Der neue OB und das grün-rote Desaster

Dieser klare Vorsprung überraschte auch den Gewinner. In leicht verlegener Siegerpose stand Uli Burchardt im Blitzlichtgewitter schwitzender Fotografen. Sabine Reiser war das Wahlkampflächeln aus dem Gesicht gefallen, sie rang mit den Tränen. Auch Sabine Seeliger schien konsterniert und fassungslos. Nach 32 Jahren hat Konstanz erstmals wieder einen CDU-Oberbürgermeister. Verlierer sind in allen anderen Lagern zu finden, die Liste ist lang und umfangreich.

Die grüne Kandidatin Sabine Seeliger hat im Vergleich zum ersten Wahlgang nochmal zugelegt, doch es reichte nicht. Mit ihren rund 7600 Stimmen lag sie weit hinter dem Ergebnis von Horst Frank, der vor acht Jahren mit über 11 000 Stimmen im zweiten Wahlgang das Rennen für sich entschieden hatte. Klar ist: Seeliger konnte das grüne Klientel trotz größter Anstrengungen nicht hinter sich versammeln. Vielen lindgrünen Konstanzern war sie zu dunkelgrün, wie schon Südkurier-Lokalchef Jörg-Peter Rau vor Wochen unterschwellig hämisch schrieb. Auch die FGL-Fraktion stand nicht geschlossen hinter ihr, im Gegenteil. Drei Rätinnen verweigerten Seeliger die Gefolgschaft und sorgsam gestreute Intrigen durchzogen das grüne Geflecht. Spätestens seit dem KKH-Desaster ist die grüne Fraktion gespalten. Da half auch der teure Einsatz eines Moderators nicht, den man zwecks Befriedung im Frühjahr 2010 aus Freiburg hatte anreisen lassen.

Der grüne Lack der FGL ist ab

Die FGL ist nur noch ein Abklatsch dessen, was sie mal war. Man übt sich in der Begutachtung auszubauender Dachgaupen oder sorgt sich um die zu kurzen Grünphasen bei Fußgängerampeln und um den Baumbestand im Büdingen-Gelände. Bei wirklich wichtigen Entscheidungen stimmte die FGL zum großen Teil mit dem bürgerlichen Block. Der grüne Lack ist ab, und das schon lange. Dass auch Horst Frank als noch amtierender Oberbürgermeister eine innige Feindschaft mit Seeliger pflegt, ist hinlänglich bekannt. Der magere Hinweis von Seeligers Wahlkampfmanager Marco Walter, ein OB und Wahlausschuss-Vorsitzender könne und dürfe sich offiziell nicht für seine potentielle Nachfolgerin aus dem eigenen Lager aussprechen, ist natürlich dem innerparteilichen Gezänk geschuldet. Frank hätte eher seinen grünen Lieblingsschal gefressen, als für Seeliger Wahlkampf zu machen.

Sabine Seeliger wusste das und sie reagierte mit inhaltlichen Kompromissen, um aus dem konservativen Lager zusätzliche Stimmen zu ziehen. Ein kleines Zwischenhoch verspürte sie, als die nach dem ersten Wahlgang ausgeschiedenen OB-Bewerber Kaltenbach, Luithle und Tartsch zu ihrer Wahl aufriefen. Dabei hatte vor allem Tartsch kurz zuvor noch laut getönt, dass er alles dran setzen werde, um eine grüne Oberbürgermeisterin zu verhindern. Aus Seeligers vorgeschlagener City-Maut wurde somit ein Mäutchen, ihren Widerstand gegen die B 33 relativierte sie. Ob sie damit gut beraten war, wird noch länger für Diskussionen sorgen. Sabine Seeliger hat dennoch einen couragierten Wahlkampf betrieben. Auf fast allen Podien überzeugte sie mit Sachverstand und fundiertem Wissen über die Konstanzer Probleme. Damit war sie Reiser und Burchardt oft meilenweit voraus. Sie hätte ein besseres Ergebnis verdient. Es wäre schade, wenn sich das politische Talent enttäuscht zurück ziehen würde, denn ihre Niederlage haben andere zu verantworten.

