Der Boxer und der Terrorist

20120725-203243.jpgVor einigen Wochen strahlte die ARD – zu leider sehr später Stunde – eine sehenswerte Dokumentation des Filmemachers Eric Friedler aus, die an den wohl begabtesten Boxer der deutschen Nachkriegsgeschichte erinnerte. Es ging um Charles „Charly“ Graf, der zu Beginn der 1970er Jahre auch als „Deutschlands brauner Bomber“ bezeichnet wurde. Schnell boxte er sich nach oben und wurde gefeiert, aber fast genau so schnell ging es auch wieder abwärts

Geboren wurde Charly Graf 1951 im Mannheimer Stadtteil Waldhof, einem sozialen Brennpunkt. Seine Mutter war ungelernte Arbeiterin, sein Vater, ein schwarzer US-Soldat, wurde kurz nach Charlys Geburt in die USA zurück kommandiert. „Mein Leben war immer ein Kampf“, erzählt Graf vor der Kamera.

Seine braune Hautfarbe führte dazu, dass er ausgegrenzt wurde. Was also tun? Er fand Anerkennung im Sport, wurde zuerst deutscher Jugendmeister im Gewichtheben und landete schließlich bei den Boxern. Schnell erkannte man sein Talent und noch vor seinem 18. Geburtstag durfte er mit einer Sondergenehmigung seinen ersten Profikampf bestreiten. Er bewegte sich trotz seiner ungeheuren Muskelpakete tänzerisch und elegant im Ring und feierte schnelle K.o-Siege. Die Presse jubelte: „Der Cassius Clay vom Waldhof“. Dann, im siebten Kampf, die erste Niederlage gegen einen früheren Europameister und der erste, aber bei weitem nicht letzte Absturz von Charly Graf. Er tauchte ab ins Mannheimer Rotlichtmilieu und beschäftigte fortan eher die Justiz als die Ringrichter. Körperverletzung, Zuhälterei, Hehlerei, verbotenes Glücksspiel – Graf ließ nichts aus und wurde zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Er kam nach Stammheim. Dort traf er auf den RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock. Charly Graf denkt an diese Zeit zurück: „Ich dachte, dem hau´ ich gleich auf die Fresse“. Doch es kam anders, die völlig unterschiedlichen Typen freundeten sich an und schlossen eine Vereinbarung. Graf sorgte für die körperliche Fitness von Boock und dieser kümmerte sich darum, dem jederzeit gewaltbereiten Boxer etwas Bildung beizubringen. Dafür ist ihm Graf noch heute dankbar: „Dem Boock habe ich viel zu verdanken“. So kam der braune Bomber zur Literatur, las Böll, Grass, Faulkner und Dostojewski. Graf und Boock sind bis heute miteinander befreundet. Und Boock war es auch, der den Boxer ermunterte, im Stammheimer Knast wieder mit dem Training anzufangen. Graf drehte im Gefängnisinnenhof seine morgendlichen Runden und machte sich fit.

Der 20.Juli 1984 geriet dann zu einem Sportereignis der besonderen Art. Erstmals durfte ein Sträfling in Deutschland für einen Boxkampf in den Ring klettern. Charly Graf wurde von Justizbeamten begleitet und es brodelte in der Frankfurter Festhalle. Der Kampf dauerte nicht lange: Der mittlerweile fast 33-jährige Hafturlauber schickte seinen Gegner in der zweiten Runde in den Ringstaub. Am 9.März 1985 wurde Graf gegen Reiner Hartmann sogar Deutscher Meister, so etwas hatte es noch nie gegeben, die Boxsensation des Jahres war perfekt.

Rund ein halbes Jahr später verteidigte er seinen Titel gegen Thomas Classen. Graf verlor den Kampf, obwohl er nach Ansicht aller Fachleute eindeutig der Bessere war. Frustriert und enttäuscht kehrte er dem Boxsport den Rücken und setzte sich nach dem Ende seiner Haftzeit ins Allgäu ab. Dort lebte er rund zwölf Jahre und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als LKW-Fahrer. Dann kehrte er nach Mannheim zurück.

Im Frühjahr 2012 kam es zu einer bemerkenswerten Begegnung zwischen Classen und Graf. Thomas Classen besuchte seinen früheren Gegner und überreichte ihm die Meisterplakette aus dem Jahre 1985. „Du hast damals den Kampf gewonnen“, sagte Classen leise zu Graf. Ein großer und bewegender Moment, den Friedler in seiner Dokumentation festgehalten hat.

Charly Graf ist mittlerweile mit sich im Reinen. Er hält vielbeachtete Vorträge und erzählt ehrlich und ungeschminkt über sein Leben. Seit Jahren arbeitet er im Sportbereich mit sozial auffälligen Jugendlichen, die es aus der Bahn geworfen hat. Sie hören Charly Graf aufmerksam zu, denn sie wissen: Der Typ versteht uns.

Autor: H.Reile

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