Der Klimanotstand wird ein Riesenpaket für uns
Was treibt Menschen an, die sich seit Jahren lokalpolitisch engagieren? Der Wunsch, ihre Stadt mitzugestalten, Ehrgeiz, Freude an der Politik als (ziemlich anstrengendes) Hobby? Im zweiten Teil unseres Gespräches mit Anke Schwede geht es um konkrete Themen ihrer Arbeit im Konstanzer Gemeinderat, von Bofo bis Klimaschutz. Politische Arbeit besteht aus vielen kleinen und manchen großen Schritten, und es gilt, immer wieder neue Mehrheiten für zukunftsträchtige Themen zu organisieren.
seemoz: Es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen der Linken Liste und der Konstanzer Verwaltungsspitze nicht das beste ist.
Anke Schwede: Richtig. Insbesondere das Thema Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit von Tagesordnungspunkten führt immer wieder zu Reibereien mit dem Oberbürgermeister. Nach Paragraf 35 der Gemeindeordnung muss es eher die Ausnahme sein, Themen im nichtöffentlichen Teil der Sitzung zu behandeln. Derzeit besteht eine starke Tendenz der Verwaltung, immer mehr kontroverse Themen hinter verschlossenen Türen zu behandeln. Da sind wir mit dem Oberbürgermeister uneins, denn wir denken, dass wichtige Themen in aller Öffentlichkeit behandelt werden müssen. Transparenz ist für uns ein Kernelement der Demokratie.
Wir sind außerdem auch strikt dagegen, dass turnusmäßig die Preise für kulturelle Einrichtungen oder Schwimmbäder und Kitas erhöht werden. Aber wie das in der Politik so ist, man braucht einfach Mehrheiten.
seemoz: Ich entsinne mich noch, dass der Oberbürgermeister damals bei der Debatte um die Parkplätze am Brückenkopf Nord für Parkgebühren plädierte, mit dem Argument, was nichts koste, das werde auch nicht wertgeschätzt.
Anke Schwede: Das ist ein beliebtes Argument, das man auch immer wieder von Verwaltungsmitarbeitern wie dem Leiter des Sozial- und Jugendamts, Herrn Kaufmann, hört. Ich denke, dass die sogenannte schwarze Null bzw. die Profitmaximierung eine große Rolle spielen. Die Kassen in Konstanz sind voll, die Einnahmen der Stadt sprudeln nur so. 2018 war wieder ein sehr gutes Jahr, und unserer Meinung nach sollten finanziell schwache Menschen viel mehr davon haben.
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seemoz: Wieso hält die Verwaltung dann so eisern am Bofo fest, das ja das reinste Millionengrab ist?
Anke Schwede: Es hat sicher mit der Angst vor einem Gesichtsverlust zu tun, dass man nicht eingestehen mag, sich so getäuscht zu haben. Dazu kommt die Hoffnung, Konstanz mit vielen weiteren Millionen doch noch zu einer Kongressstadt machen zu können, wovon man sich internationales Prestige erhofft. Also heißt es: Noch mehr Werbung. Dass aber Konstanz mit der Bahn nur schwer zu erreichen ist, und der nächste Flughafen in Zürich liegt, daran kann die Stadt Konstanz nichts ändern. Dieses Haus passt einfach nicht in diese Stadt. Da hilft es auch nichts, wenn man das Stadtbild noch weiter verschandelt und mit weiteren Hotels im Hochpreissegment Kongressbesucherinnen und -besucher anzulocken versucht.
Ein anderes Argument war ja, das Bodenseeforum sei ein Haus für alle oder zumindest für die Vereine und Abibälle, aber das zieht nicht, denn dafür sind die Räume dort viel zu teuer.
Deshalb sind wir von der Linken Liste für eine geordnete Schließung des Bodenseeforum bis Jahresende, bei der die Beschäftigten in städtische Dienste übernommen werden sollen. Es darf auf keinen Fall sein, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Bofo diese Fehlplanung ausbaden müssen. Ob das Gebäude dann einer alternativen Nutzung zugeführt wird oder einen anderen Betreiber erhält, ist für uns zweitrangig und sicher auch eine Frage, bei der die IHK ein Wörtchen mitzureden hat. Wir waren von Anfang an gegen dieses Projekt und wollen, dass dort nicht noch mehr Millionen vergraben werden, die dann an anderer Stelle fehlen.
seemoz: Für das, was das Bofo inzwischen verschlungen hat, könnte man in Konstanz vermutlich den gesamten Busverkehr für drei oder vier Jahre kostenlos machen.
