Der Klimacamp-Blog (1): Warum Fridays nicht mehr reicht
Seit Anfang August, seit einem Monat also, steht auf dem Pfalzgarten beim Konstanzer Münster ein Klima-Camp. Aufgebaut und rund um die Uhr betrieben von Klima-AktivistInnen ist es ein Zeichen des Widerstands gegen eine viel zu zögerliche Klimaschutzpolitik und ein Zentrum, von dem viele Aktionen ausgehen (sollen). Aber worum geht es den Klima-CamperInnen? Gegen was protestieren sie? Was bewog sie zum Aufbau des Camps? Welche Forderungen haben sie an die lokale Politik? Und was erleben sie tagein, tagaus? Auf seemoz berichten sie künftig mit Texten, Fotos und Videos regelmäßig über bisherige und künftige Ereignisse, über ihre Erfahrungen, ihre Einschätzungen der politischen Entwicklungen – und ihre Lust am Widerstand. Heute lesen Sie den ersten Beitrag.
Stellen Sie sich vor, Sie schlendern durch die Altstadt und Ihnen kommt der Demonstrationszug von Fridays for Future (FfF) entgegen. Falls Sie bis dato nicht wussten, welcher Wochentag gerade war, konnten Sie sich danach sicher sein: Es ist wieder mal Freitag und die Fridays sind wieder unterwegs.
Diese Sicherheit ist seit Anfang August nicht mehr gegeben: Ab sofort können Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit Aktivist*innen von FfF begegnen – und zwar direkt neben dem Münster. Wie es dazu kam, dass wir seit einem ganzen Monat dauerhaft streiken, erfahren Sie jetzt.
Die Fridays for Future Bewegung existiert in Konstanz seit Anfang 2019. Mit der Ausrufung des Klimanotstands im Frühjahr 2019 waren wir hoffnungsvoll, dass die Politik die eindringlichen Warnungen der Wissenschaft nun endlich ernst nehmen würde; doch daraufhin folgten weder ausreichende Maßnahmen noch eine wissenschaftlich begründete Klimazielsetzung. Das für die Einhaltung der 1,5 Grad Grenze notwendige Ziel „Klimaneutral 2030“ wurde ein Jahr später sogar von zwanzig Gemeinderät*innen und dem Oberbürgermeister mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt.
Im März 2021 folgte dann in Zusammenarbeit mit dem Institut für Energie und Umwelt Heidelberg (ifeu) endlich eine verbindliche Klimazielsetzung: Ein Absenkpfad, der das Ziel hat, dass Konstanz bis 2035 nahezu klimaneutral wird. Nun wartet man auf die Klimaschutzstrategie zur Erreichung dieses Ziels, die das ifeu im Herbst dieses Jahres veröffentlichen will. Doch obwohl Ereignisse wie das Hochwasser im Westen Deutschlands uns mehr als deutlich vor Augen führen, wie ernst die Lage ist, betreibt Konstanz keinen konsequenten Klimaschutz. Abgesehen davon, dass viele einfache Maßnahmen wie eine Verkehrswende, die auch ohne Klimaschutzstrategie angegangen werden könnte, nicht konsequent angegangen werden und selbst winzige Maßnahmen, wie die Sperrung des Stephansplatzes für den Autoverkehr, nicht vorankommen, wird an vielen Stellen sogar in die entgegengesetzte Richtung gearbeitet:–
– Es werden überall in der Stadt noch immer neue Parkhäuser und Tiefgaragen geplant und gebaut. Anstatt bereits seit Ewigkeiten beschlossene Maßnahmen wie die Umwidmung einer Autospur auf der alten Rheinbrücke zu einem Fahrradschutzstreifen umzusetzen, unterstützt man noch immer den Ausbau der B33, einem Klimakillerprojekt, das jedem Versuch einer Verkehrswende in Konstanz im Wege steht.
– Anstatt eine konsequente Wärmewende voranzutreiben, bei der wir unsere Öl- und Gasheizungen austauschen, um stattdessen mit Wärmepumpen und erneuerbaren Nahwärme-Netzen zu heizen, wollen die Stadtwerke 20 Millionen Euro für den Bau einer zweiten Erdgaspipeline verschwenden.
