Der Bahnhof muss besser werden
Manche Sitzung des Gemeinderates zeigt nicht nur auf, was in der Stadt gerade passiert, sondern lässt auch erahnen, was in Zukunft passieren könnte oder sollte. Ein zentrales Thema sind dabei seit langem schon der Zustand des Konstanzer Bahnhofes und die an Spitzentagen desolate Verkehrssituation in der Konstanzer Innenstadt. Gegen ersteren machten einige Bürger mobil, und für letztere opfern junge Verkehrskadetten einen gerüttet Teil ihrer Freizeit, wofür der Gemeinderat ihnen dankte
Der Bahnhof soll praktischer werden
In der Bürgerfragestunde, die leider nur zu selten genutzt wird, wurde es endlich mal wieder turbulent, als mehrere engagierte Bürgerinnen und Bürger gemeinsam ans Mikrophon traten und rollten, um dem Gemeinderat einmal mehr die missliche Situation des hiesigen Bahnhofs unter die Nase zu reiben. Und sie haben – dessen ist sich auch der Gemeinderat einhellig bewusst – verdammt recht: Dieser Bahnhof ist in seinem heutigen Zustand besonders für Menschen mit einer Behinderung, die dort keinen brauchbaren Bahnübergang und keine barrierefreien Toiletten finden, eine Zumutung. Dass es selbst in der Provinz auch anders geht, zeigen dem unermüdlichen Bahnfahrer ja selbst die Bahnhöfe wesentlich kleinerer und touristisch weniger bedeutsamer Städte wie Singen oder Horb, wo es zumindest Fahrstühle zu den Bahnsteigen gibt. Oberbürgermeister Uli Burchardt jedenfalls versicherte, er sei weiterhin daran, diesem Missstand abzuhelfen, nur sei das leider Sache der Bahn. Er hat jedenfalls die Bahn dazu bewegt, im Juni einen Generalbevollmächtigten nach Konstanz zu entsenden, um über die Lage zu debattieren. Dass das viel bewirkt, darf getrost bezweifelt werden, denn die Bahn war auch bisher nicht bereit, den Konstanzer Bahnhof zu renovieren, und sieht – gerade auch angesichts des finanziellen Drucks, unter dem sie im Hinblick auf ihre geplante Privatisierung steht – die Stadt in der finanziellen Pflicht, getreu dem alten Sinnspruch, wer die Musik bezahlt darf auch bestimmen, was gespielt wird.
Ein Held der gemeinderätlichen Arbeit
Jürgen Ruff (SPD) wurde für seine zehnjährige Mitgliedschaft im Gemeinderat eigens mit einer Flasche Wein geehrt (Rufe von allen Seiten: „kalt stellen“) und hielt eine offenherzige Dankesrede, die denn doch ein wenig Skepsis verriet, was die Mechanismen innerörtlicher Demokratie anbelangt. Er beklagte nicht nur, dass die Arbeit der Gemeinderätinnen und -räte exponentiell zugenommen hat, so dass es sich ein normal arbeitender Mensch zeitlich gar nicht leisten kann, dem Gemeinderat anzugehören, der dadurch immer weniger ein adäquates Abbild der Gesellschaft ist. Vor allem hat Dr. Ruff in diesem Jahrzehnt zweierlei gelernt, nämlich dass es 1. wichtiger als alle Arbeit in Ausschüssen und Räten ist, die richtigen Leute zu kennen, wenn man etwas durchsetzen will, und dass 2. im politischen Tagesgeschäft der Holzhammer wirkungsvoller als eine differenzierte, argumentenschwangere Diskussion bleibt.
Sollte das etwa daran liegen, dass Dr. Ruff in der falschen Fraktion ist? Anders als in den Räumlichkeiten der SPD brennt im Fraktionszimmer der emsigen CDU oft mitten in der Nacht noch ein Licht, wenn dort leidenschaftlich über die Feinheiten der aristotelischen Logik gestritten wird. Diese differenzierten Debatten haben auch das Sensorium des CDU-Granden Alexander Fecker für die Anliegen des Volkes sichtlich geschärft. Jedenfalls deutete er an, worum es in den nächsten Jahren in der Kommunalpolitik wieder einmal gehen könnte: Während der Gemeinderat nämlich dem Baubürgermeister Kurt Werner die Leviten las, weil der noch immer keine vernünftigen Vorschläge für eine mögliche Nutzung des Vincentius-Areals vorgelegt hat, sah Fecker schon weiter in die Zukunft und philosophierte darüber, ob die neue Veranstaltungshalle (das vom Stimmvolk abgelehnte Konzert- und Kongresshaus hat also schon einen neuen Namen bekommen!) vom Volke wohl eher auf dem Vincentius-Gelände oder am Seerhein gewünscht werde. Da brüten offenkundig die Bürgerlichen etwas aus, das in Konstanz in einigen Jahren wieder für brennende Barrikaden sorgen könnte. Mal schauen, wie lange es noch dauert, bis die CDU-Herren sich ein neues Volk wählen, das doch noch ihrem Konzert- und Kongresshaus zustimmt.
