Der Klima-Blog (88): Wer redet da von „lustig“?
Nun stehen sie wieder im Rampenlicht, die Klimaaktivist:innen der Gruppe „Letzte Generation“. Seit den Aktionen in Museen und Blockaden von Autobahnen, bei denen es – aufgrund mangelnder Rettungsgasse – zu Verzögerungen bei der Bergung einer verletzten Radfahrerin kam, rollt eine Empörungswelle durchs Land: Die Aktionen seien „kontraproduktiv“ (SPD- Bundespräsident Steinmeier), ein strafbares Vergehen (FDP-Justizminister Buschmann) oder führten „in die Sackgasse“ (Renate Künast, Grüne). Doch es gibt auch andere Meinungen – zum Beispiel in diesem Blog.
Neulich habe ich in der Zeitung folgende Zeilen gelesen und mir gedacht: es ist wieder Zeit für einen neuen Beitrag zu den Aktionen der „Letzten Generation“. Unter der Überschrift „Klimaprotest im Bundesfinanzministerium“ stand in den Badischen Neuesten Nachrichten: „Berlins Innensenatorin Iris Spranger kritisierte die falschen Feueralarme etwa im Reichstagsgebäude, in einem Bundestagsbürohaus und bei einem großen Weltgesundheitskongress. Die SPD-Politikerin kündigte Regressforderungen an und sagte: ‚Hier spielt man mit Menschenleben. Das ist nicht lustig und wird von uns auch nicht lustig empfunden‘, so die Senatorin. Es werde mit dem Feuerwehralarm gespielt – Polizei und Feuerwehr gingen aber immer von einem Ernstfall aus.“
Tja. Was soll man dazu noch großartig sagen? Mit Menschenleben spielt man nicht. Das würde ich zu hundert Prozent unterschreiben und genau das ist der Grund, warum wir von Letzte Generation Mitte Oktober den Feueralarm im Bundestag ausgelöst haben. Und zwar, weil es gerade nicht lustig ist und die ganze Sache mit Klimawandel, Artensterben und Aussterben kein Spaß ist. Nur, dass die Politik das noch nicht so richtig verstanden zu haben scheint. Oder sich mutwillig weiter an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beteiligt. Es gibt leider keine Klimanotfallknöpfe, die eine Taskforce ausrücken lassen, die alles regelt und uns in den sicheren Bereich zurück bringt.
Was wir jetzt erleben ist ein wissenschaftlich bestätigter Ernstfall. Da dürfen nicht nur Polizist:innen, Feuerwehr und Rettungskräfte von einem Notfall ausgehen, sondern auch Politiker:innen wie Iris Spanger. Müssen sie sogar.
Keine Pflicht zur Tatenlosigkeit
Wir finden das alles auch kein bisschen lustig. Im Gegenteil: Es ist nicht lustig, wenn man mitten vor zunehmend in Rage geratenen Autofahrer:innen auf der Straße klebt. Es ist nicht lustig, von der Polizei in Gewahrsam genommen zu werden. Und es ist ganz gewiss auch nicht witzig, vor Gericht zu stehen.
Aber noch viel weniger witzig ist es, wenn offensichtlich mit Leben gespielt – oder viel eher – kühl kalkuliert wird. Wenn Profite und Bequemlichkeit über das Wohlergehen von Lebewesen gestellt werden.
Das sind grundsätzlich keine neuen Infos. Da gibt es nichts, was nicht schon lange klar wäre. Nur irgendwie scheint dieser Sachverhalt noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein.
Aber wir sind nicht verpflichtet, dem tatenlos zuzusehen. Wir sind nicht aufgestanden, um jetzt im entscheidenden Moment zu schweigen. Die Zukunft liegt in unseren Händen und es ist an uns, die wir heute leben, das Beste daraus zu machen.
Text: Eileen Blum von der seemoz-Klimaredaktion
Bilder: https://letztegeneration.de/presse/pressebilder/
PS (1): Ein aufschlussreicher Bericht über die Aktionen der Gruppe Renovate Switzerland stand vor zwei Wochen in der linken Schweizer Wochenzeitung WOZ.
PS (2): Am Donnerstag, 10. November 2022, 19.30 Uhr, referiert Manuel Oestringer – Klimacamp-Blog-Autor und FFF-Konstanz-Mitglied – im Bürger:innensaal Konstanz über das Thema Klimagerechtigkeit. Mehr Infos gibt es hier.