Anke Schwede: Dass in Konstanz Fortschritte in der Verkehrsentwicklung, also zum Beispiel die autofreie Innenstadt, so langsam vorankommen, ist sicher der zentralen Stellung des Handels und des Schweizer Einkaufsverkehrs geschuldet. Beim derzeitigen Stand des Schweizer Franken ist auch kein Ende dieser Entwicklung abzusehen, denke ich. Darauf aber die Stadtentwicklung aufzubauen, ist ein heikles Geschäft – denk‘ nur mal daran, dass die KonstanzerInnen noch vor einiger Zeit in die Migros nach Kreuzlingen pilgerten, die heute nahezu leer steht.
Außerdem setzt sich die Linke Liste seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, für einen ÖPNV zum Nulltarif ein. Warum nicht wenigstes der 1-Euro bzw. 0,50-Cent-Fahrschein wie in Radolfzell von den Konstanzer Stadtwerken bzw. dem Busausschuss in Betracht gezogen wird, ist mehr als bedauerlich.
seemoz: Was sind denn in der nächsten Legislaturperiode, sofern Du wiedergewählt wirst, wichtige Themen Deiner Gemeinderatsarbeit?
Anke Schwede: Bei der letzten Gemeinderatssitzung Anfang Mai hatten wir diesen Paukenschlag mit der Ausrufung des Klimanotstandes, womit wir die erste Kommune in Deutschland sind. Wir haben schon früh angedacht, den Klimanotstand nach dem Muster von Basel in den Gemeinderat einzubringen. Dann gewann das Thema durch „Fridays for Future“ die bekannte Eigendynamik. Der Beschluss bedeutet, dass sich in Konstanz jetzt vieles ändern muss, dass alle Projekte auf ihre Klimaauswirkungen hin geprüft werden, und dass die Verwaltung alle halbe Jahr über ihre Aktivitäten zum Klimaschutz berichten muss.
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seemoz: Was kann der Gemeinderat dabei tun?
Anke Schwede: Für uns im Gemeinderat wird es eine wichtige Aufgabe sein, viele Projekte im Interesse des Klimas abzuspecken, aber auch neue Verkehrskonzepte, wie den Nulltarif-ÖPNV zu beschließen. Wir brauchen ein lebenswertes, nicht zu sehr verdichtetes Konstanz mit vielen Grünflächen, ausreichend Luftschneisen, denn wir werden immer heißere Sommer kriegen – auch wenn es in diesem kühlen Mai gerade nicht so scheint. Das ist ja ein Riesenpaket, gerade was die Energieeffizienz und den motorisierten Individualverkehr anbelangt.
seemoz: Ist es glaubwürdig, wenn der Gemeinderat einstimmig für den Klimanotstand stimmt? Es sind doch einige GemeinderätInnen dabei, denen man das nicht abnimmt. Natürlich sind die „Fridays for Future“-Leute auch zum richtigen Zeitpunkt angetreten, nämlich kurz vor den Kommunalwahlen.
Anke Schwede: „Fridays for Future“ ist in Konstanz immer sehr gut vorbereitet und bestens aufgestellt. Bisher fühlten sich viele Menschen richtig hilflos, wenn sie die Bilder von Eisbären sahen, die nicht mehr wissen, wie sie von Scholle zu Scholle springen sollen. Aber dann kam Greta Thunberg und hat eine echte Euphorie geweckt. Sie hat daran erinnert, dass wir etwas tun können und müssen, ihr Wirken hat eine gewisse Lähmung aufgelöst und in Energie umgewandelt. Es ist klasse, dass die Konstanzer Fridays for Future-AktivistInnen den Gemeinderat gezwungen haben, genauer hinzusehen und in Zukunft darüber zu berichten, was das alles konkret bewirkt. So manchen von uns ist wahrscheinlich noch nicht klar, was damit wirklich auf uns zukommt.