– Anstatt konsequent günstigen, ökologischen Wohnbau aus nachwachsenden, kreislauffähigen Baumaterialien voranzutreiben, werden Grundstücke immer noch an Immobilienhaie verkauft, die dann am Ende Büros oder Luxuswohnungen in Vollbetonweise errichten. Konventionelle Investor*innen-Bauprojekte wie der Brückenkopf Nord zerstören das Klima und sind kein generationengerechter Beitrag zur Stadtentwicklung.
– Anstatt bestehende Parkflächen, wie etwa am Döbeleplatz zu nutzen, um günstige, ökologisch-autofreie Quartiere oder Grünflächen zu schaffen, soll die kostbare innerstädtische Fläche genutzt werden, um Parkhäuser zu bauen.
– Anstatt auf eine echte Reduktion unseres Konsums und unseres Energieverbrauchs hinzuarbeiten, hofft die Politik noch immer auf technologischen Fortschritt (Stichwort „Smart green city“), der ohne Systemveränderung kaum etwas bewirken wird, und schiebt die Verantwortung den einzelnen Bürger*innen zu.
[the_ad id=“80408″]
Unsere Antwort auf die Stadtpolitik ist daher: Anstatt sitzen zu bleiben und still zuzuschauen, stehen wir jetzt auf und schaffen mit unserem Protest eine Öffentlichkeit, die die Stadt dazu bringen wird, ihre eigenen Ziele ernst zu nehmen. Und dieses Mal lassen wir uns nicht mit unfundierten Vertröstungen abspeisen.
Denn eines ist klar: Die Zeit rennt. Wenn wir uns eine lebenswerte Zukunft erhalten wollen, braucht es jetzt einen radikalen Wandel! Die Lage ist ernst, das Fortbestehen der Zivilisation steht auf dem Spiel. Und deswegen können wir das Aussitzen der Politik nicht hinnehmen. Wir müssen alles dafür geben, dass die dringend notwendigen Maßnahmen auf allen politischen Ebenen sofort angegangen und umgesetzt werden.
Um das zu erreichen und den größtmöglichen Druck aufzubauen, gilt: Klimacamp – wir campen, bis ihr handelt!
Text: Frida, Corinna und Mau vom Klimacamp Konstanz
Fotos von der Demo zur offiziellen Camperöffnung am 6. August / pw
Die nächsten Camp-Termine
Montag, 6. September, 17.30 Uhr: „Fairkochen“ – alle bringen von Zuhause mit, was bald schlecht werden könnte oder nicht mehr verwendet wird. Und im Camp kochen wir dann was Tolles draus.
Dienstag, 7. September, 17.30 Uhr: Camp-Plenum. Mitstreiter*innen sind willkommen.
Mittwoch, 8. September, 15 Uhr: Podiumsdiskussion mit den Bundestag-Direktkandidierenden im Wahlkreis Konstanz – Andreas Jung (CDU), Sebastian Lederer (B90/Die Grünen), Sibylle Röth (Die Linke), Lina Seitzl (SPD). Anmeldung über die Website wählbar2021.
Interessant ist doch in diesem Zusammenhang dass seit annähern 30 Jahren Grünenpolitiker/innen auf Landes-und Bundesebene sitzen.
Die meisten haben erst einmal gelernt wie (Mann / Frau) sich den goldenen Fallschirm umschnallt.
Bürgernähe oder die Bedürfnisse der Normalos kennen auch diese Politiker nur noch aus den Anfangszeiten.
Das ist (leider) Realität.
Hallo Herr Riehle,
jeder Protest, bzw. jede Missfallenskundgebung hat nun mal in erster Linie das Ziel, gehört zu werden.
Was den Protest zum Klimawandel betrifft: Noch immer sind zu viele Entscheidungsträger*innen, in Politik,Wirtschaft und Verwaltung in alte fest eingefahrene, im letzten Jahrhundert einstudierte Schubladen-Denkmuster und Verhaltensweisen verstrickt und verhaftet.