Dank an die Verkehrskadetten
Es gibt Dinge, die sind so typisch deutsch, dass man sie im Ausland niemandem vermitteln kann: Versuchen sie doch etwa mal in Brasilien oder China zu erklären, die Rechtschreibung werde in Deutschland per Gesetz festgelegt und mindestens einmal im Jahrhundert nach jahrzehntelangen Debatten geändert, in denen die Bayern durchsetzen, dass „in heiligem Zorn“ klein, „Heiliger Vater“ aber groß geschrieben wird. Oder dass man in Deutschland eine Extrasteuer zahlen muss, wenn man einer christlichen Kirche angehört, oder … Zu diesen landestypischen Errungenschaften jedenfalls zählt vermutlich auch die Verkehrswacht, sozusagen die irdische Streitmacht des ADAC und der deutschen Automobilindustrie, und deren sichtbarste Truppe sind die Verkehrskadetten. Genau diese wurden vom Gemeinderat in der Sitzung am Donnerstag für ihren ehrenamtlichen Einsatz bedankt, und Kadett Dennis Adelmann gab im orangeroten Kampfanzug einen Überblick über die Leistungen seiner Gruppe, die in diesem Jahr bereits 2000 Stunden freiwilliger Arbeit geleistet hat. Der Schwur dieser Gemeinschaft von rund zwei Dutzend jungen Menschen des Wachtbezirks Hegau-Konstanz ist „fließender Verkehr für alle“ und im Einkaufsverkehr am Samstag notfalls auch mal „stockender Verkehr ist besser als ruhender Verkehr“. Jedenfalls stürzen sich diese Recken und gelegentlich auch Reckinnen jeweils mit einer quietschbunten Weste gekleidet ins Getümmel, um den besonders an den Wochenenden oder bei Großveranstaltungen zusammenbrechenden Konstanzer Verkehr durch Handzeichen zu regeln, und sie verweisen Voller Stolz darauf, dass der Unterschied zwischen ihnen und einer Schranke darin besteht, dass die Schränke nicht lächelt.
Diese Gelegenheit ließ sich auch Daniel Schlatter, der das Konstanzer Stadtmarketing in Verkehrsfragen unterstützt, nicht entgehen, ausgiebiger als nötig die Verdienste des Stadtmarketings um das Wohl der Autofahrer zu rühmen. Man gewann den vermutlich trügerischen Eindruck, dass in diesen Kreisen „Verkehr“ ein Synonym für „Auto“ ist, während muskelbetriebene Zweiräder gar nicht und Fußgänger bestenfalls als Verkehrsopfer auftauchen, die gerade auf dem Wege zu ihrem Auto waren, als sie eines natürlichen Todes unter den Rädern ihres Nächsten starben. Schlatters Auftritt geriet jedenfalls derart langatmig und troff derart vor Eigenlob, dass die umtriebigen Verkehrskadetten, um die es eigentlich gehen sollte, schnell vergessen waren.
Sei’s drum, der Oberbürgermeister jedenfalls hatte die Verkehrskadetten und -kadettinnen nicht vergessen, sondern überreichte ihnen nach dem Ende der schlatterschen Darbietung eigenhändig je ein kleines Beutelchen, das genauso aussah wie jene Beutelchen, in denen man früher seinen Tabak und anderes Rauchkraut am Gürtel mit sich zu führen pflegte. Das mag diese jungen Leute daran erinnern, dass man nicht nur von Autoabgasen, sondern auch vom Rauchen eine schwarze Lunge kriegen kann.
