Singen: Der GVV-Skandal und andere Unklarheiten

seemoz-GrundlerWas ist los in der Stadt unterm Hohentwiel? Kurz vor den Kommunalwahlen flattern teils unappetitliche Gerüchte durch die Gassen, seitdem Roland Grundler, Geschäftsführer der städtischen GVV, seinem Leben ein Ende setzte. Dazu: Ein abgewählter Oberbürgermeister kann seine Niederlage nicht verkraften. Ein regional bekannter Internetmarodeur mischt fleißig mit und manche gehen ihm auf den Leim

Der Kommunalwahlkampf 2014 steht unter einem besonderen Stern, denn gleich drei frischgewählte Oberbürgermeister wollen in den Konstanzer Kreistag gewählt werden. In Konstanz und Radolfzell wechselten die Parteifarben, in Singen siegte Bernd Häusler ganz knapp im zweiten Wahlgang gegen seinen CDU-Parteikollegen und bisherigen Amtsinhaber Oliver Ehret. Ehret wollte wieder für den Kreistag auf der CDU-Liste kandidieren, bekam aber schon vorab von den Parteigremien eine Abfuhr.

Ehret, der sich mit Wohnsitz in Hausen an der Aach als Berater für kommunale Angelegenheiten selbständig gemacht hat, findet sich mit der Wahlniederlage vom letzten Sommer nicht ab, zumal die Aufarbeitung und Bewältigung der finanziellen Schräglage der städtischen Wohnbaugesellschaft GVV trotz der Einschaltung von Finanzprüfern noch längst nicht abgeschlossen ist. Inzwischen wird von einer Schuldenlast von rund 13 Millionen Euro für den städtischen Haushalt ausgegangen. Mitten hinein in die Bemühungen um Transparenz erschütterte der Selbstmord des GVV-Geschäftsführers Roland Grundler die kommunalpolitische Szene. Er hatte sich vom Dach des 18geschossigen Hegau-Towers in die Tiefe gestürzt (s. Foto: Die „Macher“ der Singener GVV auf einem Bild mit Verbandsdirektor Friedrich Bullinger (vorne Mitte) beim 25jährigen Jubiläum: Aufsichtsratsvorsitzender Oliver Ehret, Geschäftsführer Roland Grundler und dahinter, zwischen beiden, Dr. Hans-Joachim König, Hausjurist und Schöpfer der Bauherrengemeinschaft des Hegau-Towers).

Gerüchte, Hochstapler und Internet-Polemik

Seither tobt es in der Gerüchteküche der Hohentwielstadt: Schuldzuweisungen zum Tod des GVV-Managers reißen nicht ab. Die haben skurrile Züge angenommen und spielten sich erstmal im Internet ab. Am 2. Mai sollte eine Bürgerinitiative für Transparenz und Aufklärung rund um die GVV-Situation gegründet werden. Die Vorbereitung platzte just an Gründonnerstag, als Initiator Gerd Kauschat, selbst auf Platz 10 der Liste der Grünen zur Gemeinderatswahl in Singen, feststellen musste, dass er auf der Internet-Plattform „kunsthallenareal.de“ dem polizeibekannten Hochstapler Thomas Vogel aus Watterdingen aufgesessen war. Auf seemoz-Nachfrage räumte Kauschat ein: „Das war ein Fehler, ich habe nicht aufgepasst“.

Einladung zum zweiten Treffen der Bürgerinitiative „Transparenz für Singen“Am 2.5.2014 gründete sich in Singen die Bürgerinitiative „Transparenz für Singen“. Kritische Bürgerinnen und Bürger fanden sich zusammen, um in eigener Verantwortung die Geschehnisse im Umfeld der GVV und das finanzielle Gebaren der Stadt an sich unter die Lupe zu nehmen.Die Organisatoren sind nicht bereit, dass Thema mit der völlig unglaubwürdigen Begründung „Herr Grundler war an allem schuld, und er hatte schon seit Jahren Depressionen“ einfach zu den Akten zu legen. Einfach ohne Vorlage der Ergebnisse der Wirtschaftsprüfung und eines Sanierungskonzeptes Geld nachzuschießen, halten wir für falsch. Die Zeche für das unverantwortliche finanzielle Gebaren der Stadt wird, auf Jahre hinaus, der Bürger zahlen.Zu einem zweiten Treffen werden am Donnerstag, 8.Mai, um 19 Uhr alle interessierten Bürgerinnen und Bürger ins Gasthaus „Kreuz“, Mühlenstraße 13, eingeladen.