Sich auf neue Begebenheiten einzustellen und über den Tellerrand des Gewohnten hinaus zu schauen um z. B. die Digitalisierung voranzutreiben oder sich über das, allein nur auf Profitmaximierung ausgerichtete Credo im Wirtschaften hinweg zu setzen um nachhaltige Ökonomie wenigstens im Ansatz einzuüben, fällt ihnen naturgemäß schwer.
Die Folgen sind u. a. bürokratischer Wildwuchs den nur Experten durchschauen können, technische Rückständigkeit im Verwaltungs- und Schulwesen, raffgierige Profit-Mentalität in den Management-Etagen in zumeist konventionellen Wirtschaftswelten.
Es kann sein, das sich in Vorstandsetagen etwas zum Positiven verändert und Nachhaltigkeit nicht mehr nur als leere Worthülse im „Greenwashing“ verwendet wird. Solange aber noch im Verhältnis zum omnipräsenten konventionellen Markt das Sortiment der Waren die unter wirklich nachhaltigen Gesichtspunkten produziert und angeboten werden eher überschaubar bleibt, solange ist lautstarker Protest mehr als angebracht.
Leider haben sie noch viel Einfluss, die Bosse die sich sagen: Bis jetzt ging‘s gut, weiter so. Mit solcherart Grundhaltung wirken sie auch heute noch fleißig an Gesetzen mit, die sie zu ihren Gunsten durch ihre Interessenvertreter beeinflussen können.
Das Ergebnis kennt man zur Genüge: Treibhausgase aller Art die mehr denn je weltweit freigesetzt werden, Handys deren Akku und sonstige Einzelteile man nicht selbst austauschen kann, Verpackungsmüll der sich nicht wiederverwerten lässt, Mikroplastik, Atommüll, Abgasmanipulation, Wirtschaftskartelle, Korruption und Schwarzgeldkonten, Mietwucher, Zersiedelung, Insekten- und Vogelsterben, Massentierhaltung, multiresistente Keime, usw. usw.
Komplettieren ließe sich die kleine stichwortartige Aufzählung der Missstände vermutlich nur in 1000-seitige Schwarten en masse. So bleibt nur der ohnmächtige Eindruck zurück, unzähligen Teufelskreisen die ihrerseits Teufelskreise heraufbeschwören, hilflos ausgesetzt zu sein – oder eben die Wut der Umweltschützer*innen über Fahrlässigkeit, Ignoranz und Selbstbereicherung der Mächtigen (nicht allen, aber noch zu vielen).
Was also tun gegen das „Weiter so“? Wie oben schon erwähnt und na klar: protestieren. Am besten auf öffentlichen Plätzen, logisch.
Und der Maximalanspruch der Umweltaktivisten? Verzeihung geht nicht anders. Wenn es darum geht, eine gute Verhandlungsbasis auszuarbeiten, will natürlich das Bestmögliche erreicht werden. Beispiel Tarifverhandlung: Gewerkschaft fordert 5% mehr Gehalt, Arbeitgeber sagt nein, Gewerkschaft droht mit Streik, Arbeitgeber bietet 2% mehr Gehalt usw. Am Ende der Tarifverhandlung – spätestens nach wenigen Monaten – steht hoffentlich der Kompromiss, mit dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer leben können.
Für Umweltaktivisten dauert die Verhandlung oder besser Überzeugungsarbeit in Staat und Gesellschaft aber viele Jahrzehnte länger. Es versteht sich von selbst, dass der Druck im Kessel nicht nachlassen – der Protest nicht einschlafen darf. Für´s Feuerholz – für die Energie sorgt hoffentlich für lange Zeit die junge Generation der Aktivisten mit ihrem Maximalanspruch im Umweltschutz. Auf den Kompromiss werden sie sich spätestens am künftigen Arbeitsplatz so oder so einlassen müssen.
Und natürlich: nicht auf jedem Hausdach ist Photovoltaik sinnvoll. Wenn außerdem Fernwärme, Erdwärme, Gas und Pelletheizung nicht genutzt werden kann oder will, bleibt zur Zeit eben nur das Heizen mit Strom, der sich hoffentlich aber wenigstens aus regenerativen Quellen speist. Und für Menschen auf dem Land denen aus gesundheitlichen Gründen die Nutzung des ÖPNV versagt bleibt, muss eben eine Beförderungsalternative für den Arztbesuch in der autofreien Innenstadt angeboten werden.
