Der Reichste bitte

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Mitglied des Konstanzer Gemeinderates zu sein, das bedarf schon eines feinen Sinnes für die verborgenen Reize der nahenden Apokalypse: Die zerbrechliche Schaluppe des Konstanzer Stadtsäckels ist allseits von den Weißen Haien der drohenden Pleite des Krankenhauses und des Verkehrskollapses um Bodanstraße und Bahnhof umgeben, der Kapitän hält den Blick strikt nach oben gerichtet, und die Gemeinderätinnen und -räte rudern konsequent nach vorn, wobei die Meinungen darüber, wo vorne denn sei, erheblich differieren.

Einzig die beiden Katamarane halten noch Kurs auf dem Bodensee, aber wie lange man sich die noch leisten will, mag bisher niemand so recht entscheiden. Viele Torpedos also im Haustümpel des Konstanzer Eigendünkels.

Teil eins

Konstanzer Gemeinderatssitzungen sind nicht gerade Publikumsmagneten, nur selten erreicht die Zahl der Besucher jene der Gemeinderatshäupter, und das kommt nicht von ungefähr. Der Unterhaltungswert zumindest dieser in ihrem öffentlichen Teil sechsstündigen Sitzung ging für Besucherinnen und Besucher meist gegen null. Aber eine Gemeinderatssitzung hat auch nicht die Aufgabe, die Besucher, den OB, den Rest der Verwaltung oder gar die Gemeinderätinnen und -räte zu unterhalten, sondern mehr oder minder wegweisende Entscheidungen zu treffen.

Henneberger abgewatscht

Die Hauptaufgabe der Gemeinderätinnen und -räte ist es, so scheint es dem Besucher, sich vom OB, Bürgermeister Boldt und anderen aus der Verwaltung an der Nase herumführen zu lassen. Der Theorie nach führt die Verwaltung, deren Spitze der OB ist, die Beschlüsse der gewählten Vertreter des Volkes, der Gemeinderätinnen und -räte also, aus. Außerdem legt die Verwaltung den Gemeinderätinnen und -räten aus ihrer Sachkenntnis heraus Vorschläge vor, die die Gemeinderätinnen und -räte beraten und abstimmen. Und vor allem informiert die Verwaltung den Gemeinderat umfassend. Sollte man denken, denn die Verwaltung sollte ausführendes Organ und der Gemeinderat das Volk sein, das das Sagen hat, um im Bild zu bleiben.

Selbstverständlich ist dem nicht so – die Verwaltung besteht aus hauptberuflichen Profis, der Gemeinderat aus Laien, die ihr (angesichts ihres Arbeitsaufwandes mit 300 Euro pro Monat jämmerlich schlecht aufwandsentschädigtes) Amt aus verschiedenen Gründen ausüben: die meisten (und dies gilt für alle Parteien) aus Idealismus, manche unterstützen durch ihr Mandat ihr Geschäftsinteresse oder versuchen dies zumindest, viele pflegen dabei auch ihr Ego.

Dass die Herrschaft der gewählten Volksvertreter eher Theorie ist und die Verwaltung meistens die Volksvertreter dominiert, ist jedem Gemeinderatsbesucher bald offensichtlich. Dass aber Norbert Henneberger, Geschäftsführer der Tourist-Information, die Brust besitzt, einem gewählten Volksvertreter ins Gesicht zu sagen, er werde ihm trotz mehrerer Nachfragen keine Auskunft geben, wie viele Euros der Abtransport des Päpstleins aus dem Bahnhof gekostet habe, war denn doch etwas zu viel der Offenheit.

OB Horst Frank, gemeinhin selbst nicht der Auskunftsfreudigste, wenn es um wichtige Dinge geht, wies Henneberger öffentlich wie einen sündigen Schulbuben derart in die Schranken, dass Henneberger endlich Auskunft gab: ca. 4000 Euro habe der Abtransport gekostet, sei aber ein gutes Geschäft gewesen, weil just diese Fläche heute gewinnbringend vermietet sei. Dass der hochnäsige Henneberger und der Gemeinderat in diesem Leben kaum noch Freunde werden dürften, steht zu hoffen.

Krankenhaus: Wenig neue Erkenntnisse

Was das Konstanzer Krankenhaus, derzeit Stadtsäckelfeind No. 1, anbelangt: Da läuft was, es weiß nur noch niemand genau was, und niemand wurde an diesem Nachmittag und Abend richtig klüger. Krankenhaus-Geschäftsführer Rainer Ott lobte das – vor allem dank seiner Personalpolitik – verbesserte Ergebnis von nur 2,1 statt vom Regierungspräsidium erlaubten 2,9 Millionen Verlust, das aufgrund von Maßnahmen erzielt worden sei, die „bei den Mitarbeitern nicht immer auf Verständnis stießen“. Was man wohl so verstehen muss, dass auf Kosten des Personals (man darf vermuten: mit Ausnahme des Geschäftsführers) kräftig gespart wurde.

Eine Steilvorlage für die bestens informierte Hanna Binder von der SPD, die auf Mängel hinwies, die das Rechnungsprüfungsamt gefunden habe. 1. sei am Krankenhaus trotz aller Versprechen noch immer kein brauchbrauchbares Risk Management implementiert worden, 2. seien einige Aufträge nicht den Vergaberichtlinien entsprechend erteilt worden und 3. sei dort ein Beratervertrag für das Labormanagement unter der Hand vergeben worden, der von städtischen Juristen infrage gestellt werde und bei dem der Krankenhausausschuss offen hintergangen worden sei.