Thomas Vogel, der immer wieder durch seltsame Aktionen im Internet auffällt, reicherte die vor sich hindümpelnde Homepage des Singener Kunsthallenareals an, indem er anklingen ließ, Grundler sei eventuell Opfer eines organisierten Mordplans gewesen. Thomas Vogel bezeichnet sich auch gerne als „Staatssekretär“ des Kings of Marduk, einem von ihm selbst ins Leben gerufenen Fantasiestaat. Überregional ins Gespräch brachte er sich, als er vor Jahren einen gefälschten Picasso im Konstanzer Inselhotel versteigern wollte, das Geschäft aber aufflog. Doch Vogel findet immer wieder einen Dummen: Einem naiven Gewichtheber aus Überlingen am Ried verkaufte er für angeblich 130 000 Euro die Liebesinsel bei Radolfzell. Dass der Kaufvertrag einer Überprüfung nicht stand hält, ist anzunehmen. Als Vogel vor einigen Jahren behauptete, detaillierte Kenntnisse über die Gefangenschaft der Österreicherin Natascha Kampusch zu haben, rückten Staatsanwälte aus Österreich im Hegau an.

Aufgesessen bei dieser Märchengeschichte war ihm damals auch der Singener Südkurier-Lokalchef Jörg Braun, der Vogel ernst nahm, dessen krude Thesen verbreitete und damit sich und seinen Arbeitgeber lächerlich machte. Zuletzt gruppierten sich ein gefeuerter Bankdirektor und ein angebliches Sparkassen-Opfer um den schrillen Vogel aus Watterdingen. Querverbindungen gab es zudem zu Oliver Ehrets Homepage, die zu weiteren Schuldzuweisungen nach dem OB-Wahlkampf reaktiviert worden war und unter anderem anklingen ließ, dass es bei Ehrets überraschender Abwahl nicht mit rechten Dingen zugegangen sei.

Finanzblase hinter der städtischen Baugesellschaft

Bereits im OB-Wahlkampf war spürbar gewesen, dass hinter der scheinbaren Erfolgsgeschichte der GVV eine größere Finanzblase steckte. Zuletzt waren „Swaps“ zur Finanzierung mehrerer Großprojekte genutzt worden, also hochspekulative Optionsgeschäfte, um eine Absicherung gegen steigende Zinsen zu haben. Sind aber Grundgeschäft und Derivat nicht deckungsgleich, ist das Finanzierungsrisiko einseitig zu Lasten des Kunden verschoben. Im letzten Sommer platzten einige kommunale Finanzierungen von kommunalen Großprojekten in ganz Europa. Als Swap-Geschäfte auch der GVV mitten im OB-Wahlkampf bekannt wurden, wollte kein Wahlkämpfer sich des Problems annehmen: Zu viel Komplexität traute man dem Bürger nicht zu. Mehrere GVV-Mitarbeiter warben für Ehret, Häusler hingegen versprach, sollte er die Wahl gewinnen, eine genaue Analyse der GVV-Finanzen.

Die alten Wahlkampfparolen haben sich gehalten: Als Bürgermeister, der für die städtischen Finanzen zuständig war, habe Häusler auch die Kassenlage der GVV nur zu genau gekannt, sie aber tunlichst verschwiegen, heißt es auch heute noch. Doch die kommunalen GmbHs waren in Singen Chefsache, nicht nur das Krankenhaus sondern eben auch die GVV. Die Aufsichtsräte waren zu äußerster Geheimhaltung verpflichtet, rein gar nichts sollte nach draußen dringen. Eine Episode reicht in die Amtszeit von Oberbürgermeister Andreas Renner zurück: Ein Gemeinderat, der von Beruf Polizist war, weigerte sich, gegenüber seiner Fraktion auch nur die geringsten Auskünfte zu erteilen .

Das DAS-Desaster

Es gab zwei große „Baustellen“ der GVV, das Finanzierungssystem rund um den Hegau-Tower und das Kunsthallenareal, dessen Überplanung und Sanierung der frühere Oberbürgermeister Oliver Ehret der GVV auf das Auge gedrückt hatte. Das Dienstleistungsareal ( DAS 1 bis 3) glich einem Verschiebebahnhof. Die Rechtsanwaltskanzlei Schrade und Partner begann als Mieter im DAS 1 und wurde Mitbesitzer und Bewohner im Hegau-Tower. Das DAS 2 wurde zum Teil Technisches Rathaus, dann kam das neue Polizeirevier im Auftrag des Landes hinzu. Beim DAS 3 fing schon die Mietersuche an. Für das SinTec, einem im Vorfeld hochgelobten Gründerzentrum, mussten jetzt 700 000 Euro Landeszuschuß von der Stadt zurückgezahlt werden. Das Land hatte laborfähige Räume für Existenzgründer bezuschusst, die SinTec auch versprochen hatte,doch die blieben schlichtweg aus.