@Martin Fehringer: Dass Sie nicht wissen, wie Klimaproteste in anderen Städten ablaufen, liegt an Ihnen und nicht darn, dass es diese Proteste nicht gäbe. Oder daran, dass „die Medien nicht so links sind wie in Deutschland“ – wobei ich ratlos bin, inwiefern die Medien für die Art des Protestes zuständig sind.
Aber damit sie mal einen kleinen Überblick haben: Seit Anfang April behindert Extinction Rebellion täglich den Verkehr in London, zudem wurden Zufahrtsstrasen zu Öllagern blockiert, ein van Gogh-Gemälde mit Tomatensuppe beworfen, Pfosten von Fussballtoren wurden während der Premier-League-Spiele erklettert, die Gruppe „Just Oil“ griff Autohändler und Kaufhäuser an. In Paris laufen die Proteste seit 2019 – dazu gehören ebenfalls Sitzstreiks auf Strassen mit festgeklebten Händen (wobei in einem Fall die Polizei die Hände einfach von der Strasse abriss), der Wurf von Nahrungsmitteln auf Kunstwerke etc. Die Staatsmacht verfolgt die Proteste genau gleich wie in Deutschland oder der Schweiz (wo es übrigens ebenfalls Sitzblockaden mit festgeklebten Händen auf Strassen gibt).
Ich nehme jetzt mal zu Ihren Gusten an, dass Sie nicht wirklich Moskauer Verhältnisse in Deutschland anstreben und Sie nur aus Versehen „Moskau“ erwähnten. Internationale Investoren sind a) in einem Staat nicht die Zielgruppe, die primär berücksichtigt werden sollte und b) interessiert diese kaum, ob nun in London, Paris, Zürich oder Berlin kurzfristig Strassen blockiert werden. Die interessieren sich eher für gute Infrastruktur (incl. Internet, Bahn und Strassen) und steuerliche Voraussetzungen.
@Martin Fehringer: die Aktionen laufen weltweit – zB. in der National Gallery in London. In London nennen sich die Aktivist:innen „Just Stop Oil“. Also erst informieren, dann schreiben.
Ziviler Ungehorsam ist so definiert, dass Mensch die Folgen seiner Aktionen ebenfalls auf sich nimmt und die Klimaaktivist*innen sind laut Presse bereit dazu. Das sollte auch gesehen werden. Ich befürchte, vor ihnen liegt ein langer steiniger Weg mit ungewissem Ausgang und zaudernden Verbündeten. Wer sich heute aus Angst vor einer „Ökodiktatur“ heraushält, dessen Kinder und Enkel werden in einer ganz anderen Welt aufwachen, in der Kriege um Ressourcen und Nahrungsmittel auf der Tagesordnung stehen. Ich selbst bin in einem Alter, in dem die bevorstehende Erwärmung der Erde Lebensjahre kosten wird. Es könnte ganze Landstriche geben, die unbewohnbar werden und arme Menschen werden weniger Mittel zum Überleben zur Verfügung haben. Ist das nicht ein originäres Thema der Linken?
Sehr geehrte Frau Blum,
Ich glaube Ihnen, dass Sie persönlich – und vielleicht auch die anderen Aktivisten – wahrhaftig der Überzeugung sind, dass ihre Form des politischen Aktionismus legitim ist, Sie quasi aufgrund der von Ihnen als Faktum angesehenen drohenden Katastrophe das moralische Recht – vielleicht sogar die Pflicht – haben, sich über Recht und Gesetzt zu stellen.
Mich würde interessieren, wo Sie das Ende der Eskalation sehen? Ab welcher Aktionsform würden Sie sagen: „Das ist zu viel, das geht nicht!“
Und auch würde mich interessieren, wem bzw. welchen politischen Interessen, Gruppierungen Sie das gleiche Recht zugestehen würden, sich aufgrund höherer (wissenschaftlicher) Einsicht und Moral über das Recht zu stellen: Abtreibungsgegnern? Abtreibungsbefürwortern? Impfgegnern? Impfbefürwortern? Rüstungsgegnern und Friedensaktivisten? Bürgerinitiativen gegen Baumaßnahmen? Bürgerinitiativen für Baumaßnahmen?…….
Mit freundlichen Grüßen
Peter Krause
Wer Menschen gefährdet und gegen den Staat ist, ist kontraproduktiv. Warum kleben die sich nicht in Paris, London oder Moskau? Weil es dort weder geduldet wird und die Medien nicht so links sind wie in Deutschland. Ein hehres Anliegend wird durch solche Aktionen konterkariert und beschädigt Deutschland bei internationalen Investoren. Dabei wollen diese nur 1: #Degrowth