Im Kontext stellen sich allerdings auch die Fragen: Warum gibt es auf dem Land immer weniger Ärzte, Banken, Lebensmittelgeschäfte? Ließe sich eine Landflucht stoppen, oder sogar umkehren?
Und um es provokativ in den Raum zu stellen: ist es in Zukunft, wenn die Wetterextreme immer öfter zuschlagen sollten, überhaupt sinnvoll die Landflucht stoppen zu wollen? Seit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal gibt es jedenfalls vieles neu zu überdenken.
Dennis Riehle stellt die richtigen Fragen. Wir leben in einer Demokratie und man muss die Leute mitnehmen und überzeugen. Und man muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass alle Menschen Klimaschutz leben können.
Nicht jedes Gebäude ist für Wärmepumpen geschaffen. Nahwärmenetze fehlen größtenteils. Herstellungskapzitäten für Ökostrom fehlen. Deutschland wird langfristig Energie Importland bleiben. Wie wird der Strom dort produziert? Atomenergie? Kohle?
Der Einzelne kann nur wenig beitragen, wie z.B. Konsum einschränken, mehr pflanzliche Kost , ÖPNV benutzen usw. Aber das Eindparpotenzial wird nicht reichen, auch wenn durch die lenkende Co2 Abgabe vieles teurer wird, was sozial nicht unumstritten ist.
Die größte Sünde in Deutschland ist aber der ungebremste Flächenverbrauch. Böden können kein CO2 mehr speichern und der Energiebedarf bei der Zementherstellung für Haus- , Verkehrsinfrastruktur- und Straßenbau ist gigantisch und zieht weitere Co2 Abgaben durch Heizen und Energie-und Spritverbrauch nach sich.
Hier muss ein Umdenken passieren. Solange die QM Zahl pro Kopf ständig steigt, wird dem Problem nicht beizukommen sein.
Weltweit gesehen ist D natürlich ein kleines Licht beim Einsparpotential. Hier müsste man deutlichere Vorgaben und CO2 Zölle beispielsweise auf graue Energie von Billigimporten aus China erheben und eine längere Garantiezeit für Konsumprodukte sowie eine Reparaturgarantie über 20 Jahre.
Es ist gut von FFF, die Probleme zu benennen und ein Umdenken anzustoßen, die Handlungsfelder liegen aber vor allem auf Eu-, Bundes- und Landesebene. Der Gang durch die Institutionen wird lange dauern, vielleicht zu lange…
> Welchen Anteil der Mensch daran hat, ist schon eher diskutabel.
Lol, nein. Aber die Studienlage scheinen Sie zu kennen und sie einfach bewusst zu ignorieren. Vielleicht einfach aus der Lust, der Advocatus Diaboli zu sein.
Dabei ist der Rest des Textes so richtig. Bringen Sie sich ein, helfen Sie mit!
Nun Herr Riehle, auch 2 grosse Verbände und Organisationen, die nicht dafür bekannt sind, sozialen Unfrieden stiften zu wollen, fordern eine entschlossene ökologische und soziale Wende:
„Mit einer Neun-Schritte-Zukunftsagenda legen der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Paritätische Gesamtverband zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes ein politisches Programm für den konsequenten Aufbruch in eine ökologisch und sozial gerechte Republik vor. Ein echter gesellschaftlicher Umbau ist nur möglich, wenn man ökologischen Umbau, Naturschutz, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen denkt. Beide Verbände fordern ein entschlossenes Umsteuern der Politik, um unter anderem das 1,5 Grad-Klimaziel zu erreichen, sowie flankierende Maßnahmen für soziale Sicherheit und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.“
https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/bund-und-paritaetischer-gesamtverband-stellen-zur-bundestagswahl-gemeinsame-zukunftsagenda-fuer-die-vielen-vor-und-fordern-konsequente-sozial-oekologische-transformation/
Auch Ihre Behauptung, Herr Riehle „die wissenschaftlich propagierten Zusammenhänge von CO2-Emissionen und Erderwärmung basieren vor allem auf Modellierungen, weniger auf empirischen Belegen“ ist falsch oder, gutwillig interpretiert, zumindest sehr verkürzt und missverständlich formuliert.
