Der Gemeinderat wollte schnell unter die Dusche

Der Konstanzer Gemeinderat ist eine launische Diva. Erst ließ er am 14.6. in letzter Sekunde die Debatte über die Stadt-Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten platzen, das mit der fadenscheinigen Begründung, darüber könne erst sinnvoll gesprochen werden, wenn der neue Oberbürgermeister gewählt sei. Und dann machte sich auch  in der Sitzung am 28.6. eine Arbeitsunlust breit, denn man wollte unbedingt zum Halbfinalspiel Deutschland-Italien fertig werden.

Der Runde Tisch zur Begleitung von Flüchtlingen in Konstanz hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen in existentiellen Notsituationen zu helfen. Dekan Hermann-Eugen Heckel gab dem Gemeinderat eine Übersicht über das Wirken dieser seit 16 Jahren bestehenden Institution. Er verwies beispielhaft auf die schwierige Situation von Frauen aus dem arabischen Raum, die dort gefoltert und vergewaltigt werden, nach ihrer Flucht nach Deutschland den Behörden gegenüber aber nicht das ganze Ausmaß ihrer Leiden offenbarten – sei es aus Scham, sei es aus Angst, dann auch noch von ihrer Familie verstoßen zu werden.

Etwas mehr Menschlichkeit

Die ganze Wahrheit komme daher oft erst zutage, wenn solche Opfer psychologisch behandelt werden. In diesen und zahlreichen anderen Fällen, in denen das Gesetz geflohenen Menschen keinen ausreichenden Schutz bietet, bemühe sich der Runde Tisch, in Zusammenarbeit auch mit der Härtefallkommission und dem Petitionsausschuss, eine menschenwürdige Lösung zu finden. In ganz extremen Notlagen werde sogar Kirchenasyl gewährt, denn „in Baden-Württemberg hat die Polizei noch Respekt vor der Kirche“. Dekan Heckel forderte die Öffentlichkeit zu Spenden und ehrenamtlichem Engagement beim Runden Tisch auf.

Vera Hemm (Linke Liste), die sich seit langem beim Runden Tisch engagiert, beschrieb ihren Einsatz dort wegen der Härte der Einzelschicksale als oft bedrückend und nannte es eine wichtige Aufgabe des Runden Tisches, den Betroffenen aus dem unsicheren Status der bloßen Duldung in Deutschland herauszuhelfen. Gabriele Weiner (FWG) nannte die bundesdeutsche Flüchtlingsgesetzgebung rundheraus beschämend für ein so reiches Land.

Wohnungsnot in Konstanz

Die Geschäftsführung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Wobak präsentierte einen äußerst faktenreichen Überblick über die jüngsten Aktivitäten. Dabei wurde ersichtlich, dass die Wobak einerseits massiv neuen Wohnraum schafft (besonders augenfällig dieser Tage am Petershauser Bahnhof), andererseits aber der Bedarf vor allem an bezahlbarem Wohnraum noch lange nicht gedeckt ist. So gibt es derzeit rund 2200 Bewerber und etwa 150 Härtefälle bei der Wobak, eine Zahl, die in den letzten Jahren stabil geblieben ist und die zeigt, wie notwendig die Arbeit der Wobak auch in den nächsten Jahren ist.

Für lebhafte Debatten sorgte allerdings der Antrag, die Vergütungen für die Aufsichtsratsmitglieder der Wobak zu erhöhen – immerhin zehn Gemeinderäte und -innen sitzen in diesem Aufsichtsrat. Charlotte Biskup (FGL) forderte eine Diskussion über sämtliche Aufsichtsratvergütungen und nicht nur über jene der Wobak. Herbert Weber (SPD) widersprach dem, denn er könne keinen Zusammenhang etwa zwischen den Aufsichtsratsvergütungen bei der Wobak und zum Beispiel den Stadtwerken erkennen, zudem seien die Vergütungen für den Wobak-Aufsichtsrat seit immerhin 10 Jahren nicht mehr erhöht worden.

Vera Hemm (Linke Liste) hingegen sprach sich klar gegen die Erhöhung aus, weil diese angesichts der massiven Wohnungsnot in Konstanz ein falsches Zeichen setze. Außerdem forderte sie die Aufsichtsrätinnen und -räte auf, ihre Vergütungen für einen guten Zweck zu spenden, so wie früher Aufsichtsratsmitglieder aus den Reihen der Gewerkschaften ihre Vergütungen der Hans-Böckler-Stiftung gespendet hätten. Damit kam sie allerdings bei Roger Tscheulin (CDU) schlecht an: Der wollte keinen Zusammenhang zwischen Wohnungsnot und Aufsichtsratsvergütungen erkennen. Kurzum, der Gemeinderat stimmte am Ende den Erhöhungen zu.

