Der Krieg im Milchwerk fand nicht statt
Henning Mankell in Radolfzell, Lesung des schwedischen Krimiautors im Milchwerk – das versprach Spannung in jeder Hinsicht. Doch Spannung bescherte nur der Lesestoff. Denn die angekündigte Auseinandersetzung zwischen Juden und Palästinensern vor dem Haus fand ebenso wenig statt wie eine politische Diskussion im Haus. „Schade eigentlich“, fanden alle verhinderten Streithähne.
Gut ein Dutzend Mitglieder der jüdischen Gemeinde Konstanz und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bodensee hatten sich hinter einer israelischen Flagge vor dem Milchwerk aufgebaut und verteilten Flugblätter mit Fragen an Mankell. Der nämlich zeigt sich neuerdings nicht nur als erfolgreichster Krimiautor in Deutschland, sondern auch als politischer Aktivist. Er gehörte zu jenen Prominenten – unter ihnen auch Bundestagsabgeordnete der Linken -, die vor Wochen in einem Schiffskonvoi lebensnotwendige Hilfsgüter in den von Israel abgesperrten Gaza-Streifen bringen wollten. Die israelische Armee kaperte damals den Konvoi, mindestens neun Menschen wurden bei dieser Aktion getötet.
Am Morgen vor der Lesung hatte eine Rundmail der Jüdischen Gemeinde für eine Demonstration vor dem Milchwerk mobilisiert. Am Nachmittag folgte ein Aufruf an in Konstanz und Umgebung ansässige Palästinenser, sich vor dem Milchwerk der Diskussion mit den Juden zu stellen. „Die Gespräche waren friedlich, fast freundschaftlich, in jedem Fall ganz ohne Aggression“, berichtet Minia Joneck,Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Konstanz, „wir merkten zunächst gar nicht, dass wir Palästinenser vor uns hatten.“ Auch Aschel, Palästinenser aus Konstanz, der seinen richtigen Namen aus verständlichen Gründen in keiner Publikation lesen mag, bestätigt: „Wir waren nur wenige vor dem Milchwerk. Aber wir suchten das Gespräch und keinen Streit. Und das gelang.“
Das Gespräch suchte zunächst auch Henning Mankell, der vor Veranstaltungsbeginn zu den Demonstranten stieß und „das Recht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland lobte,“ so Minia Joneck. Mit der freien Meinungsäußerung war es dann aber im Saal nach Ende der Lesung nicht weit her. Judika Griem, Moderatorin der Lesung vom Hanser Verlag, versuchte erkennbar, eine Diskussion über politische Themen abzuwürgen. Frau Griem, die sich weiterhin mit Mankell auf Lesereise befindet, war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
„Wir hofften auf eine konstruktive Diskussion mit Mankell, der sich in letzter Zeit mit anti-israelischen Äußerungen hervorgetan hat“, so Joneck. „Aber der Starautor entzog sich der Debatte mit dem Hinweis, zwei seiner besten Freunde seien Juden und er deshalb antsemitischer Meinungen völlig unverdächtig. Das ist ein Argument, das ist ein Armutszeugnis, das wir leider immer wieder hören müssen. Als sei das ein Grund, über aktuelle israelische Politik nicht diskutieren zu wollen“, bedauert Minia Joneck.
Ein Krieg der Argumente über den Krieg in Palästina jedenfalls fand im Milchwerk nicht statt. „Eine vergebene Chance“, finden die Jüdin Joneck und der Palästinenser Aschel gleichermaßen.
Bild: Dr. Jost Hindersmann/de.wikipedia.org
Autor: H.-P. Koch