Der Klimablog (94): Haft in Bayern, Freispruch in Freiburg

Nach dem de-facto-Scheitern der Weltklimakonferenz (COP27) sieht die UNO kaum noch eine Chance, dass die 1,5-Grad-Erwärmungsgrenze eingehalten werden kann. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise noch zu begrenzen, braucht es einen radikalen gesellschaftlichen Wandel. Doch wer setzt ihn durch? Die Aktivist:innen der Letzten Generation, die mit Blockaden und Museumsbesuchen auf die Notwendigkeit eines schnellen Handelns hinweisen, geraten zunehmend unter Druck – und werden kriminalisiert. Aber nicht überall.

Hier eine aktuelle Pressemitteilung der Gruppe Die Letzte Generation:

München, Freiburg 22.11.2022, 11:00 – Gestern haben in München neun Unterstützer:innen der Letzten Generation Hauptstraßen blockiert. Sie tun dies, um einen Alltag zum Innehalten zu bringen, der absehbar auf den blutigen Zusammenbruch unserer Gesellschaft zusteuert. Ihr Adressat ist die Regierung, von der sie einfordern, ihren verfassungsgemäßen Pflichten nachzukommen und alles Notwendige zu tun, um Demokratie, Rechtsstaat und unsere freiheitliche Grundordnung auch über die nächsten 50 Jahre zu erhalten. Nun sind derzeit acht von ihnen in Polizeigewahrsam, drei sollen bis zum 2. Dezember in der JVA Stadelheim bleiben. Damit erhöht sich die Zahl derjenigen, die für das konsequente Einfordern von höchstrichterlich bestätigten Grundrechten in bayerischen Zellen sitzen, auf mindestens 21 Personen.

Viele Juristen betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge. Einige leiten sogar rechtliche Schritte ein. Denn in einer Demokratie ist es legitim, Widerstand zu leisten, wenn die Regierung die Verfassung missachtet. Dass dem so ist, bestätigte ebenfalls erst gestern ein Amtsgericht in Freiburg. Während Menschen in Bayern ohne Prozess in Gefängniszellen gesperrt wurden, wurde dort über drei sehr ähnliche Fälle verhandelt. Ein junger Mann hatte sich im Frühjahr 2022 an drei Straßenblockaden beteiligt, bei denen es unter anderem zu einem 18 Kilometer langen Stau auf der Autobahn gekommen ist. Das Urteil nach sechsstündiger Prüfung des Sachverhalts: Freispruch in allen Anklagepunkten.

Aktion „nicht verwerflich“

Das Gericht erklärte, dass der Verkehr zwar durchaus beeinträchtigt wurde, dies aber im Anbetracht des Klimanotfalls, in dem sich Deutschland objektiv betrachtet befinde, nicht verwerflich sei. Das Handeln des jungen Mannes sei demnach durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit gerechtfertigt. Manche der bei der Verhandlung Anwesenden blockierten direkt nach dem Urteil erneut eine Straße in Freiburg.

Nachdem bereits in den vergangenen Monaten Berliner Amtsrichter nach erster Prüfung die Ausstellung von Strafbefehlen gegen Teilnehmer:innen von Straßenblockaden verweigerten und ein Amtsgericht in Flensburg den „Hausfriedensbruch“ eines Angeklagten für nicht strafbar erklärte, reiht sich dieses Urteil in eine Serie von richterlichen Entscheidungen, die friedlichen zivilen Widerstand im Klimanotfall für juristisch angemessen bewerten.

Der deutsche Rechtsstaat ist also in der Lage, deutlich weitsichtiger und differenzierter zu agieren als dies Justizminister Marco Buschmann (FDP) erst kürzlich wieder behauptete. Am Sonntag gab er sich in der Talkende von Anne Will noch selbstsicher: Bürger:innen, die sich der Politik der Bundesregierung widersetzen, würden verurteilt, sagte er;  richterliche Entscheidungen wie die Freisprüche in Flensburg und Berlin seien Einzelfälle. Schon einen Tag später musste er diese Liste um das Urteil von Freiburg erweitern.

Alarmstufe Rot

Dazu sagt Carla Rochel, Sprecherin der Letzten Generation: “Wir begrüßen den Mut des Amtsgerichts in Freiburg, ein Zeichen für Rechtsstaat, Grundrechte und den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu setzten – ja, uns in unserem Engagement zu ermutigen. Aber selbst wenn wir wie in Bayern ohne Prozess eingesperrt werden, wird uns das nicht davon abhalten, immer wieder mit immer neuen Menschen auf die Straße zu gehen.“

Es gehe jetzt um nicht weniger als die große moralische Frage unsere Zeit, fügte sie hinzu: „Werden wir Milliarden Menschenleben aus Profitinteresse und Kurzsichtigkeit vernichten? Ja oder Nein? Die Kipppunkte beginnen bereits zu bröckeln. Alarmstufe Rot ist bereits erreicht. Wir haben vielleicht nur noch zwei, drei Jahre Zeit, um zwischen den zwei Pfaden zu wählen, von denen einer in eine gerechtere, bewusstere Gesellschaft führt und der andere in gesellschaftlichen Zusammenbruch und den Tod von Milliarden.“

Fotos: Pressestelle Letzte Generation 

 

Die Klimablogs werden von Aktivist:innen des bisherigen Konstanzer Klimacamps verfasst oder organisiert. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Frühere Blogs dieser Reihe finden Sie, indem Sie ins Suchfeld das Stichwort „Klima Blog“ [mit Leerzeichen und ohne Bindestrich] eingeben und dann auf „Suchen“ klicken.
Nicht vergessen: Am Freitag, 25. November, gibt es nach der Demo eine Diskussion zur Strategie der Letzten Generation. 18 Uhr im Café Mondial, beim Palmenhaus, Zum Hussenstein 12, Konstanz