Segen und Fluch des Treibhauseffekts, des Zusammenhangs von CO2-Konzentration (+ der Konzentration weiterer Treibhausgase) in der Atmosphäre und des Erdklimas, sind wissenschaftlich schon lange belegt und unstrittig.
Hier von der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ab Min.8:30 verständlich erklärt:
https://www.youtube.com/watch?v=oJ1zm65u-ck
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch massgeblicher Verursacher der aktuellen Erderwärmung ist, wird von überaus bedachten Wissenschaftlern mit 95 % angegeben: https://www.youtube.com/watch?v=oJ1zm65u-ck ab Min.18:50
Der Schweizer Klimatologe an der ETH, Reto Knutti 2019 im Interview mit der Republik:
«Beim Thema Klima agiert der Mensch komplett irrational»…«Er will es nicht wissen. Wenn ich Ihnen sagen würde: Das Flugzeug, in dem Sie sitzen, wird mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzen, würden Sie fliegen? Würden Sie nicht. Aber wenn ich Ihnen sage, dass wir mit 95-prozentiger Sicherheit sagen können, dass der Mensch beim Klimawandel der dominante Faktor ist, schliessen Sie die Augen und machen einfach weiter wie bisher in der Hoffnung, es wird irgendwie verschwinden. Aber es wird nicht verschwinden.»
Oder dies: «Der grösste Teil der Folgen des Klimawandels kann nicht rückgängig gemacht werden. Eine höhere Durchschnittstemperatur geht nicht einfach zurück, selbst wenn wir die Emissionen auf null bringen. Was kaputt ist, ist kaputt. Wenn die Meere einmal über die Ufer getreten sind, bleibt das so.»
Oder: «Die Zunahme der Schäden verläuft nicht linear. Eine Erhöhung von 1 auf 1,5 Grad ist womöglich kein Problem. Aber ein halbes Grad mehr kann katastrophale Folgen haben. Gewisse Systeme kippen irgendwann einfach. Von einem Grad mehr kann die Landwirtschaft vielleicht sogar profitieren. Es wächst mehr. Aber dann, bei bloss einem halben Grad mehr und einem trockenen Sommer wie 2018, wächst nichts mehr. Dann ist fertig. Nichts gedeiht mehr. … Beim Klimawandel empfinde ich es so: Wir springen im Dunkeln von einem Dach, ohne zu wissen, wie hoch es ist.»
Knutti sagt, aus der Sicht eines älteren Schweizers, der sich nur für sich selbst interessiere, gebe es kein Problem. «Der Klimawandel wird uns in der Schweiz in den nächsten zwanzig Jahren nicht massiv treffen. Es wird ab und zu etwas kosten. Starke Niederschläge, Überschwemmungen. Hin und wieder wird es sehr heiss, dann kostet es für die Landwirtschaft ein paar Milliarden. Für meine kleine Tochter sieht es anders aus.»
https://www.republik.ch/2019/11/23/herr-knutti-sind-wir-noch-zu-retten
Weitsichtiger als ein nur selbstinteressierter Schweizer (oder Konstanzer) Bürger, als auch die noch amtierende Bundesregierung, ist das Bundesverfassungsgericht, es entschied im April 2021, dass die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 nachbessern muss.
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/klimaschutz-gericht-klage-100.html
„Ein zentraler Satz des Gerichts lautet: Es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, „unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde“.
