtlichen Anspruch habe. Das Bauvolumen sei zwar größer als geplant, aber dafür verzichte Buff darauf, die klobige Haustechnik (Klimaanlagen etc.) einfach aufs Dach zu setzen – das sei der Deal.
Auf die anschließende Aufforderung von Frau Perabo, der Gemeinderat möge der Verwaltung doch endlich mal auf die Finger schauen und Druck im Interesse der BürgerInnen machen, antwortete der Oberbürgermeister schließlich höchstselbst. Der Gemeinderat habe keinerlei Einfluss aufs Baurechtsamt, sondern die Rechtsaufsicht liege beim Regierungspräsidium.
Eine neue BürgerInnenbewegung erwacht
Etwa bei diesem Stand war dann Ende der Diskussion mit den massenhaft erschienenen BürgerInnen (vor allem letzteren), die um Büdingen und ein lebenswertes Konstanz kämpfen wollen. Es war zu spüren, dass die meisten Betroffenen mit den Antworten der Verwaltung und dem von ihnen gewählten Gemeinderat nicht zufrieden waren, sondern den Kampf entschlossen weiterführen wollen. Ihnen geht es – wenn man dem Namen der Initiative „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ glauben darf – nicht um eine auf Büdingen beschränkte Kirchturmspolitik, sondern um das Wohl aller KonstanzerInnen in allen Stadtteilen. Hier entsteht derzeit anscheinend eine mächtige, auf viele kommende Jahre höchst aktive Bürgerbewegung, die für einmal nicht Partikularinteressen vertritt, sondern mit viel Fleiß und großem finanziellen Opfermut für eine komplett andere, auf Generationen hinaus nachhaltige Bau- und Bodenpolitik in Konstanz eintreten wird.
O. Pugliese
Wir sollten uns Sorgen machen!
Sorgen, um die Protestkultur in Konstanz.
Sorgen, um die Motive, die zu „Protest“ führen.
Aber bitte, liebe ProtestlerInnen, seien Sie beruhigt.
Wikipedia definiert es treffend: …Im allgemeinen Sinn des Wortes kann
„Protest“ auch eine Verteidigung von Privilegien mittlerer oder oberer Gesellschaftsschichten umfassen.
Es ist also alles in Ordnung !??
Zum Thema „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“,ein lesenswerter Auszug aus den heutigen „Nachdenkseiten“:
„Stephen Hodes ist Tourismusmanager – und kämpft gegen den wachsenden Städtetourismus. Er fordert Reiselimits und Obergrenzen. Auch für Berlin. Ein Interview. […]
Gerade Europa als größtes Tourismusziel der Welt ist stark gefährdet. Wir sind nur noch zehn Jahre davon entfernt, unsere attraktivsten Städte in Disneyland-Parks zur verwandeln.
Was ist so schlimm an ein paar Souvenirläden?
Städtetourismus wird zum Problem, wenn die Balance aus dem Gleichgewicht gerät und die Besucher dominieren. Die Touristen zerstören den Funktionsmix, der für die Einwohner lebensnotwendig ist. Warum sind Amsterdam und Berlin denn so beliebt? Wegen der Mischnutzung?
Exakt. Die Menschen leben, arbeiten und spielen hier. Es gibt Unternehmen und Start-ups, Sozialwohnungen und teure Dachgeschosse. Wenn diese Mischung verloren geht, wird eine Stadt weniger lebenswert. Und je touristischer es wird, desto stärker steigen die Gewerbemieten. Gerade im Zentrum. Dann verschwinden kleine Geschäfte, Praxen oder Nachbarschaftstreffs. Stattdessen breiten sich große Ketten aus, die solche Preise zahlen können. Diese Ketten gehören oft Konzernen aus der Tourismus- und Freizeitindustrie, die die gleichen Sightseeingbusse, Hostels und Geschäfte in Lissabon oder London betreiben. Das Ergebnis sind uniforme Stadtzentren, die nur auf Besucher ausgerichtet sind.
Der Tourismus ist in vielen Städten einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren, auch in Berlin.
Wenn man etwas genauer hinschaut, relativiert sich das. Die wirtschaftlichen Interessen der Branche kollidieren zunehmend mit den alltäglichen Bedürfnissen der Bewohner. Die Stadtverwaltungen müssen aktiv werden, bevor es zu spät ist. Als Startpunkt benötigen sie einen völlig neuen Ansatz in Sachen Tourismusmanagement. Viele zählen nur die Einnahmen. Sie müssen den Tourismus aber auf seine Auswirkungen auf Wirtschaft, Ökologie und Soziales bewerten. Und da sieht es nicht gut aus.
Dann rechnen Sie das mal vor.
Einer der größten Verursacher des Klimawandels sind Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe. In den Städten bedeutet Tourismus mehr Müll und mehr Wasserverbrauch. Außerdem ebnet er den Weg für eine wirtschaftliche Monokultur, in der es zum großen Teil schlecht bezahlte Jobs für Geringqualifizierte gibt. Wenn eine Stadt erst einmal ökonomisch vom Tourismus abhängig wird wie Venedig, gibt es keinen Weg zurück mehr.
Quelle: Tagesspiegel“
In Konstanz, auch wenn alles eine Nr. kleiner ist, spielt sich obengenanntes ähnlich ab. Statt nur Touristen haben wir es zusätzlich mit Einkaufstouristen zu tun.
Wir BürgerInnen müssen nicht nur wachwerden oder wachsam sein, sondern wieder auf die Straße, in die Räume, wo die Verantwortlichen untätig sind oder bleiben wollen.
Wie lange haben wir darauf gewartet, dass die Konstanzer Bürger*innen endlich erwachen und gemeinsam aufstehen gegen die verfehlte und maßlose Baupolitik. Weiter so!