Und trotz dieses Szenarios wurde mit dem Bau des Hegau-Towers begonnen. Die Singener Gemeinderäte erlebten 2007 ein Wechselbad der Gefühle, denn zur künftigen Auslastung und den Grad der Vermietung gab es ständig wechselnde Zahlen: 50 Prozent? 80 Prozent? 60 Prozent? Das Regierungspräsidium monierte die Haushaltslage der Stadt: Nicht wegen der städtischen Finanzen, sondern wegen der Überschuldung des „Konzerns“ Singen, wozu auch das Krankenhaus gehörte. Zudem hingen alle zu großen Teilen am Tropf der Sparkasse Singen-Radolfzell.

Als hundertprozentige Tochter der Stadt Singen durfte die GVV den Hegau-Tower nicht alleine bauen, also wurden künftige Nutzer als Bauherren mit ins Boot genommen. Neben Schrade und Partner war das auch die Firma Nexus (Softwarelieferant für Krankenhäuser) aus der Zehnacker-Gruppe, vertreten durch Nikolai Burkart. Nexus, damals in Villingen ansässig, war als Mieter schon zu Zeiten von OB Andreas Renner im Gespräch. Doch deren Forderung, dass das Singener Krankenhaus Referenzklinik für ihre Krankenhaus-Software werden müsse, hatte Renner rundum abgelehnt. Kuriosum am Rande: Dr. Hans-Joachim König von Schrade und Partner, die die Tower-Konstruktion auf den Weg gebracht hatten, war auch Aufsichtsratsvorsitzender von Nexus gewesen und später Präsident des FC Singen, wo Roland Grundler bis zu seinem Tod Vorsitzender war. Beide hatten Söhne, die talentierte Fußballer waren.

Die Auslastung des Towers war stets geheimnisumhüllt. Eine Etage war zum Hotel umgebaut worden, das Lokal im Erdgeschoss wechselte den Pächter. Die GVV residierte möglicherweise gar mietfrei im Gebäude, andererseits hatten Mietgarantien bei ihr als Lockmittel für andere immer eine große Rolle gespielt. Mit Frank Bonath wurde der Wirtschaftsprüfer der GVV als Interims-Geschäftsführer bestellt, um die Restrukturierung der städtischen Tochter weiter zu betreiben.

Schuldzuweisungen um das Kunsthallenareal

Inzwischen war das Kunsthallenareal als zweite „Baustelle“ der GVV eröffnet worden. Ex-OB Andreas Renner hatte zur Refinanzierung der Singener Stadthalle für die Kunsthalle einen Verkaufswert von 500 000 Euro einsetzen lassen. Doch wer sollte die Kunsthalle, das eher an ein ausgebeintes Theater erinnert, überhaupt kaufen? Zur Realisierung einer Einkaufsmall mit Zugang direkt an der Fußgängerzone August-Rufstraße war der Erwerb eines angrenzenden Eckgrundstücks vorgesehen, das einer alten Dame aus dem Stuttgarter Großraum gehörte. Die Verhandlungen und den Kauf hatte Ehret zur Chefsache erklärt. Das klappte nicht. Gleichzeitig hatte die GVV weitere Grundstücke im Areal aufgekauft; wohl zu überhöhten Preisen. So auch eines von Klaus E. Bregger, dem früheren Bundesvorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung. Im Gespräch war damals schon die Otto-Gruppe, die jetzt lieber am Bahnhof in den heruntergekommenen Holzer-Bau investieren will. Das Scheitern beim Projekt Kunsthallen-Areal schob Ehret der einflussreichen Singener Familie Netzhammer in die Schuhe, der nicht nur das Grundstück direkt hinter der Kunsthalle gehört sondern auch ein angrenzendes Grundstück, auf dem die BW-Bank steht.

Die aktuelle und heiß umstrittene Planung eines großen Einkaufszentrums mitten in der City ist vorläufig gescheitert, die Stadt kauft jetzt zu dessen Rettung Grundstücke zurück. Grundlers Selbstmord hat die Menschen schockiert. Spekulationen hatte der offizielle Polizeibericht ausgelöst, als dem verstorbenen GVV-Geschäftsführer Depressionen attestiert wurden. Fakt allerdings ist, dass Grundler im Beisein seiner Ehefrau bereits Anfang des Jahres gesagt worden war, sein Vertrag mit der GVV im kommenden Jahr würde nicht verlängert werden. Er befand sich zuletzt offenbar auf Jobsuche. Als letzte Selbsteinschätzung steht die Aussage im Raum, er habe seine Familie ruiniert. Wusste hier ein getreuer und zutiefst loyaler Diener zweier Oberbürgermeister einfach nicht mehr weiter?

Autor: Fritz Waldesruh