Der schwarze Guerillero

seemoz-GuidoWolfBlutrittDie CDU hat eine neue Lichtgestalt: Guido Wolf, 53, Blutreiter aus dem oberschwäbischen Weingarten und Landrat aus Tuttlingen. Er präsentiert sich heute schon als Oberministerpräsident, und keiner fragt, was er eigentlich vorher geleistet hat. Im Bermudadreieck von Erwin Teufel und Volker Kauder verfliegt der Zauber schnell 

„Was hat dieser ehemalige Landrat von Tuttlingen, was ich nicht habe?“, wird sich Thomas Strobl fragen, der auch gerne baden-württembergischer Ministerpräsident geworden wäre. Der unterlegene Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble wird sich fühlen wie der berühmteste Tuttlinger. Wie jener Kannitverstan aus Johann Peter Hebels Anekdote, der als Tuttlinger Handwerksbursche staunend durch Amsterdam spaziert. Auf Nachfragen, wem die schönen Häuser gehören, bekommt er immer nur die Antwort „Kannitverstan!“, und fortan hält er diesen ihm Unbekannten für den Größten.

Nun ist der gebürtige Weingartener Jurist mit dem „Blutreiter-Gen“ kein tumber Tor. Guido Wolf ist ein Käpsele, das im Bermudadreieck deutscher Politik groß geworden ist. Rund um Tuttlingen, Spaichingen und Trossingen, im Homeland von Heiner Geißler, Erwin Teufel und Volker Kauder.

Mindestens drei Bürgermeister im Kreis Tuttlingen werden nicht daran zweifeln, dass Parteifreund die Steigerung von Todfeind ist, wenn sie an Guido Wolf denken. Norbert Zerr, Ex-Bürgermeister von Irndorf, damals CDU, sprach einst, weit weg im „Mannheimer Morgen“, von einer „Guido-Wolf-Diktatur“ und von „Guerilla-Methoden“. Kurz vor dem Wiederwahltermin habe Wolf Ende 2010 im Rathaus angerufen und ihm angekündigt: „Sie werden Ihr blaues Wunder erleben. Sie werden einen Gegenkandidaten bekommen.“ Diese Drohung habe der Amtsbote am Telefon mitgehört. Der Amtsbote will auch bestätigen, dass Wolf den Bürgermeister angefahren habe: „Ich werde Sie kleinmachen!“ Es tauchte ein CDU-Mann als Gegenkandidat auf, und der Amtsinhaber verlor knapp.

Klar, dass Wolf, darauf angesprochen, sich laut Zeitungsbericht an dieses Gespräch ganz anders erinnert: „Ich hatte gehört, dass es Probleme in der Gemeinde gab, und wollte ihm helfen.“ Er habe „mit Sicherheit keinen Gegenkandidaten angedroht“. Der zweite Schultes ist Alfred Pradel (Dürbheim), der entnervt aufgab. Erfolgreich hatte er noch die Versuche der CDU-Kreisvorsitzenden abgewehrt, ihn zum Eintritt in die Partei zu bewegen. Dann aber kam es Schlag auf Schlag: Nichtigkeitserklärung einer Bürgschaft der Gemeinde für seinen Hausbau, Kündigung des Kredits der Kreissparkasse, Verwaltungsratschef Guido Wolf, Notverkauf des Hauses.

Der dritte ist der Bürgermeister von Spaichingen, Hans Georg Schuhmacher, ein nicht immer linientreuer Schwarzer, der nach einer Schlammschlacht aus der CDU ausgetreten ist. Nach seinem Wahlkampf 2012 hagelte es Anzeigen, gerne auch unter der Gürtellinie und vornehmlich aus dem christdemokratischen Lager. Wer glaubt, dass sein Gegenkandidat, der Kreisvorsitzende und örtliche CDU-Boss Tobias Schumacher, nicht von den Königen Kauder und Wolf unterstützt wurde, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann. Die Rechnung ging freilich nicht auf – Schuhmacher blieb Schultes.

Landrat von Teufels Gnaden

Nun muss man wissen, dass es im pechschwarzen Kreis Tuttlingen normalerweise nicht schwer ist, Landrat zu werden. Wenn man auf dem Schild der absoluten Mehrheit der CDU-Kreistagsfraktion getragen, von Erwin Teufel und Volker Kauder gestützt wird, dann geht das 2002 ebenso wenig schief wie die Wahl zum Landtagsabgeordneten vier Jahre später. Wolf beerbte den Teufel-Intimus Franz Schuhmacher und folgte einer alten Tradition in der Region: Obrigkeit ist immer noch von Gott gegeben. Und Wolf machte, was jeder macht, wenn das Bett schon angewärmt ist – er sicherte und zementierte seine Macht.