Natürlich hat auch der Wahlkampf bei der einstimmigen Entscheidung eine große Rolle gespielt, da müssen wir uns keinen Illusionen hingeben. Wir alle haben schon manche neue Bewegungen kommen und gehen sehen, aber es steht zu hoffen, dass einige dieser AktivistInnen dauerhaft der Politik verbunden bleiben und das Thema Klimaschutz aufgrund ihrer moralischen Integrität erfolgreich auf der politischen Agenda halten. Ich räume dieser Bewegung große Chancen ein, dauerhaft etwas zu verändern.
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seemoz: Ist es eine Besonderheit der Kommunalpolitik, dass es weniger um Ideologien geht? Oft scheinen im Gemeinderat auch persönliche Sympathien und Antipathien eine Rolle zu spielen.
Anke Schwede: Klar, kommunalpolitische Arbeit hat auch was mit persönlichen Beziehungen zu tun. In der Kommunalpolitik geht es natürlich um Mehrheiten, und wenn man etwas erreichen will, muss man versuchen, Bündnisse zu schließen und solche Mehrheiten von Thema zu Thema zu organisieren. Zum Thema persönliche Sympathien kann ich sagen, dass mir Sonja Hotz manchmal fehlt. Sie war in der SPD-Fraktion und ist im Januar 2018 gestorben. Als ich 2014 in den Gemeinderat kam, konnte ich sie immer mal wieder fragen, wie dieses oder jenes läuft – zum Beispiel im Sozialausschuss.
seemoz: Politik, auch Kommunalpolitik, ist immer noch weitgehend Männersache, abgesehen mal von den Grünen und der Linken Liste. Auch in der Verwaltung haben wir einen männlichen Oberbürgermeister und zwei männliche Bürgermeister, und erst dann kommen vereinzelt Frauen auf der nächsten Hierarchieebene. Woran liegt das Deiner Meinung nach?
Anke Schwede: Natürlich sind auch andere Fraktionen daran interessiert, mehr Frauen in den Gemeinderat zu bringen. Aber oft ist das gar nicht so einfach, weil gar nicht genug Frauen politisch aktiv sind. Woran liegt das? Meiner Meinung nach daran, dass die meisten Frauen etwas Besseres zu tun haben als Politik zu machen (lacht). Viele trauen es sich aber womöglich einfach nicht zu, so wie es ehrlich gesagt bei mir zu Anfang auch war. Aber von Sitzung zu Sitzung lernt man dazu und sieht immer besser, wie der Hase läuft.
Mich hat damals schon enttäuscht, dass Ute Seifried 2014 nicht Sozialbürgermeisterin wurde, obwohl sie eine Interne mit den entsprechenden Fachkenntnissen war. Es wäre damals einfach an der Zeit gewesen, dass auch einmal eine Frau in Konstanz einen Bürgermeisterposten bekommt. Dass sie das kann, beweist sie ja jetzt in Singen. Eine systematische Ausschaltung von Frauen in der Lokalpolitik kann ich allerdings nicht erkennen. Ich würde trotzdem gern einmal eine Untersuchung sehen, wie oft Frauen im Gemeinderat unterbrochen werden und wie oft Männer und wem im Gemeinderat von den anderen besser zugehört wird.
seemoz: Oft wird beklagt, es hapere in der Konstanzer Politik an der Bürgerbeteiligung. Siehst Du das auch so?
Anke Schwede: Gerade wenn gebaut wird, zeigt sich, wie ernst man es mit der Bürgerbeteiligung meint, denn es gibt wohl kein anderes Thema, das die BürgerInnen derart interessiert. Konstanz entwickelt sich ja rasant und wächst und wächst, es gibt riesige Projekte wie den Hafner, aber auch die Innenverdichtung. Ich habe oftmals den Eindruck, dass die Bedenken der BürgerInnen, die ein lebenswertes Umfeld haben wollen, nicht ernst genug genommen und zu schnell abgebügelt werden. Aber auch dagegen lässt sich etwas tun.
Das Gespräch führte O. Pugliese
Das Foto zeigt Anke Schwede während der Demonstration „Freedom for Nelson Mandela“, an der am 17. Juli 1988 im Hyde Park in London mehr als 250.000 Menschen teilnahmen. An ihrer Seite Esat, viel zu früh verstorbener Freund und Genosse aus Istanbul (Quelle: privat).
