Der Klimablog (92): Wer sind da die Terroristen?

Trotz Krieg, Hungersnöte, Überschwemmungen (wie in Pakistan) und Artensterben wird derzeit über kaum ein Thema so eifrig und oft überhitzt debattiert wie über die Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“. In den Feuilletons sehen Journalist:innen die Kunstwelt bedroht, bei den (wenigen) Autobahnblockaden ist oft von „Gewalt“ und „Nötigung“ die Rede, manche warnen gar vor „grünem Terrorismus. Zu Recht?

Klatsch. Zwei Dosen Tomatensuppe fliegen an Vincent van Goghs Bild Sonnenblumen. „Was ist mehr Wert? Kunst oder Leben?“, fragen die beiden jungen Frauen in „Just Stop Oil“-T-Shirts. „Interessiert euch der Schutz eines Gemäldes mehr als der Schutz unseres Planeten und der Gesellschaft?“, wollen sie wissen und ziehen hastig eine kleine Kleberflasche aus ihrem BH, um sich an die Wand vor dem Gemälde zu kleben.

Klatsch. Zwei Dosen Kartoffelbrei fliegen an Claude Monets Gemälde Getreideschober. „Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen sterben. Wir sind in der Klimakatastrophe. Und alles, wovor ihr Angst habt, ist Tomatensuppe oder Kartoffelbrei an einem Gemälde“, ruft Mirjam Herrmann (25) im verzweifelten Versuch, die Leute auf das Ausmaß der Katastrophe und die Dringlichkeit unseres Handelns aufmerksam zu machen; „Wisst ihr, wovor ich Angst habe?“

Laut wissenschaftlichen Prognosen ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass wir um 2050 herum, das heißt in weniger als dreißig Jahren, auch hier in Europa Probleme haben werden,  uns und unsere Familien zu ernähren. „Braucht es Kartoffelbrei auf einem Gemälde, damit ihr zuhört?“ fragt Herrmann in die Runde.

Der Vollständigkeit halber: Keines der Kunstwerke kam bei den Aktionen zu Schaden, da sich jeweils eine schützende Glasscheibe vor den Bildern befand. Und nein, das war kein glücklicher Zufall – es wurden mit Absicht nur gut geschützte Bilder ausgewählt.

Wie weit darf Aktivismus gehen?

„Ich habe mich gewundert, dass Menschen in der Lage sein sollten, das Erdklima zu verändern, wo wir doch auch nur Tiere unter vielen anderen Spezies auf diesem Planeten sind. Denn wenn wir es wären und das alles tatsächlich passieren würde, dann würden wir sicherlich über nichts anderes mehr reden“, sagte – nicht ohne ironischen Unterton – Greta Thunberg vor einigen Jahren. „Sobald wir den Fernseher einschalten – alles würde sich nur darum drehen. Schlagzeilen, Radio, Zeitungen … man würde nie etwas anderes hören. Als wäre ein Weltkrieg in vollem Gange.“ Und weiter: „Wenn das Verbrennen fossiler Rohstoffe so gefährlich ist, dass es buchstäblich unsere Existenz bedroht, wie könnten wir es wagen, einfach weiterzumachen wie zuvor? Warum gibt es keine Verbote?  Warum wird es nicht für illegal erklärt?“

© Nele Fischer

Recht hat sie. Eigentlich sollte man ja erwarten, dass alle über Dürren, Extremwetter, zusammenbrechende Ökosysteme und drohende Trinkwasser- und Nahrungsmittelkrisen reden. Dass nicht einfach ignoriert wird, dass das Aartal, die Hitzetoten und niedrigen Wasserpegel im Sommer keine Einzelfälle sind und die Zukunft unzähliger Menschen buchstäblich in unseren Händen liegt.

Man sollte erwarten, dass wir nicht weiter tolerieren, dass immer mehr fossile Brennstoffe in die Atmosphäre gejagt werden. Dass es einen riesigen Aufschrei gibt. Aber alles was passiert, ist eine große Aufrechung. Landauf landab stellen sich Medien die Frage: „Ist diese Protestform gerechtfertigt?“ – „Wie weit darf Aktivismus gehen?“ Und:„Welche Strafe ist für die Aktivisten angemessen? Wie werden sie zur Verantwortung gezogen?“ Dahinter steckt die weniger offen formulierte, aber tatsächlich gemeinte Frage: „Wie können wir verhindern, dass sich diese Leute weiterhin so vehement für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen?“

Antworten im Comic

Und während mit jedem weiteren Tag, der vergeht, dieser Planet mehr und mehr zerstört wird, ufert diese Debatte immer weiter aus. Stimmen werden laut, die härtere Strafen für uns Aktivisten fordern. Leute vergleichen uns mit Kriminellen, gar Terroristen.

Andere geben an, zwar durchaus hinter unserem Anliegen, aber nicht hinter der Protestform zu stehen. Sei es, weil sie tatsächlich glauben, die Aktionen würden dem Erhalt unserer Lebensgrundlagen mehr schaden als nützen. Sei es, weil sie Angst haben, sich öffentlich auf unsere Seite zu stellen und dafür heftigem Gegenwind aus Medien und Gesellschaft trotzen zu müssen.

