Der gescheiterte Maulkorbversuch
Mehrere StadträtInnen hatten ihr Abstimmungsverhalten zur geplanten Verlängerung des Theaterintendanten Christoph Nix öffentlich bekannt gegeben. Postwendend wurde ihnen per Mail erklärt, damit hätten sie gegen ihre Verschwiegenheitspflicht verstoßen, denn die betreffende Sitzung sei nichtöffentlich gewesen und die Abstimmung geheim, so eine Eilmeldung auf seemoz. Es roch nach Sanktionen. Nun der kleinlaute Rückzieher. Ein Kommentar.
Das Thema bewegt einen großen Teil der Konstanzer Bürgerschaft. Warum wurde die Debatte über eine Vertragsverlängerung von Nix überhaupt in nichtöffentlicher Sitzung geführt? Warum auch wurde erneut darüber geheim abgestimmt? Für viele KonstanzerInnen ein Unding, denn es ging ja nicht um eine banale Personalie, sondern um eine kulturpolitische Entscheidung mit großer Tragweite.
Der Druck auf die gemeinderätlichen EntscheidungsträgerInnen wuchs täglich. Die online-Petition, die um Stimmen für eine Verlängerung warb, war erfolgreich und erreichte das Quorum. Der Wunsch vieler BürgerInnen, die Räte mögen doch bitte erklären, wie sie abgestimmt haben, fruchtete, zumindest teilweise. Das wiederum führte dazu, dass die Verwaltung vergangenen Donnerstag alle StadträtInnen wissen ließ, dass sie mit der Bekanntgabe ihres Stimmverhaltens (angeblich) gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen hätten. Bei mehreren Räten stieß dieser Versuch der Maßregelung auf Unverständnis.
Gestern dann schob Gabriele Bossi, Leiterin des oberbürgermeisterlichen Referats, eine Erklärung nach, die für sich spricht. „… aufgrund einiger Rückmeldungen (…) möchte ich gerne betonen, dass es sich lediglich aus gegebenem Anlass um einen vorsorglichen Hinweis gehandelt hat. Insbesondere nachdem in den letzten Tagen vermehrt Rückfragen an die Verwaltung erfolgt sind, haben wir diese Information für sinnvoll erachtet“.
Ein klassischer Rückzieher mit hohem Peinlichkeitsfaktor. Oberbürgermeister Uli Burchardt hat sich mal wieder als selbsternannter Zuchtmeister aufgespielt und mit der Rute gefuchtelt. Das hatten wir schon Mal, als ihm eine seemoz-Glosse über sein Lieblingsprojekt Bodenseeforum sauer aufstieß und er massiv mit juristischen Konsequenzen drohte. Der bekanntermaßen beratungsresistente Rathauschef mit zunehmend autokratischen Zügen wollte wohl dieser Tage erneut testen, wer sich willig und ergeben einen Maulkorb verpassen lässt. Hat nicht funktioniert, doch der nächste Versuch wird nicht lange auf sich warten lassen.
H. Reile
Zum Vormerken: Die nächste Kommunalwahl findet 2019 statt, OB-Wahl ein Jahr später.
Mehr zum Thema:
28.02.18 | Eilmeldung zur Petition Nix: Verwaltung macht jetzt Druck auf StadträtInnen
26.02.18 | Was nun, Herr Osner
Liebe Frau Bernecker – ich halte die gegenwärtige Situation in Konstanz gegenwärtig für fortschrittlicher. Obwohl sicher noch viele Menschen den Weg in basisdemokratische Initiativen finden müssen. Hinter dem Horizont geht´s weiter möchte ich beinahe sagen. In der Rückschau haben es die Bürger*innen mit Mut und Energie immer wieder einmal geschafft ganze Stadtteile zu retten. Beginnend in Berlin SO 36 etc. Gegen den heftigsten Willen der SPD. Einheimischen gelang es neben Wohnungsbaugenossenschaften auch eine weltweit attraktive Kulturszene „in Gang zu bringen“ – und der Kulturkampf sprang auf andere Bezirke über. Ähnliche Vorgänge sind auch aus Freiburg, Zürich, Stuttgart oder Konstanz (?) bekannt. Als hier der Grundstein für das Forum Langenargen gelegt wurde konnte sich niemand vorstellen, gegen politische Einschüchterungsversuche und Bauspekulation die geringste Chance zu haben. Nun halten uns seemoz, Holger Reile und all die anderen mutigen Geister wach. Die Ravensburger Räuberhöhle wurde unter Denkmalschutz gestellt und erste GemeinderätInnen beginnen ihren Blick schärfen und die Ohren aufzusperren. Später wird es vielen RätInnen höchst peinlich sein, dass sie nicht schon beim Start dabei waren.