Vera Hemm von der LLK kritisierte die mangelnde Einbindung des Personalrats, der nicht mehr an nichtöffentlichen Sitzungen des Krankenhausausschusses teilnehmen dürfe, sowie das Fehlen einer seit 2007 vom Rechnungsprüfungsamt geforderten internen Beschaffungsordnung. Michael Fendrich von der FDP, als ehemaliger Unfallchirurg selbst vom Fach, forderte die Verwaltung auf, bei allen anstehenden Änderungen das Personal mitzunehmen. Aber so richtig zündete die Rakete Rechnungsprüfungsamt nicht, denn Rainer Ott begründete den Beratervertrag mit Gefahr im Verzug, verwies auf europäische Vergaberichtlinien und lobte seine Informationspolitik dem Personalrat gegenüber. Und das war’s dann auch, Volksvertreter fragen, die Verwaltung antwortet irgendwas, Ende der Debatte.

Notanker Kreislösung

Was die Zukunft des Konstanzer Krankenhauses anbelangt: da läuft es wohl auf eine Kreislösung hinaus. Und OB Horst Frank machte Druck, denn bereits am 21.7. müssten wesentliche Entscheidungen fallen, die die Übernahme des Konstanzer Hauses durch den Landkreis betreffen, weil das Konstanzer Krankenhaus allein keine Überlebensperspektive habe. Mit der Übernahme nach 2012 müsse die Stadt Konstanz nicht mehr für Verluste des Krankenhauses aufkommen, werde aber auch kaum noch Mitspracherechte haben. Außerdem gelte dann das Bestellerprinzip: Alles über eine medizinische Grundversorgung hinaus müsse die Stadt dann doch extra bezahlen, und da müsse man schauen, was finanziell machbar und gewünscht sei.

Das darf man wohl so verstehen, dass die medizinische Versorgung für die normal krankenversicherten Menschen in Konstanz sowie an anderen Orten, die an der Kreislösung teilnehmen, nicht billiger, aber schlechter wird – und dass die Arbeitnehmer des anstehenden Klinikverbundes nichts Gutes zu erwarten haben. Wie das alles gehen solle, fragte der kluge Eberhard Roth von der CDU, rund ein Vierteljahrhundert lang Chefarzt am Klinikum Konstanz, mit Recht, nachdem man in 2 Jahren keine Entscheidung hinbekommen habe, solle man jetzt in 3 Wochen klarkommen.

Düstere Aussichten

Aber machen wir uns nichts vor: Es wird gehen, in wenigen Monaten wird es eine solche Lösung geben, die Interessen der staatlich Krankenversicherten und der Belegschaft werden hintanstehen. Und man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass der Kreis in ein paar Jahren die Krankenhäuser auch nicht mehr bezahlen kann oder mag und die Krankenhäuser an einen Privatkonzern zu verkloppen versucht. Dann werden wir eine echte Ein-Klassen-Medizin bekommen, bei der es auf der Notaufnahme nicht mehr „Der Nächste bitte“, sondern „Der Reichste bitte“ (Titanic) heißen wird und der breite Rest der Bevölkerung außen vor bleibt. Der Landkreis ist kein Goldesel, sondern wird genau wie die Städte aus öffentlichen Mitteln finanziert und in einigen Jahren vor denselben wirtschaftlichen Problemen stehen wie die Städte jetzt.

So lange eine Gesundheitspolitik sich nicht primär an den Interessen aller Kranken ausrichtet, so lange und – vor allem! – weil die Kluft zwischen dem wachsenden Reichtum einer Minderheit und der nachlassenden Wirtschaftskraft einer Mehrheit in dieser Gesellschaft zunimmt, so lange werden wir auch im Gesundheitswesen nichts Gutes zu erwarten haben, weder als Patienten noch als Mitarbeiter.

Eine Kreislösung wird unter den gegebenen Umständen den Kollaps der ehemals leidlich gleichen Gesundheitsversorgung für alle nur verzögern, am Ende wird in wenigen Jahren eine Privatisierung durch den Landkreis stehen, und dann wird es für die Mehrheit der Bevölkerung richtig bitter. Und für die Angestellten sowieso. Daran kann die Stadt nichts ändern und der Landkreis auch nicht, dazu müsste man die Axt an den Baum eines gesellschaftlichen Grundverständnisses legen, das dieses Land zunehmend in Richtung Dritte Welt mit einem riesigen Unterschied zwischen Reich und Nichtreich fortentwickelt, und in der man einem Menschen am Zustand seines Gebisses auf 10 Cent genau ansieht, wie hoch oder gering sein Einkommen ist. Welche Augenwischerei!

Wenn man sonst nichts zu lesen hat

Weshalb eigentlich hat die Stadt 15.000 Euro für einen Image-Film ausgegeben, bei dem sich selbst dem eingefleischtesten Konstanzer die Fußnägel vor Abscheu kringeln müssten? OB Horst Frank hat die Lösung: Die Jugend steht auf diesen Film. Recht hat er, sofern man die Mehrheit der Jugendlichen betrachtet, die ihr 97. Lebensjahr lebensklar hinter sich gebracht haben, ohne dabei dement oder gar boldt zu werden.

Autor: O. Pugliese

Das Teaser-Bild wurde unter der GNU Free Documentation License, Version 1.2 veröffentlicht.