Die SPD stellte sich taub

Womit wir schon bei den Konstanzer Sozialdemokraten wären. Jämmerlicher und kleingeistiger kann man wohl kaum auftreten. Brigitte Leipold, Jürgen Puchta und Herbert Weber sprachen sich öffentlich für Sabine Reiser aus, Hanna Binder unterstützte Sabine Seeliger und Jürgen Leipold, Jürgen Ruff und Sonja Hotz legten ihre Stirn in Falten und verschwanden darin. Dabei hatte Europaminister Peter Friedrich seine angeblichen GenossInnen am Bodensee vor dem zweiten Wahlgang noch gebeten, der grünen Kandidatin den Rücken zu stärken. Doch die Konstanzer SPD stellte sich taub. Auch nach Reisers schäbigem Versuch, die WählerInnen zu täuschen, kam nichts. Reiser und ihre PR-Frau Waltraud Kässer hatten öffentlich behauptet, sechs von sieben Mitglieder der SPD-Fraktion stünden hinter Sabine Reiser. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten sich Leipold, Ruff und Hotz laut und vernehmbar, und nicht nur auf seemoz, gegen diese Vereinnahmung wehren müssen. Aber sie zogen es vor, den Dingen ihren unheilvollen Lauf zu lassen. Eine ganz schwache Vorstellung der Konstanzer SPD, die auch Auswirkungen haben könnte auf die Kommunalwahlen 2014. Da steht eine dicke Rechnung aus.

Sabine Reiser hatte mit dieser deutlichen Niederlage nicht gerechnet. Nach dem ersten Wahlgang noch vorne, landete sie nun weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Nach groben Schätzungen hat sie mindestens 80 000 Euro in den Sand gesetzt. Auch der dritte Anlauf, ein politisches Spitzenamt zu erobern, ging in die Hose. Langsam entwickelt sich die Stuttgarter Regierungsrätin innerhalb der CDU zur weiblichen Ausgabe von Oswald Metzger, der auch regelmäßig mit seinen Kandidaturen scheitert. Man kann Reiser attestieren, dass sie unermüdlich und höchst motiviert gekämpft hat. Aber ihre Auftritte wirkten oft gestanzt und zu einstudiert. Vielen KonstanzerInnen ging es auch schlichtweg auf den Keks, dass man alle naselang über die CDU-Kandidatin stolperte und das Gefühl hatte, Frau Reiser steht hinter jedem Eck, rund um die Uhr bereit zur Attacke. Dieses PR-Konzept wirkte aufdringlich und überzogen. Manchmal ist eben weniger doch ein bisschen mehr. Schwach auch, dass sie bis zum Wahltag an der Lüge festgehalten hat, die SPD-Fraktion stünde mehrheitlich hinter ihr. Das hat Stimmen gekostet. Sabine Reiser und ihre Freundin und Beraterin Waltraud Kässer werden Gesprächsbedarf haben.

Der flotte Konservative mit etwas Öko-Touch

Nun also Uli Burchardt. Der Unternehmensberater wird am 10. September offiziell in sein Amt eingeführt. Dass er lediglich von rund 17 Prozent der Wahlberechtigten zum OB gekürt wurde, ist nicht sein Problem. Burchardts Stimmen kommen aus fast allen Lagern, auch aus dem grünen. Es ist vornehmlich der saturierte Mittelstand, der den netten Förster und Marketingexperten an die Spitze der Verwaltung hievte. Für diese Wählerschicht war Seeliger zu grün, dann doch lieber einen flotten Konservativen a la Andreas Renner mit etwas Öko-Touch. Das sollte reichen.

Nein, direkt versprochen hat er nichts während der vergangenen Wochen. Aber Burchardt hat Begehrlichkeiten geweckt, an die ihn seine WählerInnen und so gar nicht uneigennützigen UnterstützerInnen nach kurzer Eingewöhnungszeit nachhaltig erinnern werden. Dazu brachte Burchardt überwiegend Projekte in die Diskussion ein, die entweder schon verwirklicht wurden oder einfach nicht realisierbar sind. Der Mann steht vor einem Riesenberg und wird schnell merken, dass die Luft da oben ziemlich dünn ist. Ich bezweifle weiterhin, ob Uli Burchardt dieser Aufgabe gewachsen ist, würde mich aber – zum Wohle aller – gerne vom Gegenteil überzeugen lassen.

Nur: Die Zeit drängt und Worthülsen und Floskeln werden uns nicht weiter helfen. Ende des Monats fällt eine Vorentscheidung über die Zukunft des Klinikums. Was tun, wenn Singen aussteigt? Wie sehen die Alternativen aus? Wie weiter mit dem Kompetenzzentrum? Was passiert bei Centrotherm? Wo soll auf die Schnelle Wohnraum nicht nur für StudentInnen geschaffen werden? Bewegt sich Entscheidendes in der Verkehrsfrage, oder werden wichtige Projekte auf die lange Bank geschoben? Wie arbeitet sich der neue OB in den Doppelhaushalt ein, dessen Beratung vor der Tür steht? Fragen, die auf durchdachte Antworten und rasche Umsetzung warten. Wolkenschieberei und Wahlkampf war gestern. Jetzt geht es ans Eingemachte.

Autor: H.Reile