Hier muss man zwei Dinge unterscheiden:
a) da die betreffende Sitzung nichtöffentlich war, gilt § 35 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg uneingeschränkt
b) die Hinterfragung durch vorausschauende Gemeinderäte, warum dieser Sachverhalt nicht-öffentlich statt öffentlich verhandelt wird, hätte bei Ankündigung des Vorgang durch ein Rechtsmittel beim Regierungspräsidium erfolgen müssen und damit (vielleicht) von nicht öffentlich in öffentlich geändert werden können.
Liebe Dame, lieber Herr,
die „Kommunale Selbstverwaltung“ ist etwas sehr Schönes – in der Theorie. Nach meinen Erfahrungen hat fast jeder Gemeinderat/Stadtrat höchst wahrscheinlich eigene Wünsche an den Bürgermeister, den er öfter im Leben sieht als einen oder mehrere Bürger, die das gleiche Ziel verfolgen.
Lieber Herr Groß, Sie täuschen sich, der Fall Nix ist eine Ausnahme, denn auch bei uns sitzt der Großteil der Bürgervertretung tief im Schatten eines OB, für den Konstanz ein riesiger Abenteuerspielplatz ist, auf dem dieser sich, auf Kosten der Bevölkerung, selbst verwirklichen kann. Und wenn es nix mehr zu spielen gibt und das Geld-Säckel leer, wird er weiterziehen.
Oh glückliches Konstanz. Bei euch gibt es wenigstens RätInnen die sich auf einen Dialog mit den BürgerInnen einlassen. Manche kennen ja noch unsere Auseinandersetzung mit Land-, Kreis und Gemeinderäten u.a. wegen der schlechten Bodensee Card. Am nördlichen Bodenseekreis ist ein Dialog nur sehr selten möglich – ein Teil der Räte scheint es, hat Bohnen in den Ohren, andere sind möglicherweise Knechte der Verwaltung und meinen, dass es den Einheimischen nichts ausmacht jährlich 50 bis 100 Euro (pro Kopf), von ihrem, bereits mit ca. 50% , Abgaben belasteten Einkommen für die Tourismusförderung auszugeben, einschließlich kostenloser ÖPNV – Nutzung für die Gäste. Touristen bezahlen bei euch übrigens auch nur 40 Cent für den Tagesfahrschein im Gesamtnetz. Ein Preis von dem ÖPNV- NutzerInnen und Leistungsempfänger nur träumen können! Die erste Erfahrung war, wir wurden von den Räten beschimpft: „Ihr habt uns gewählt – ihr müsst mit unseren Beschlüssen leben.“ Die zweite Erfahrung war: Wir mussten uns vor den Verwaltungsgerichten Bürgerrechte sehr teuer „erkaufen“. Die Anwaltskosten waren recht hoch in den vergangenen Jahren. Die 3. Erfahrung war: Viele Räte meinen immer noch über der Rechtsprechung zu stehen. Allein aus diesen Erfahrungen hat sich die Meinung bei uns verfestigt, dass alle Empfänger öffentlicher Leistungen zu jedem Zeitpunkt Auskunft geben müssen, wie es eben auch Leistungsempfängern (Hartz IV) zugemutet wird. Jeder Rat sollte zu jeder Zeit sein Abstimmungsverhalten, mit Ausnahme geheimschutzrelevanter Fakten ( Schutzräume, Zeugenschutz etc.) öffentlich bekanntgeben und einen Dialog möglich machen. Die 4. Erfahrung: Beginnt umgehend mit der Befragung der RatskandidatInnen bezüglich der kommenden Kommunalwahl nach dem „wohin die Reise geht“. Wir legen legen unsere Befragungen künftig in schriftlicher Form v o r den Wahlen vor und zwar so rechtzeitig, dass Nachfragen möglich sind.
Viel Erfolg und freundliche Grüße vom anderen Ufer.