Der Klimablog (93): COP27 – immerhin ein „Immerhin“

Die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) steht kurz vor dem Ende. Der Weltklimagipfel in Sharm El-Sheikh musste sich ja vieles anhören. Greta Thunberg nannte es ein „Forum zum Greenwashing“. Gabriele Spilker, Professorin an der Uni Konstanz, umschrieb das Treffen auf dem Konstanzer Wissenschaftsforum als „Gefangenendilemma auf globaler Ebene“. Was kann man also zum Schluss von einer globalen Klimakonferenz erwarten, bei der schon die Anreise der Delegierten zu einem CO2-Desaster geriet und die von Coca-Cola und Siemens gesponsert ist? Nicht viel, aber ein bisschen schon.

An Versprechen mangelte es in der Vergangenheit noch nie, jedoch an deren Umsetzung. Dies zeigt zum Beispiel, dass nur 24 von 197 Akteur:innen ihr Klimaziel, wie versprochen, nachgeschärft haben. Und so brachte es UN-Generalsekretär António Guterres die Lage zu Beginn der Tagung auf den Punkt: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“

Die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 war bisher ein Trauerspiel. Die CO2-Emissionen zum Beispiel müssten längst stetig sinken, um das in Paris festgelegte Klimaziel überhaupt noch zu erreichen. Sogar der Generalsekretär Simon Stiell des UN-Klimasekretariats (UNFCCC) forderte in seiner Eröffnungsrede dazu auf, dieses Treffen zu einer „Konferenz der Umsetzung“ zu machen.

Kann man also einen Paradigmenwechsel erwarten? Eher nicht. Dass es weiterhin an Umsetzung mangelt, zeigen beispielsweise die fehlenden Pläne darüber, wie die Lücke bei CO2-Einsparungen geschlossen werden können. Auch verschärfen zusätzliche Konflikte die Entscheidungsfindung: der Angriffskrieg auf die Ukraine etwa, oder der Bruch auf dem gemeinsamen Klimapfad von China und den USA.

Allgemein sind von der COP27 keine Beschlüsse zu erwarten, die im Verhältnis zur Länge der Konferenz stehen. Warum? Nicht aus Faulheit, sondern weil alle Entscheidungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Nationen gefasst werden. Es wird also nach Minimalkonsens beschlossen. Steht uns der Anspruch auf Gemeinsamkeit und Augenhöhe im Weg? Das kann doch nicht wahr sein! Naja, fairerweise muss man sagen, dass es eher die starken Lobbys in einzelnen Ländern sind, die Entscheidungen erschweren, und nicht die Menge der Verhandlungspartner:innen. Gerade beim Abbau der fossilen Energien blockieren oft nur wenige Länder.

Zwei erste Schritte

Aber was tun? Ein erster Schritt hin zu einer zielgerichteten und schnellen Beschlussfindung wäre beispielsweise, die Werbung der fossilen Energieindustrie und deren Beeinflussung der Konferenz zu unterbinden. Die Konzerne sind nämlich immer noch mit Ständen auf dem „Messegelände“ der COP vertreten und beeinflussen die Verhandlungen. Ohne deren Präsenz könnten sich auch die von fossilen Lobbys beeinflussten Regierungen wenigstens im Rahmen der Konferenz etwas von deren Druck lösen. So aber erinnern sie ständig daran, wie sehr sie im derzeitigen Wirtschaftssystem die Hebel in der Hand halten.

Ein zweiter dringend notwendiger Schritt wäre einer zur Umsetzung der Beschlüsse: die rechtliche Bindung des Beschlossenen. Schließlich befinden sich die Entscheidungsträger:innen der COP nicht auf einer Teambuilding-Klassenfahrt, sondern auf der Autobahn, mit durchgedrücktem Gaspedal… ihr wisst schon. Auf die Freiwilligkeit zu setzen, genügt längst nicht mehr!

Schuldfrage geklärt?

Die Auswirkungen des Zögerns sind längst spürbar und Länder zahlen dafür, etwa in Form von Menschenleben. Das stellte beispielsweise die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, in ihrer Rede bei der COP26 vor einem Jahr klar. Dass nun die Verursacher:innen an die Kasse kommen, ist endlich – auch auf vehemente Forderungen der Jugendkonferenz hin – Schwerpunkt der diesjährigen COP: „Loss and Damage“ lautet das Stichwort. Es bedeutet: Wie können die Verursacher des Klimawandels jene entschädigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben und trotzdem am meisten darunter leiden? Eine Zahl steht schon lange fest: zwischen 2020 und 2025 sollten jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz in ärmeren Ländern mobilisiert werden. Trotzdem fließt das Geld noch nicht. Denn während Hauptemittent:innen wie zum Beispiel die USA und auch Europa gar nicht mehr von sich abzulenken versuchen, ist die Schuldfrage in anderen Fällen zum Kopfzerbrechen: Wie viel Schuld hat zum Beispiel ein Staat wie China, der viel CO2 ausstößt, jedoch hauptsächlich für den Export in die konsumierende und reichere Welt – nach Europa, Deutschland, Konstanz? Und wie rechnet man die Schuld in Geld um, das in den globalen Süden fließen muss?

Dennoch: Dass die Schuld der Industriestaaten bald ganz offiziell im neuen Klimapakt der diesjährigen Konferenz stehen könnte, ist ein gutes Zeichen. Bleibt zu hoffen, dass die Zeit – als die Gespräche über den Kopf der Betroffenen hinweg geführt wurden – endlich ein Ende hat.

Der nützliche Schauer über den Rücken

So unbefriedigend die Ergebnisse auch sein werden: Ich halte die Klimakonferenz für notwendig. Damit scheine ich nicht allein zu sein: Letzte Woche wurde auf der Wissenschaftskonferenz im Konstanzer Bodenseeforum nach einem Vortrag über die COP um ein Handzeichen gebeten, wer Konferenzen wie die COP für notwendig hält. Der ganze Saal hob die Hand.

Die COP zeigt klar: Auf Augenhöhe bedeutet, dass alle mit am Tisch sitzen. Jeder Staat hat eine Stimme. Industrienationen müssen den Konsequenzen ihres Handelns in die von Leid geplagten Augen sehen. Diese Kalter-Schauer-über-den-Rücken-Bühne ist unverzichtbar und einzigartig. Das Unglückliche an der Sache: Die Zeit tickt in Leid und Schmerz. Wir haben keine mehr und Menschenleben hängen an jedem Zögern.

Die Zeit würde jedoch auch nicht langsamer ticken ohne die Konferenz, nur vielleicht deutlich einsamer. Wenn wir nun also zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft wählen können, dann kann in der jetzigen Krisensituation schon der Aspekt des Zusammenkommens das Spiel für sich entscheiden. Hinzu kommt, dass wir in Zeiten der Krise als internationale Gemeinschaft viel verlieren. Das wirft die Frage auf, wann wir eigentlich alles verloren haben – dann nämlich, enn mit dem letzten Rest an Menschlichkeit und Augenhöhe auch der Dialog verschwindet.

Dieser Aspekt gibt der Konferenz trotz großteils ungenutzter Potenziale also ihre Daseinsberechtigung. Aber darf es deshalb eine Konferenz sein, bei der sich die Privatjets stauen? Hell no! Der Zweck heiligt nicht alle Mittel!

Text: Isabelle Lindenfelser von der Konstanzer Klimablog-Redaktion
Illustrationen: COP-Eröffnung (Screenshot eines Youtube-Videos) / COP-Eingang (© IAEA Imagebank – Day 3 at COP27, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=125207766) / Grafik: Twitter-Post

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