Der Deutsche Evangelische Kirchentag übt Zensur aus
„Jetzt ist die Zeit!“ – unter diesem biblischen Motto aus dem Markus-Evangelium findet vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) statt. Erwartet werden bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. „Wichtige Themen der Zeit werden diskutiert, Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit … und der Würde des Menschen gestellt“, kündigt der DEKT in seinen Einladungen und Werbematerialien für die Großveranstaltung an. Doch die Vertreibung und Flucht von 750.000 Palästinenser*innen im Jahr 1948 darf man dort nicht thematisieren.
Der Präsident des Kirchentages, Bundesminister a.D. (Verteidigung und Innen) Thomas de Maizière (CDU) betont: „Wir brauchen einen offenen, ehrlichen Austausch untereinander, um der Zeit gerecht zu werden und gemeinsame Schritte zu gehen.“
Die Ausstellung wurde schon in über 150 Städten gezeigt
Diese wohlklingenden Ankündigungen gelten allerdings nicht für das Konfliktthema Israel/Palästina. Die Wanderausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ thematisiert die Vertreibung und Flucht von rund 750.000 Palästinenser*innen im Jahr 1948 – zunächst durch jüdisch-zionistische Milizen und nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 durch die Streitkräfte des Landes – darf ausgerechnet zum 75. Jahrestag dieses Geschehens auf dem Kirchentag DEKT in Nürnberg nicht gezeigt werden.
Nur mit dieser Verbotsauflage erhielt der Verein „Flüchtlingskinder im Libanon“ (FiL) e.V., der die Nakba-Ausstellung im Jahr 2008 aus Quellen israelischer Historiker konzipiert hatte, von der DEKT-Geschäftsstelle in Fulda die Zulassung für einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten beim Nürnberger DEKT.
Dieses von DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn und der für das Kirchentagsprogramm verantwortlichen Studienleiterin Stefanie Rentsch im November letzten Jahres übermittelte Verbot kam sehr überraschend. Denn auf vergangenen Kirchentagen seit 2010 wurde die Nakba-Ausstellung ohne Probleme gezeigt. Ebenfalls seit 2008 in über 150 Städten im In- und Ausland, auch in Basel, Bern, Biel, St. Gallen, Zürich und Bülach sowie bei der EU in Brüssel und der UNO in Genf.
Die Verantwortlichen drücken sich um eine Begründung
Für die Verbotsentscheidung gaben Jahn und Rentsch auch auf mehrfache Nachfragen hin keine Begründung. Die Entscheidung habe das für „das Programm des Kirchentages gesamtverantwortliche DEKT-Präsidium getroffen“ nach vorheriger Durchsicht und Prüfung „der Bewerbung des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon durch ein vom Präsidium eingesetztes Expertengremium“.
Auch zahlreiche schriftliche Nachfragen bei dem „gesamtverantwortlichen“ Präsidium nach den Gründen für das Verbot seit November letzten Jahres wurden bis Ende Februar nicht beantwortet. Selbst langjährige ehemalige Mitglieder des Präsidiums wie die frühere Kirchentagspräsidentin Elisabeth Raiser und ihr Mann, der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, erhielten keine Antwort.
Der aktuelle Kirchentagspräsident Thomas de Maizière reagiert auf Briefpost an seine Dresdner Anschrift bisher nicht. Anfragen per E-Mail-Schreiben an sein Büro lässt der Kirchentagspräsident durch seine Mitarbeiterin, die Flensburger CDU-Landtagsabgeordnete Uta Wentzel mit diesen Worten abwimmeln: „Das Schreiben wurde gar nicht gelesen und daran besteht auch überhaupt kein Interesse. Wenn Sie vom DEKT keine Antwort auf Ihre Frage erhalten, müssen Sie sich halt damit abfinden.“
Von den übrigen 30 Mitgliedern des Präsidiums (darunter Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, BWI-Staatssekretär und ATTAC-Mitbegründer Sven Gigold sowie BGH-Präsidentin Bettina Limperg) und den acht „ständigen Gästen“ des Präsidiums aus der für den DEKT in Nürnberg gastgebenden Bayerischen Landeskirche, darunter Bischof Heinrich Bedford Strohm, antworteten nur wenige, die an die DEKT-Geschäftsstelle in Fulda verwiesen.
Auffällig viele der Angefragten erklärten zudem, sie seien gar nicht auskunftsfähig. Denn sie hätten an der Präsidiumssitzung, auf der das Verbot der Nakba-Ausstellung beschlossen wurde, gar nicht teilgenommen. Das wirft Fragen auf: Gab es überhaupt eine solche Sitzung? Und wenn ja: Existiert ein ordentliches Sitzungsprotokoll, aus dem Beschlüsse und ihre Begründungen hervorgehen? Wenn nicht: Von welchem Personenkreis wurde das Verbot tatsächlich beschlossen?
Wer die Mitglieder des „Expertengremiums“ waren, das zum Verbot der Nakba-Ausstellung geraten hat, hält der DEKT bislang ebenfalls geheim. Nach informellen Informationen aus Kirchentagskreisen soll ein Experte (möglicherweise der einzige?) Christian Staffa gewesen sein, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Staffa ist auch im Vorstand der seit 1961 bestehenden „AG Juden und Christen“ beim DEKT.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist auskunftspflichtig
Das Verbot der Nakba-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag ist ein unakzeptabler Akt der Zensur und des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Der DEKT verhindert damit den demokratischen Dialog. Der bisherige Umgang des DEKT mit Fragen nach einer Begründung des Verbots ist willkürlich und selbstherrlich. Und das DEKT-interne Verfahren, das zu dem Verbot geführt hat, ist offensichtlich nicht einmal für Mitglieder des „gesamtverantwortlichen“ Präsidiums transparent.