Auch der ältere Herr vom Santa Sede ist weitsichtiger und macht seinem gewählten Namen alle Ehre: „..,dass wir alle mutige Entscheidungen, das heißt die für einen einfachen und umweltbewusst nachhaltigen Lebensstil notwendigen Entscheidungen, treffen und uns über die jungen Menschen freuen, die sich bereits für diese Veränderung einsetzen. Und sie sind nicht dumm, denn sie setzen sich für ihre Zukunft ein. Deshalb wollen sie ändern, was sie erben werden, wenn wir einmal nicht mehr da sind.“
https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2021-09/gebetsintention-papst-franziskus-september-lebensstil-umwelt.html
Ich mache mich zwar unbeliebt, dennoch will ich die einseitig positive Darstellung des Konstanzer Klima-Camps ein wenig aufweichen. Wenngleich ich sehr viel Respekt davor habe, dass gerade junge Menschen dieser Tage mit viel Engagement für eine ökologische Wende protestieren, stört mich insbesondere der Absolutheitsanspruch, mit dem viele Umweltschützer ihre Ziele formulieren.
Ich erinnere mich beispielhaft an Aussagen von bekannten und überregionalen Akteuren der Klimabewegung, die attestierten: „Wir sind die Einzigen, die den Ernst der Lage wirklich verstanden haben“. Solche Bekundungen sind Ausdruck einer latenten Arroganz, Überheblichkeit und Egomanie, welche dazu in der Lage sind, sozialen Unfrieden zu stiften. Denn sobald Überzeugungen zu Wahrheiten stilisiert werden, bleibt keinerlei Spielraum für die in einer Demokratie notwendige Kritikfähigkeit und den unbedingten Austausch von Argumenten.
Dass der Klimawandel existiert, scheint aus meiner Sicht auch unter der Mehrheitsbevölkerung unumstritten. Welchen Anteil der Mensch daran hat, ist schon eher diskutabel. Denn die wissenschaftlich propagierten Zusammenhänge von CO2-Emissionen und Erderwärmung basieren vor allem auf Modellierungen, weniger auf empirischen Belegen. Allerdings ist es völlig unabhängig davon notwendig, dass wir unseren Lebensstil hinterfragen, weil allein der Ressourcenverbrauch durch den Menschen unverantwortlich gegenüber den folgenden Generationen ist.
In Bezug auf das Konstanzer Camp und die aufgestellten Erwartungen der Demonstrierenden möchte ich die schon desöfteren vorgebrachten Bedenken äußern: Die Maximalansprüche der Klimaaktivisten eignen sich kaum für eine politische Auseinandersetzung, weil ihnen vornehmlich konkrete Einlassungen über die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen, ihre Praktikabilität und die Alternativen fehlen, welche den Bürgern in Aussicht gestellt werden können, sobald die Pläne der Umweltschützer greifen würden.
Die Protestierenden gehen viel zu wenig auf die Ängste der Bürger ein, ihr Forderungskatalog scheint nicht mit breiten Schichten der Einwohnerschaft rückgekoppelt zu sein. Es bleiben viele Fragen unbeantwortet, beispielsweise: Wie soll ich Photovoltaik auf meinem Dach sinnstiftend und gewinnbringend installieren, wenn es eine ungeeignete Neigung und eine ungünstige Ausrichtung hat? Was macht man, wenn man ab 2026 keine Ölheizungen mehr einbauen darf, aber Fernwärme nicht verfügbar ist und man Gas als Energiequelle vermeiden möchte? Und wie komme ich vom Land in die Stadt, wenn die City für den Autoverkehr gesperrt wird und ich als schwerbehinderter Mensch zum Arzt muss – aber aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage bin, den ÖPNV zu nutzen?
Insgesamt sind die Postulate der Bewegung nicht zu Ende gedacht. Zweifelsohne brauchte es schon immer Utopien, um zu politischen Veränderungen zu kommen. Gleichsam fallen die Antworten darauf, wie die omnipotenten Anliegen so umgesetzt werden können, dass die Transformation für jeden machbar ist, recht mager aus. Es ist nicht hilfreich, bei einem so nachhaltigen und heiklen Thema derart große Spielräume für Verunsicherung zu lassen, dass sich maßgebliche Teile der Öffentlichkeit mit ihren Sorgen vor dem Umbruch alleingelassen fühlen. Insofern würde ich mir sehr wünschen, dass manche Vision des Klima-Camps einer Rationalität des Alltages und der Wirklichkeit des Einzelnen zugänglich gemacht wird.