Der Klima-Blog (100): Von Konstanz nach Montreal
Während der letzten Wochen tagte in Montreal die 15. Weltnaturkonferenz (CBD COP15C). Mit dabei war unter anderem die Konstanzer SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl. Am Ende des Kongresses einigten sich die Vertreter:innen von 192 Ländern auf das Ziel, bis 2030 mindestens dreißig Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen (das sogenannte 30×30-Ziel). Wie sind die Reaktionen in Konstanz? Und ist Montreal 2022 ein so wegweisendes Ereignis wie die Pariser Konferenz von 2015?
Die schweren Bedrohungen, die aus dem Gleichgewicht geratene Ökosysteme nach sich ziehen, scheinen auch Lina Seitzl bewusst zu sein. Jedenfalls schreibt sie nach Annahme des 30×30-Ziels in einer Pressemitteilung zum Abkommen: „Es ist ein großer Durchbruch für den Kampf gegen das Artensterben und den Verlust wertvoller Ökosysteme.“
Ist das zu hoch gegriffen? Bei den Scientists for Future Konstanz herrscht eine positive Stimmung zu den Vorsätzen der COP15C. So kommentiert der Konstanzer Biologe Prof. Christian Voolstra: „Kudos to the Unterhändler“ (Ruhm den Unterhändlern), „die einen fantastischen Job gemacht haben … Das ist ein großer Eureka Moment!“. Und Prof. Mark van Kleunen, ebenfalls Biologe an der Uni Konstanz, führt aus: „Ich bin sehr positiv überrascht, dass das 30-Prozent-Ziel bis 2030 in die Abschlusserklärung aufgenommen worden ist. Also, es ist für mich schon ein Paris-Moment. Es ist ein riesiger Schritt vorwärts.“
Voraussetzung: Umstrukturierung in allen großen Bereichen
Um die Vorsätze umzusetzen, brauche es auch ein Umdenken bereits bestehender Finanzierungen, schreibt MdB Seitzl auf Instagram. Vor allem umweltschädliche Subventionen müssten drastisch reduziert und das Geld besser in nachhaltige Projekte, unter anderem den Artenschutz, investiert werden. „Wo das Geld der beteiligten Staaten hinfließt, ist ausschlaggebend für den tatsächlichen Erfolg der Konferenz. Der globale Norden muss den Süden unterstützen und diesem auf Augenhöhe begegnen, das ist ein wichtiger Teil des Abkommens”, betont sie. Deshalb müssten in der Zusammenarbeit für den Artenschutz indigene Gemeinschaften aktiv mit eingebunden werden und die Veränderungen mitgestalten. Auch die Bewältigung der Klimakrise verlange ein grundsätzliches Umdenken in allen Bereichen.
Gibt es für diese Umstrukturierungen die nötigen Grundlagen? Im Moment kostet Artenschutz Geld, Naturzerstörung dagegen bringt Geld, etwa durch den landwirtschaftlichen Anbau auf Regenwaldflächen oder erhöhte Exporte. Die „Länder, die noch intakte Natur besitzen, sind oft arm und ihre Regierungen korrumpierbar; die haben schon in der Vergangenheit ihr Volk und ihr Land verkauft … Und damit rechnen die Befürworter“, kritisiert die Konstanzer Eine-Welt-Promotorin Monika Sarkadi. Aktivist:innen fordern aufgrund dieser Problematik Ausgleichszahlungen. Bisher gibt es dafür aber kaum Zusagen. Problematisch am Umgang mit den indigenen Völkern findet sie auch, dass die Betroffenen bei internationalen Verhandlungen im Verhältnis zu den Lobbys chronisch unterrepräsentiert seien. „Da muss die Politik mutiger werden. Denn nicht nur der Globale Süden, sondern auch der Norden ist deren Spielzeug.“
Der große Knackpunkt aber ist, da sind sich alle Befragten einig, die künftige Umsetzung. „Das Abkommen ist zwar völkerrechtlich bindend und alle Staaten haben sich dazu verpflichtet“, sagt etwa Kiki Köffle von Fridays for Future Konstanz. Trotzdem gibt es (wie beim Pariser Klimaabkommen) keine Instanz, die die Staaten zur Rechenschaft ziehen oder gar zu irgendetwas zwingen kann. „Bei einem so dringlichen Thema, das nicht ewig Zeit hat, ist das eher ungünstig.“
Viele offene Fragen
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass vor allem jene Flächen unter Schutz gestellt werden, bei denen dies am leichtesten ist – und nicht jene, die am wertvollsten sind. „Wer entscheidet, welche dreißig Prozent unter Schutz gestellt werden“, fragt Monika Sarkadi. Und: „Wie wird dabei vorgegangen? Was passiert mit indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften, die dort schon ewig leben und die Natur (positiv) geprägt haben?“ Deren Rechte, betont sie, müssen gesichert werden.
Zusammengefasst: Es gibt noch viele offene Fragen, vor allem das „Wie“ ist entscheidend: Wie werden die Beschlüsse umgesetzt? Wie wird sichergestellt, dass sich die Staaten daran halten? Wie werden die Rechte indigener Völker gestärkt?
Was wir heute wissen, ist: Ein Paris-Moment reicht nicht, wenn er – wie das Abkommen von 2015 – sieben Jahre später gnadenlos zu scheitern scheint. „Trotzdem dürfen wir uns nicht entmutigen lassen vom langsamen Tempo und den Misserfolgen der Vergangenheit“, sagt Köffle. „Wir müssen uns aktiv an der Demokratie beteiligen und weiterhin Forderungen stellen.“
Text: Isabelle Lindenfelser von der Klimablog-Redaktion
Fotos: Wie Artenschutz eher nicht aussieht (Pixabay), Lina Seitzl in Montreal (privat), brennender Amazonas (Initiativen gegen das geplante EU-Mercosur-Handelsabkommen)