Der Dauerläufer

Er gilt als einer der erfolgreichsten Langstreckenläufer der deutschen Sportgeschichte. Dieter Baumann hat im Laufe seiner Karriere 40 nationale Titel zwischen 1500 und 10 000 Meter geholt. Dazu wurde er in einem dramatischen Finale 1992 Olympiasieger über 5000 Meter in Barcelona. seemoz hat ihn in seiner Heimatstadt Tübingen besucht.
Heute schon gelaufen?

Dieter Baumann: Sie halten mich gerade davon ab. Aber ich drehe später noch ein paar Runden

War der Olympiasieg 1992 der wichtigste Titel für Sie?

Dieter Baumann: Das schon, aber es war nicht mein bestes Rennen bei den Olympischen Spielen. Das war vier Jahre später in Atlanta. Da wurde ich zwar nur Vierter, hatte aber die bessere Performance. Eigentlich war ich schlecht vorbereitet, habe mich dann von Rennen zu Rennen gesteigert. Mein bestes Rennen überhaupt habe ich natürlich bei meinem Europarekord über 5000 Meter 1997 in Zürich abgeliefert. Das war nahezu perfekt.

Man nannte Sie auch den „weissen Kenianer“, weil Sie einer der wenigen Europäer waren, der der afrikanischen Läufermacht Paroli bieten konnte. Was macht die afrikanischen Läufer so stark?

Dieter Baumann: Wer dort was werden will, hat zwei Möglichkeiten. Entweder geht er in die Politik oder er wird Läufer, um zu Geld zu kommen. Ein Beispiel: Wenn ein Afrikaner hier in Tübingen den Stadtlauf gewinnt und eine Siegprämie von etwa 2000 Euro einfährt, verdient er an diesem Tag ungefährt so viel wie ein durchschnittlicher kenianischer Arbeiter in zwei Jahren. Die afrikanischen Athleten investieren auch mehr in ihren sportlichen Erfolg, trainieren härter und intensiver. Ich glaube nicht, dass weisse Läufer in Zukunft gegen ihre schwarzen Konkurrenten eine Chance haben werden.

Sie bewegten sich fast 20 Jahre in der absoluten Weltspitze. Sind Freundschaften entstanden und auch geblieben? Oder sind Langstreckenläufer doch eher seltsame Einzelgänger?

Dieter Baumann: In das Klischee „Einsamkeit des Langstreckenläufers“ passe ich überhaupt nicht rein. Ich habe meine alten Kontakte immer gepflegt, zum Beispiel zum ehemaligen Weltmeister Abdi Bile, um nur einen von vielen zu nennen. Wir tauschen uns immer wieder aus, treffen uns bei Wettkämpfen, trainieren auch zusammen. Zu meiner aktiven Zeit habe ich viel von den Kenianern gelernt und war ja auch jedes Jahr zwei Monate dort, um mit ihnen zu trainieren. Da sind Verbindungen entstanden, die bis heute gehalten haben.

Muss man als Langstreckler nicht doch ein wenig verrückt sein, um die jahrzehntelange Schinderei durchzuhalten? Wie fällt Ihr Fazit im Rückblick aus?

Dieter Baumann: Eines vorneweg: Ich habe mich nie gequält beim Laufen. Ich hatte einfach Lust dazu und habe mich immer ein Stück weit als Künstler gefühlt. Taktische Rennen waren mein Ding. Ich war ja ein so genannter Meisterschaftsläufer und fokussiert auf die entscheidenden Events. Klar hatte ich eine turbulente Karriere mit Höhen und Tiefen. Aber ich bin absolut davon überzeugt, dass ich das Richtige gemacht habe. Mein Alltag dreht sich immer noch rund um den Laufsport. Ich begleite Firmenbelegschaften beim Lauftraining und betreue beim LAV-Asics Tübingen einige Athleten aus der deutschen Spitzenklasse.

Joggen Sie nur noch zum Zeitvertreib oder bestreiten Sie noch Wettkämpfe?

Dieter Baumann: Seit meinem Karriereende laufe ich nur noch bei Volksläufen mit. Kürzlich bin ich beim Halbmarathon in Freiburg gelaufen. Zur Zeit geht aber mehr Zeit drauf für mein neues Projekt. Ich präsentiere mein Kabarettstück „Körner, Currywurst, Kenia“ und bin gespannt, wie ich ankomme. Das wird eine völlig neue Erfahrung.

Sie haben sich seit langer Zeit auch sozialen Projekten verschrieben. An welchem arbeiten Sie aktuell?

Dieter Baumann: Ich engagiere mich in 24 Jugendstrafanstalten im ganzen Bundesgebiet. Ich bereite dort Insassen auf einen Halbmarathon vor, der Ende April stattfindet. Jeweils fünf Jugendliche laufen einen Halbmarathon, als jeder rund vier Kilometer. Dann treten die besten Anstalten gegeneinander an. Ich wünsche mir, dass in naher Zukunft alle Anstalten daran teilnehmen, also insgesamt 32.

Gegen Schluss Ihrer Karriere wurden Sie mit massiven Dopingvorwürfen konfrontiert, die international für Aufsehen gesorgt haben, weil Sie ja lange Jahre einer waren, der sicfh sehr deutlich gegen jede Art von Doping ausgesprochen hat. Auf nationaler Ebene wurden Sie frei gesprochen. Sind dennoch Narben geblieben?

Dieter Baumann: Klar hat das was hinterlassen bei mir, alles andere wäre gelogen. Bei so was gehst Du teilweise durch die Hölle. Es war ja auch eine Zeit extremer Anspannungen und Konfrontationen, die in der breiten Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Da bleiben Rillen, das lässt sich nicht verleugnen. Aber ich habe Mechanismen gefunden, dass mich das alles nicht mehr zu sehr beschäftigt. Außerdem hilft die Zeit darüber hinweg.

Ist Spitzensport, fast egal, in welcher Sportart, überhaupt noch möglich ohne unerlaubte Hilfsmittel?

Dieter Baumann: Natürlich, denn es wird immer Talente geben, denen kaum Grenzen gesteckt sind und die kein Doping brauchen, um ganz oben zu stehen. Die oft gehörte Forderung, Doping in kontrollierten Grenzen zu legalisieren, das wäre das Ende des momentanen Sportsystems.

Wie hält es der Dauerläufer Dieter Baumann mit Essen und Trinken? Sind Sie immer noch der Asket, als der Sie immer galten?

Dieter Baumann: Diese Frage habe ich befürchtet. Sagen wir mal so: Ich bin mittlerweile ein weintrinkender Biertrinker, der sich abends gerne mal ein Glas einschenkt. Neulich allerdings habe ich einen hervorragenden Rotwein genossen. Ich glaube, es war ein Württemberger, fragen Sie mich aber bitte nicht mehr nach der Marke. Zuhause bekoche ich gerne meine Familie. Wenn Freunde aus den USA kommen, gibt’s handgeschabte Kässpätzle oder auch mal einen mit Kümmel gespickten Schweinebraten oder ein leckeres Wildgericht. Es gibt nichts, was ich nicht kochen könnte. Natürlich achten wir auf eine ausgewogene Ernährung, aber übertreiben muss man das ja auch nicht.

Autor: Holger Reile