O. Pugliese
hallo metapha,
ihrer auffassung, die stadt konstanz habe es gegenüber der bahn an dem nötigen verhandlungsgeschick fehlen lassen, muss ich widersprechen. da machen sie es sich zu einfach. sicher hat die konstanzer stadtverwaltung bisweilen einen kurs gefahren, der manchmal etwas holprig war. fakt aber ist: wer die bahn als vermeintlichen partner hat, braucht keine feinde mehr. den strippenziehern bei der db ist es weitgehend egal, wie es um den zustand ihrer regionalbahnhöfe bestellt ist. man schaue sich nur um im ländle und es graust sprichwörtlich der sau. des öfteren schon stießen wir als gemeinderat auf beton, wenn es darum ging, mit der bahn vernünftige konzepte zu erarbeiten und diese auch paritätisch zu finanzieren. das irrsinnsprojekt s21 steht bei der db leider immer noch ganz oben auf der liste, zum nachteil vieler bahnhöfe in baden-württemberg und ihrer kunden.
h.reile
vor gut 1 Jahr war dieses Thema bereits auf der Tagesordnung einer GR Sitzung im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Konziljubiläum. Die Reaktionen des GR auf die Absage der DB zu den von Konstanz geforderten Baumasssnahmen und dem damals gesteckten Zeitfenster (2 Jahre) waren schon irgendwie trolling.
Statt die eigenen Versäumnisse der letzen 15 Jahre zu bemängeln, pikierte sich der GR über die Entscheidung der DB, die Stadt Konstanz an den Kosten zu beteiligen. Die Stadt Konstanz sollte sich seinerzeit an den Folgekosten für Energie und Instandhaltung – explizit der geforderten Aufzüge – beteiligen, resp. diese übernehmen. Stattdessen fabulierte man über die Ungerechtigkeit der DB, in Radolfzell die Kosten einer Unterführung vollständig zu übernehmen und in Konstanz nicht… ( Dort wurden von Seiten Radolfzell allerdings auch keine „Vorgaben“ und Wünsche Richtung DB gemacht )
Wenn Konstanz – und hier der GR – längerfristig denken würden, ließe sich eine Realisierung in 2 bis 3 Bauetappen schon längst durchführen.
Die Unterführund von Gleis 1(b) bis 2(b) und 3(b) im Ersten Bauabschnitt mit Anbindung mittels zeitgemäßer Aufzüge zu den Gleisen. Im Bauabschnitt 2 die Weiterführung unter dem Bahnhofsplatz zur Bahnhofstraße hin mit z. B. Rolltreppen oder Rollbändern nebst Treppenaufgang und im Bauabschnitt 3 der Durchstich zum See hin – wie von den GR erträumt.
Ganz nebenbei würde die unsägliche „Begegnungszone“ dadurch an Brisanz und Gefahr verlieren.
Herr Moersch,
Sie haben absolut Recht
….Oberbürgermeister Uli Burchardt jedenfalls versicherte, er sei weiterhin daran, diesem Missstand abzuhelfen, nur sei das leider Sache der Bahn. ….
Die Missstände gibt es ja schon ewig und sind wohl älter als der OB selbst. Man sieht immer wieder, wie viel Geld anderswo verschleudert wird, u.a. siehe Bahnbrücke. Der Bahnhof wird uns wahrscheinlich für immer erhalten bleiben. Warum kommt die Stadt der Bahn nicht entgegen und übernimmt evtl. die Hälfte oder sogar die ganzen Kosten, um die Missstände endlich zu beseitigen?
Sich an die Unfähigkeit der Bahn festzuhalten, sehe ich schon lange nicht mehr zeitgemäß.
Ich will ja hier keinen frustrieren, der grad mal wieder „typisch deutsch“ seufzt – aber Verkehrskadetten sind nun wirklich nicht typisch deutsch. Die gibt’s in der Schweiz seit Jahrzehnten. Diese jugendlichen „Schlangenbändiger“ stehen am Wochenende in der Schweiz bevorzugt dort herum, wo der Einkaufsverkehr am dichtesten ist oder bei Grossveranstaltungen. Ach ja – und nicht einmal die Kirchensteuer ist so richtig typisch deutsch. Auch die gibt’s im direkten südlichen Nachbarland. Typisch deutsch dagegen ist, dass die Kirchensteuer nicht der Bezahlung der Pfarrer und Priester dient, weil die vom Staat und nicht von der Kirche bezahlt werden.