Für Wissenschafts interessierte Menschen: einfach mal die Suchmaschine für zwei Begriffe bemühen: Rebound Effekt und graue Energie. Für die die weniger Zeit haben reicht als erster Anstoß vielleicht sogar Wikipedia.
GRÜNDE^
Weil das alles nicht hilft
Sie tun ja doch was sie wollen
Weil ich mir nicht nochmals
die Finger verbrennen will
Weil man nur lachen wird:
Auf dich haben sie gewartet
Und warum immer ich?
Keiner wird es mir danken
Weil da niemand mehr durchsieht
sondern höchstens noch mehr kaputtgeht
Weil jedes Schlechte
vielleicht auch sein Gutes hat
Weil es Sache des Standpunktes ist
und überhaupt wem soll man glauben?
Weil auch bei den andern nur
mit Wasser gekocht wird
Weil ich das lieber
Berufeneren überlasse
Weil man nie weiß
wie einem das schaden kann
Weil sich die Mühe nicht lohnt
weil sie alle das gar nicht wert sind
Das sind Todesursachen
zu schreiben auf unsere Gräber
die nicht mehr gegraben werden
wenn das die Ursachen sind.
(Erich Fried)
Erhellend ist hier gar nichts, liebe Frau Schwede. Der letzte Satz Ihres zitierten Artikels ist doch die eigentliche Wahrheit. Es ist längst zu spät! Auch die jungen Menschen von FfF kämpfen auf verlorenem Posten. Die Wahrheit ist doch, dass wir die letzten fünfzig Jahre derart auf Kosten dieses Planeten gelebt haben, dass diese junge Generation sich nie mehr in ein Flugzeug setzen kann ohne sich selbst zu belügen. Der Konstanzer Gemeinderat zeigt die Misere. Man trifft eine einstimmige Entscheidung, aber keiner ist bereit, wirklich etwas zu ändern. Es reicht längst nicht mehr, Gebäude zu sanieren und kostenlosen ÖPNV einzufordern. All diese von links bis rechts vorgeschlagenen Maßnahmen dienen mehr der Wirtschaft als der Umwelt und den Menschen, solange wir nicht bereit sind, Wirtschaft und Konsum grundlegend zu hinterfragen. Der Wohlstand oder besser die Art wie wir als Gesellschaft ihn definieren, ist das Problem. Was bringt es, wenn eine reiche Schweizer Gemeinde sich lokal um eine nachhaltige Energieversorgung bemüht, wenn diese Bürger jeden gesparten Franken Samstags in Konstanz in die Lieferadressen und den Einzelhandel tragen? Nichts, es ist nur eine Verlagerung der Emissionen in die Herstellungsländer unserer Konsumgüter. Wie immer belügen wir zuerst uns selbst und dann den Rest der Welt.
Für die erhellenden links vielen Dank, lieber Maik.
Ein sehr interessanter Beitrag zum Thema Grenzen des Wachstums findet sich übrigens in der aktuellen ver.di publik („Setzt die Unternehmen unter Druck“). Der ehemalige Generalsekretär des Club of Rome, Graeme Maxton, benennt in seinem neuen Buch „Change!“ Verantwortliche und bricht eine Lanze für zivilen Ungehorsam. Auch von der neuen Bewegung „Extinction Rebellion“ ist die Rede, die u. a. eine bundesweite Bürger*innenversammlung fordert, die die Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen kontrollieren und sicherstellen soll. Wäre doch auch eine Idee für Konstanz, oder?
https://publik.verdi.de/2019/ausgabe-03/gesellschaft/leben/seite-16/201esetzt-die-unternehmen-unter-druck201c
In Konstanz bunte Werbung für weniger Energieverbrauch:
http://www.wirleben2000watt.com/aktionen/
In der Schweiz werden konkrete Planungen gemacht: erst Bestandsaufnahme, dann realistische Zielsetzungen mit Bürgerbeteiligung und jährlicher Kontrolle. So würde ich es mir für Konstanz auch wünschen. Nur als Beispiel: die kleine Gemeinde Roggwil/TG:
http://www.2000-watt-gemeinden.ch/content/downloads/3staffel/Roggwil/Massnahmen.pdf