Gemeinderat live

Diese Sitzung war übrigens die erste, die auszugsweise live im Internet übertragen wurde. Abgesehen davon, dass es höchst fragwürdig ist, dass mit dem Südkurier ein privates Wirtschaftsunternehmen und nicht die Stadt selbst die Übertragung organisiert, bringt die Filmerei auch spürbare Störungen der Sitzung mit sich: So musste die Verwaltung auf den Zuschauerstühlen Platz nehmen, und die Kamerastative und sonstigen Sendeeinrichtungen sowie das unvermeidliche Hin- und Hergelaufe zum Ausrichten der Kamera lenken ab. Natürlich ist es wünschenswert, der Öffentlichkeit möglichst breite Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess zu ermöglichen – das jetzige Verfahren aber scheint nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein.

König Fußball regiert Konstanz

Im Rahmen der Bürgerfragestunde erhielt OB Horst Frank 2220 Unterschriften für den Verblieb des Grundbuchamtes in Konstanz. Die Betroffenen fordern den OB auf, diese Unterschriften dem Ministerpräsidenten Kretschmann zu übergeben und so deutlich zu machen, wie stark der Rückhalt für den Standort Konstanz in der Bevölkerung sei.

Danach aber legte der Gemeinderat deutlich an Tempo zu, denn der Anpfiff des Halbfinales Deutschland gegen Italien rückte näher. Die Debatte über die gerade erst fertiggestellte Konstanzer Erklärung „Für eine Kultur der Anerkennung und gegen Rassismus“ wurde trotz des lautstarken Protestes von Holger Reile (Linke Liste) ebenso vertagt wie andere Tagesordnungspunkte. Der Rest des Abends war dann wahrlich keine Sternstunde des Konstanzer Stadtparlamentes: Werner Allweiss (FGL) lieferte einen sehr gründlichen und nachdenklichen Beitrag über die Probleme der Straßenumbenennung. Nachdem die Umbenennung der von-Emmich-Straße von den Anwohnern geschlossen und vehement abgelehnt worden ist und von der Verwaltung nicht vollzogen werden wird, steht die Konstanzer Straßenbenennung vor einem großen Problem.

Es gibt immer noch einige Straßen, die beispielsweise nach Militaristen wie Moltke benannt sind und deren Umbenennung sich förmlich aufdrängt. Auf der anderen Seite ist aber in jedem Einzelfall mit hartnäckigem Widerstand der Anwohner zu rechnen, die wenig geneigt sind, sich neues Briefpapier drucken oder Ausweise umschreiben zu lassen. „Was tun?,“ fragte bekanntlich schon Lenin in einer ähnlich brenzligen Situation.

Werner Allweiss hatte einige nachdenkenswerte Vorschläge zu unterbreiten, die in der aufkommenden Fußballeuphorie aber unterzugehen drohten, denn kaum jemand im Gemeinderat schien mehr geneigt zu sein, Allweiss zuzuhören. Der forderte unverdrossen, klare Richtlinien dafür zu erarbeiten, welche Straßennamen nicht mehr statthaft seien (etwa solche, die an Kriegstreiber erinnern). Für die von-Emmich-Straße schlug er vor, das Straßenschild um einen Hinweis darauf zu ergänzen, wer von Emmich war. Gerade angesichts des nahenden 100. Jahrestages des Beginns des 1. Weltkrieges kommt dem natürlich eine besondere Bedeutung zu.

Über all das mochte sich die Mehrheit des Gemeinderats aber nicht mehr den Kopf zerbrechen, denn es war bereits nach 20 Uhr: Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) beklagte denn auch mit einigem Recht, dass er nicht mehr zu Wort gekommen sei, obwohl auch er noch etwas zu den Straßennamen zu sagen habe. Nun sind Gemeinderätinnen und -räte auf der einen Seite natürlich auch nur fußballbegeisterte Menschen – auf der anderen Seite aber kann man von einer Volksvertretung ausreichend Sitzfleisch erwarten, eine Tagesordnung mit dem gebührenden sittlichen Ernst abzuarbeiten.

Gerade vor dem Hintergrund, dass der Gemeinderat bereits die zukunftsweisende Sitzung am 14.06. so schmählich hat platzen lassen, wäre hier eine gute Gelegenheit gewesen, beim Wahlvolk mal wieder zu punkten, statt es sich derart einfach zu machen. Kurzum: Im Juni 2012 hat der Gemeinderat bei gleich zwei Anlässen kein gutes Bild abgegeben und den Eindruck vermittelt, er nehme seine Aufgabe nicht wirklich ernst. Bleibt zu hoffen, dass sich das Stadtparlament nach der OB-Wahl wieder eines Besseren besinnt und sich mit mehr Hartnäckigkeit in die Arbeit stürzt. An diesem Abend jedenfalls hatte man den Eindruck, dass sich der Gemeinderat ganz unsportlich schnell vom Platz stehlen und in die Kabine flüchten wollte.

Autor: O. Pugliese