Der Flüchtlingstod stand nicht auf der Tagesordnung
Eigentlich ein Skandal: Eine Resolution zur Flüchtlingspolitik wird im Konstanzer Gemeinderat eingebracht – und zuerst von CDU-Sprechern abgelehnt, nur weil Linke die Verfasser sind. Und dann von OB Burchardt auf die nächste Sitzung verschoben, nur weil der Flüchtlingstod nicht vorab auf der Tagesordnung stand. Schlimm aber auch, wie in Stadt und Landkreis Konstanz mit Flüchtlingen umgegangen wird. Höchste Zeit für ein Umdenken – auch vor Ort
Die mediale Aufregung um den Ertrinkungstod von mehr als 300 Flüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa ist schon wieder Geschichte. Doch das Sterben an den Außengrenzen der Festung Europa geht weiter: Wenige Tage nach dem Massensterben hat das europäische Parlament das Programm „Eurosur“ beschlossen, mit dem die militärische Absicherung der Grenzen perfektioniert werden soll.
Die Linke Liste Konstanz (LLK) meinte, diese europäische Flüchtlingspolitik gehe uns alle an und hatte deshalb am 17. Oktober eine Resolution in den Konstanzer Gemeinderat eingebracht, in der die EU-Abschottungspolitik scharf verurteilt wird. Doch da wurde die Erklärung nicht behandelt – wie schon zuvor im Forum für Integration.
„Der Text stammt ja von der Linken“
Das Forum für Integration ist ein beratender Ausschuss des Konstanzer Gemeinderats. Als die Stadträtin Vera Hemm (LLK) diese Resolution dort zum Thema machte, stieß sie auf den erbitterten Widerspruch von CDU-Stadtrat Kurt Demmler, der schon deshalb auf „Nichtbefassung“ drängte, weil der „Text ja von der Linken stammt“. Ähnlich, wenn auch leicht differenzierter, argumentierte sein Fraktionskollege Heinrich Fuchs wenige Tage später im Gemeinderat. Uli Burchardt, OB der „liberalen Stadt Konstanz“ (Originalton Burchardt), genügte solch‘ hinhaltender Widerstand seiner Parteifreunde, den Punkt mit dem formalen Argument, dieses Thema stehe nicht auf der aktuellen Tagesordnung, auf die November-Sitzung zu verschieben. Der ohnehin schon arg gebeutelte Walter Rügert, Pressesprecher der Stadt, soll bis dahin eine wohl moderatere Fassung der Resolution formulieren.
Getreu dem Prinzip „vorher – nachher“ dürfte es interessant werden, beide Fassungen beizeiten zu vergleichen. seemoz veröffentlicht schon mal jetzt die LLK-Fassung im Wortlaut:
Lampedusa mahnt: Endlich Umdenken in der Flüchtlingspolitik
Der Tod von mehr als 300 Menschen, die beim Versuch, Gewalt, Unterdrückung und Hunger zu entfliehen, vor der Insel Lampedusa ertrunken sind, ist nur ein trauriger Höhepunkt von menschlichen Tragödien, die sich Tag für Tag an den Grenzen Europas abspielen. Er ist Ergebnis einer zynischen Politik der EU-Staaten, deren direktes Ziel es ist, Menschen in höchster Not jegliche Hilfe zu verweigern. Die Berichte aufmerksam gewordener Medien machen es unübersehbar: Das Ertrinken im Mittelmeer ist Alltag.
Die eigens eingerichtete europäische Grenzschutzorganisation Frontex soll mit ihrem Agieren erklärtermaßen Flüchtlingen die letzte Möglichkeit nehmen, Elend, Verfolgung und Tod zu entkommen. Das Sterben von Tausenden wird dafür billigend in Kauf genommen. Das jetzt allenthalben von EU-Politikern angestimmte Lamentieren angesichts der jüngsten Katastrophe ist deshalb verlogen und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass genau dieselben Politiker die Verantwortung dafür tragen, dass es immer wieder soweit kommen kann. Es ist umso verlogener, als das Europaparlament nur wenige Tage nach Lampedusa das neue Grenzüberwachungssystem Eurosur beschlossen hat, das die Abschottung von Europas Küsten perfektionieren soll.
Der Tod von Flüchtlingen ist eine direkte Folge der EU-Abschreckungspolitik, mit denen reiche Länder vor armen Schluckern „geschützt“ werden sollen. Der Vorwurf der „illegalen Einwanderung“ ist dabei umso verlogener, weil es gerade die aggressive Freihandelspolitik der EU ist, die die lokalen Märkte in Afrika zerstört. Es ist die Fischereipolitik, die den afrikanischen Fischern ihre Lebensgrundlagen raubt.
Wir fordern dagegen angesichts der dramatischen Situation die Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und Stuttgart auf, endlich umzudenken. Für uns ist es unerträglich, dass der Bundesinnenminister Friedrich angesichts des Massentods im Mittelmeer jetzt jeder konkreten Verbesserung der Lage von Flüchtlingen eine harsche Abfuhr erteilt hat. Nicht Abschreckung – Hilfe und Unterstützung für zehntausende Menschen in Not müssen die Leitlinien einer Flüchtlingspolitik werden, die diesen Namen verdient. Dazu muss die ebenso absurde wie zynische „Drittstaatenregelung“ fallen, die de facto Asylsuchenden das humanitäre Menschenrecht auf Hilfe verweigert. Dazu muss die menschenverachtende Frontex-Agentur aufgelöst und durch ein System der Hilfe für notleidende Menschen ersetzt werden. Die europäische Politik hat die Verpflichtung, endlich ausreichend Raum und Rechte für Hilfesuchende zu schaffen. Dafür werden wir uns künftig entschieden einsetzen, nicht nur in unserer Stadt und unserer Region.
LINKE LISTE Konstanz
DIE LINKE Kreisverband Konstanz
Und was passiert den Flüchtlingen vor Ort?
Vielleicht sollte man im Gemeinderat dies zum Anlass nehmen, die Flüchtlingspolitik vor Ort zu hinterfragen. Und das meint nicht nur die unsägliche Praxis der Gutschein-Regelung beim Lebensmitteleinkauf, nicht nur die unbefriedigende Unterbringung von Flüchtlingen in Stadt und Kreis, nicht nur die Weigerung einiger Kreisbehörden, weitere Flüchtlinge aufzunehmen und menschenwürdig unterzubringen. Das meint auch die Abschiebepraxis des Landes – aktuell ist eine in Konstanz ansässige Roma-Familie von Abschiebung bedroht. Was also tun die Gemeinderäte nicht nur in Konstanz, um Landkreis und Landesbehörden zu drängen, die Lage der Flüchtlinge vor Ort fühlbar zu verbessern? Ein Thema für den Konstanzer Gemeinderat – nicht nur und nicht erst in der November-Sitzung.
Autor: PM/hpk