Irgendwie muss ich an dieser Stelle an zwei Comics denken. Das erste zeigt eine Szene in einer Fridays-for-Future-Demo. Ein Journalist fragt ein Kind: „Bist du für das Klima hier, oder weil du Schule schwänzen willst?“ Worauf der Junge antwortet: „Sind Sie hier, weil Sie über den Klimanotfall berichten wollen oder weil ich Schule schwänze?“

Das zweite von Känguru-Autor Mark-Uwe Kling und Bernd Kissel ist von neulich in Der Zeit erschienen (und hier zu sehen). In ihm sagt der eine: „Solange Klimakatastrophe, Krieg und Energiekrise selbst einfach umzusetzende, effektive und nebenbei lebensrettende Maßnahmen wie ein Tempolimit abgelehnt werden, werde ich mich sicher nicht an der Ablenkungsdebatte über Sinn und Unsinn von bestimmen Protestformen beteiligen.“

© ©Tenzin Heatherbell

Leinwand oder Leben?

Aimée van Baalen, eine Sprecherin der Letzten Generation, ordnet die Aktion an dem für knapp 111 Millionen Dollar gehandelten Monet-Gemälde in den aktuellen Kontext ein: „Monet liebte die Natur und hielt ihre einzigartige und fragile Schönheit in seinen Werken fest. Wie kann es sein, dass so viele mehr Angst davor haben, dass eines dieser Abbilder der Wirklichkeit Schaden nimmt, als vor der Zerstörung unserer Welt selbst, deren Zauber Monet so sehr bewunderte?“ Und weiter: „Wir dürfen uns nicht verlieren in der Idylle auf der Leinwand, sondern müssen der Realität ins Auge blicken! Zur Bewunderung der Kunst wird keine Zeit mehr sein, wenn wir uns um Nahrung und Wasser bekriegen!“

Wahre Worte.

Inzwischen muss man kein zwischen Studien wühlender Wissenschaftler mehr sein, sondern bereits ein kurzer Blick in die täglichen Nachrichten zeigt überdeutlich: Uns läuft die Zeit davon: „China leidet aktuell unter der schlimmsten Hitzewelle der Geschichte. In Nigeria haben in den letzten Monaten 1,3 Millionen Menschen durch schwere Überschwemmungen ihre Heimat verloren, über 600 ihr Leben. Insgesamt benötigen 2,5 Millionen humanitäre Hilfe. Die Regierung muss endlich erste längst überfällige Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, um das Ausmaß der Katastrophe noch begrenzen zu können. Ihre Untätigkeit wirft die Frage auf, ob sie die Situation überhaupt noch im Griff hat – und treibt immer mehr entschlossene Menschen auf die Straßen. Durch friedlichen zivilen Widerstand stellen sie sich schützend vor alles, was wir unwiderruflich zu verlieren drohen: Sicherheit, Frieden, Demokratie und nicht zuletzt auch die Kunst.“ So steht es in einem Blogbeitrag auf der Webseite der letzten Generation, wie ich es nicht trefflicher auf den Punkt bringen können.

Mehr Spenden und Solidaritätsbekundungen

Das gefällt nicht allen. Ja, es gibt auch Menschen, die wir durch unsere Aktionen abschrecken. Leute, denen wir ein Dorn im Auge sind und die uns am liebsten im Gefängnis oder tot sehen wollen. Das ist kein Witz. Wir haben schon mehrfach verschiedenste Morddrohungen bekommen. Wegen Klima, Gemälden und Staus auf der Autobahn.

Andererseits geht die Strategie auf: Während uns auf der einen Seite der Hass immer heftiger entgegenschlägt, häufen sich auf der anderen Seite Presse- und Beitrittsanfragen, Spendenbeiträge und Solidaritätsbekundungen.

„Wenn ihr zu den Leuten gehört, die ‚eigentlich immer für Klimaschutz‘ waren, und jetzt von einer Tomatensuppe auf Van Gogh ‚total abgeschreckt‘ seid, naja, dann frage ich mich ehrlicherweise ob ihr wirklich für Klimaschutz wart – und was das für euch bedeutet.“ Sagte Luisa Neubauer. Und in einem Tweet von Sarah Bosetti heißt es: „Ich finde sogar, dass sie auch die Glasscheibe zerschlagen könnten. Solange das das #Klima rettet. Dass wir wirklich finden, ein Stück Leinwand sei bewahrenswerter als der Lebensraum aller Lebewesen um uns herum, ist absolut komplett absurd!“

Zudem sagte Bosetti in einem übrigens sehr sehenswerten Video, das sich mit genau dieser Thematik von Fakten, Protest und öffentlicher Debatte auseinandersetzt: „Es gibt eine Seite, die versucht, den Untergang der Menschheit zu verhindern und dabei aus reiner Verzweiflung Protestformen wählt, die möglicherweise die vom Straßenverkehr ohnehin gegebene Gefahren für einzelne Menschen begünstigen könnten. Und es gibt die andere Seite, die aus reiner Profit- und Machtgier jedes Jahr Millionen Tote in Kauf nimmt. Ich will euch hier echt keine Antwort aufdrängen, aber fragt ihr euch nicht auch, wer hier die wahren Klimatrerroristen sind?“

Text: Eileen Blum von der Klimablog-Redaktion
Bilder (u.a. zur Straßenblockade am 11.11. in Berlin mit dem Orchester „Lebenslaute“): Zur Verfügung gestellt von Die Letzte Generation  (https://letztegeneration.de/presse/pressebilder/)

Veranstaltungshinweis: Am Freitag, den 25. November, lädt die Gruppe „Letzte Generation“ zu einer Diskussion ins Café Mondial. Titel: „Hör dir unseren Plan an!“.