Der DEKT ist zwar ein Verein. Aber die Großveranstaltung in Nürnberg ist keine Privatveranstaltung. Sie wird außer durch Ticketverkäufe, Spenden und Sponsoring ganz wesentlich mit öffentlichen Geldern (Kirchensteuern und anderen Zuschüssen) finanziert. Aus diesem Grund ist der DEKT auskunftspflichtig.
Text: Andreas Zumach
Bild (hr): Es zeigt A. Zumach bei einer seemoz-Veranstaltung vergangenes Jahr zum Ukraine-Krieg
Der Journalist und Publizist Andreas Zumach ist eine von 51 Personen, welche die 2008 konzipierte NAKBA-Ausstellung öffentlich unterstützen. Die Liste aller Unterstützenden hier.
Vielen Dank Herr Venedey für Ihren Zuspruch.
Als Historikerin sehe ich den Autor des Textes, Herr Zumach, seit langem schon kritisch. Seine Einordnungen der geschichtlichen Fakten sind oftmals sehr verkürzt und selektiv.
Sei es hier bei der Vertreibung der arabischen Bevölkerung in der Gründungsphase des israelischen Staates. In dem die Rolle des Angriffskrieges der arabischen Nationen weitestgehend ausgeblendet wird.
Dasselbe gilt auch für seine Vorträge zum russischen Krieg gegen die Ukraine. Ich habe mir die Tage noch einmal ein paar seiner Vorträge nachgehört.
Hier auch wieder dasselbe Muster. Es werden wichtige Fakten verkürzt oder gar nicht erwähnt. Anderen ordnet er eine höher Bedeutung zu als dies geschichtlich Relevant wäre.
Zum Beispiel, ist Herr Zumach ist auch ein Vertreter des NATO-Osterweitungsnarrativs. Hier werden den Zusicherungen einiger Vertreter – im Falle Deutschlands noch nicht einmal eines Vertreters, sondern nur eines Beraters des Ministers – westlicher Staaten eine überhöhte Bedeutung zugeschrieben. Diese wurden nachweislich von den Vertretern der Sowjetunion – sieh Gorbatschow Interview– nicht so empfunden wurde. Abgesehen davon bestand zur dieser Zeit der Zwei plus Vier Verhandlungen noch der Warschauer Pakt, so das ohnehin nicht davon ausgegangen wurde, dass sich die NATO über die grenzen der DDR ausbreiten würde.
Die einzige NATO-Frage die sich damals wirklich stellte war, ob ein neues Gesamtdeutschland NATO Mitglied werden sollte. Gorbatschow war anfangs dagegen, gab aber seinen Widerstand auf Grundlage der Helsinki Schlussakte auf, die jedem Land eine freie Bündniswahl zusichert und welche auch die Sowjetunion unterzeichnet hat.
Ausgeblendet wird auch von Herrn Zumach die Phase der guten Kooperation zwischen Russland und der NATO. Stichworte NATO-Russland Rat, NATO Russland Grundakte.
Die NATO-Osterweiterung geschah nicht einfach so. Russland wurde angehört und seine Interessen auch ernst genommen. Es wurden keine Atomwaffen in den Gebieten stationiert, es gab keine festen NATO Stützpunkte, es gab eine begrenzte Anzahl an NATO Truppen die in Rotation in den Ländern stationiert waren.
Dies alles muss bei der Einordnung zum Einfluss der NATO Osterweiterung im Zuge des Ukrainekrieges mit bedacht werden.
Dies fehlt aber bei Herrn Zumach.
Daher sehe ich die Vorträge und Schlussfolgerungen von ihm sehr kritisch.
@ Petra Gutenthaler
Vielen Dank für die erhellenden Worte und Links zur Nakba-Ausstellung.
An der Nakba Ausstellung gibt es schon lange Kritik, da sie die Geschichte zu einseitig darstellt.
Vor allem der Angriffskrieg der arabischen Staaten auf den neu gegründeten Staat Israel wird sehr verkürzt dargestellt.
Viele Palästinenser flohen auch in der Hoffnung, nach dem Sieg der arabischen Truppen wieder zurückzukehren.
Ich habe die Ausstellung selbst gesehen und muss sagen, dass die Gründe und vor allem der Angriffskrieg der arabischen Nationen sehr sehr wenig thematisiert wird.
Überspitzt gesagt, hätte sich die arabische Seite – zu dieser Zeit nannte sich die Arabische Bevölkerung noch nicht Palästinenser – dem UN Teilungsplan zugestimmt, hätte es diese Vertreibung nicht gegeben.
Einer der Gründe für die Vertreibung war eben auch der arabische Angriffskrieg.
Hier einige Kritiken zur Nakba Ausstellung.
Fachschaft der Sozialwissenschaften der Uni Göttingen:
https://www.fsr-sowi.de/184
Pfarrer Michale Volkmann Evangelische Landeskirche Württemberg
https://www.elk-wue.de/news/08102018-nakba-ausstellung-kritisiert