Der Meister des Grotesken Realismus

Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt gibt es in Konstanz-Petershausen seit 15 Jahren eine ganz besondere Adresse: Das Walter Trier-Archiv. Der fußballbegeisterte Trier ist den meisten von uns vor allem als Illustrator von Büchern Erich Kästners zumindest vom Sehen bekannt, aber sein Schaffen umfasst zahlreiche Gattungen, und vor allem seine (oftmals politischen) Karikaturen gehören zu den Meisterwerken ihrer Art.

Der 1890 in Prag geborene Walter Trier studierte zunächst an der dortigen Kunstgewerbeschule und Kunstakademie, bevor er bei Franz von Stuck an der Münchner Akademie sein Examen ablegte. Unmittelbar nach dem Studium war er nach Berlin abgeworben worden, wo er bis zu seiner Flucht vor den Nationalsozialisten glücklich lebte und arbeitete. Schon früh mit Berufsverbot belegt, war sein Leben aufgrund seiner politischen Einstellung und der Herkunft aus einer jüdischen Familie bedroht. Doch erst, nachdem er von einem Künstlerkollegen aus der Berliner Secession denunziert worden war und die Verhaftung durch die Gestapo drohte, floh er Ende 1936 mit Frau und Tochter aus dem geliebten Berlin. Die Stationen seines Exils waren London, Toronto und schließlich Collingwood in der kanadischen Provinz Ontario, wo er bereits 1951 verstarb. Die Erforschung des Künstlerlebens und der Zusammentrag von historischen Dokumenten ist ein wichtiger Aspekt der Archivarbeit.

Ikonen der Buchmalerei

Als Illustrator von Erich Kästners Kinderbüchern erlangte Walter Trier Weltruhm, und diese Cover sind längst Ikonen der modernen Buchmalerei. Der Autor klagte 1959: „Walter Trier ist unersetzlich. Daß dem so sei, spürte ich schon, als wir einander […] in Berlin kennenlernten und er mein erstes Kinderbuch, ‚Emil und die Detektive‘, illustrierte. Ich empfand es während des Vierteljahrhunderts unserer Zusammenarbeit stets von neuem und in steigendem Maße. Und seit er tot ist, weiß ich’s erst recht. Sein Platz ist leer geblieben.“

Das Archiv

Über die Beschäftigung mit Leben und Werk von Walter Trier hinaus liegt ein weiteres Anliegen des Archivs in dem Bemühen, der Karikatur im deutschsprachigen Raum generell eine größere Anerkennung als Kunstform zu verschaffen. Anders als im angelsächsischen Raum oder in Frankreich und Belgien führt die Karikatur bei uns nämlich immer noch ein Schattendasein. Spätestens seit den Anschlägen auf einzelne Zeichner und gegen das Satireblatt „Charlie Hebdo“ sollte jedoch allen die Sprengkraft dieser Gattung klar sein und wieviel Informationsbedarf hier wohl noch besteht.

Mit der Homepage www.walter-trier.de, seit 2005 ohne Unterbrechung online, wurde diese privat geführte Forschungsstelle 2019, in dem von Manfred Bosch akribisch zusammengetragenen und vom Stadtarchivar Dr. Jürgen Klöckler herausgegebenen Verzeichnis „Konstanz literarisch“ erstmals aktenkundig. Dort heißt es zur 1912 erbauten Villa Seegarten in der Hebelstraße: „Das Haus beherbergt das 2007 gegründete Walter Trier-Archiv, das sich der Erforschung von Biografie und Werk eines des bedeutendsten Zeichners und Illustrators (u.a. Erich Kästner) der Weimarer Republik und des Exils widmet. Es dient als Anlaufstelle für Forscher und Sammler und unterstützt regionale und internationale Projekte. Seine Gründerin […] hat selbst zwei grundlegende Darstellungen zu diesem populären Künstler vorgelegt.“

Tatsächlich sind mittlerweile weitere Publikationen dazugekommen und diverse Ausstellungsprojekte, etwa des Rostocker Kunstvereins, der gleich noch einen Wettbewerb für junge Nachwuchszeichner veranstaltete, oder eine Wanderausstellung des Wiener Jüdischen Museums zum Thema „Alle Meschugge? Jüdischer Witz und Humor“ sowie das von der deutschen Bundesregierung initiierte und finanzierte Online-Portal „Europeana Collections 1914-18“, das Material zum Ersten Weltkrieg aufbereitet und der Allgemeinheit zur Verfügung stellte.

Neben der Mitwirkung an solch speziellen Projekten steht das Walter Trier-Archiv in ständigem Austausch mit den großen nationalen Bibliotheken, etwa mit der Staatsbibliothek in Berlin, dem Exilarchiv der Deutschen Bibliothek in Frankfurt / Main, dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach oder auch der Internationalen Jugendbibliothek in München. Doch auch die Akademie der Künste in Berlin, das Centre Pompidou in Paris oder die Art Gallery of Ontario in Toronto haben sich schon wiederholt Rat und Auskunft über den weltweit bekannten Künstler in Konstanz abgeholt.

Grotesker Realismus

Schlussendlich soll mithilfe des Walter Trier-Archivs auch das Phänomen und der Stilbegriff des „Grotesken Realismus“, einer Sonderform der „Neuen Sachlichkeit“, erforscht und in der Kunstgeschichte der Moderne etabliert werden.

Dr. Antje M. Warthorst, die Gründerin und Leiterin des Archivs, studierte Kunstgeschichte und Archäologie, wobei ihr ursprünglicher Schwerpunkt auf der Malerei der Frührenaissance lag. In ihrer Dissertation hat sie sich mit der Erzählweise auf mehrteiligen Altären befasst. Doch während ihrer Tätigkeit an den Staatlichen Museen zu Berlin war sie im Rahmen von Inventarisierungsarbeiten auf Walter Trier aufmerksam geworden und verlagerte ihr Interesse auf die Bilderzählung in der Moderne und auf diesen in Vergessenheit geratenen Künstler. 1999 realisierte sie eine erste Ausstellung in der Berliner Kunstbibliothek, 2006 folgte eine umfangreiche Retrospektive im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover. Beide Ausstellungen wurden von Publikationen begleitet. 2013 folgte eine erste ausführliche Künstler-Biografie, die 2021 neu aufgelegt und durch einen Bildband ergänzt wurde. Weitere Monografien sind in Arbeit.

Text: Anna de Novembris; Bilder (c) Walter Trier-Archiv (ganz oben: „The Carzy Gang“, Gouache, 1943).