Da stört es auch nicht, wenn er mit seinem Namen flirtet. Ihm die Schlauheit zuspricht, die dem Fuchs gehört, oder vergisst, dass ein Wolf ohne Rudel normalerweise keine Überlebenschance hat. Hauptsache, die Jubel-Tuttlinger gleichen das aus, die auf sechs CDU-Regionalkonferenzen für ihn Stimmung gemacht haben, was in den Zeitungen als allgemeine Zustimmung gewertet worden ist. Keine Frage also im Kreis Tuttlingen, alle wünschen sich den Wolf als Ministerpräsidenten.

Vor dem Hintergrund der realen Welt ist das erstaunlich. In Wolfs Zeit als Landrat hat die CDU im Kreistag erstmals die absolute Mehrheit verloren. Und schlimmer noch: Nach über 50 Jahren büßte sie durch seinen Wechsel auf den Stuhl des Landtagspräsidenten auch gleich den Landratsposten ein. Zweifellos trägt Wolf hierfür Mitverantwortung, denn der von der CDU in Spaichingen angerichtete Flurschaden durch die Bürgermeisterwahl bedeutete den Verlust der Stimme des CDU-Stimmenkönigs im Kreistag, des Spaichinger Stadtoberhaupts. Erst dadurch konnten sich die anderen Fraktionen im Kreistag gegen die CDU-Dominanz mit Erfolgschancen zusammenraufen und den bisherigen FWV-Fraktionsvorsitzenden und Bürgermeister von Fridingen, Stefan Bär, als neuen Landrat mit zwei Stimmen Mehrheit durchbringen.

Wolfs Bilanz im Kreis Tuttlingen fällt sehr bescheiden aus

Und der schlägt sich jetzt, zusammen mit dem Kreistag, mit Wolfs Erbe herum. Ohne dies namentlich zu machen, denn sonst müssten sie alle eingestehen, sich als Mitläufer haben blenden zu lassen. Die Fakten: Einer der wirtschaftlich stärksten Landkreise im Land ist hoch verschuldet, die Anpassung des Klinikums entpuppt sich als größte Belastung, Sozialprobleme, Versäumnisse in der Jugendpolitik werden entdeckt, wo bisher heile Welt proklamiert worden war. Wolfs Steckenpferd namens Hochschule in Tuttlingen, als dritter Teil im Bunde mit Furtwangen und Villingen-Schwenningen, ist am Zersplittern. Die Gäubahn hofft immer noch auf die seit Jahren von Wolf verkündeten Zweigleisigkeit. Statt schneller werden Züge immer langsamer.

Da verwundert es doch sehr, wenn Wolf im Wettstreit mit Thomas Strobl seine kommunalpolitische Erfahrung preist und damit punktet. In Wirklichkeit ist er ein Unvollendeter, der plötzlich mit über 50 die Chance zur politischen Karriere sieht. Oberbürgermeister in Weingarten ist er nicht geworden, Erster Hauptamtlicher Bürgermeister war er in Nürtingen, also nicht vom Volk gewählt. Zwei Jahre vor Ablauf der Amtszeit wurde er Landrat in Tuttlingen, nach der Wiederwahl war er ein Jahr später wieder weg.

Aber da ist ja noch sein zweites Gesicht: „Nahe bei den Menschen.“ Das hat er, mantramäßig vorgetragen, von seinem Vorgänger Franz Schuhmacher, dessen Beliebtheit er nie erreicht hat, was womöglich auch daran liegt, dass er zwar gut reimen kann, aber viele „kleine Leute“ nicht wirklich überzeugt. Wenn er „zuhören, kämpfen und ihre Probleme ernst nehmen“ will, dann lohnt ein Blick auf das kreiseigene Freilichtmuseum, wo für den Landrat ein eigener Parkplatz reserviert wurde.

Dann muss man ihn als Abgeordneten sehen, dem der „Landtagspräsident“ wie eine Monstranz vorausgetragen wird. Volksnähe demonstriert er auch gerne durch Klöppeln auf dem Xylofon inmitten einer Stadtkapelle oder mit einer Dichterlesung mit seinem Büchlein „Politikergeschwätz“, das auch eine Persiflage auf eigene Gastspiele als Lobsager auf zahlreichen Vereinsbühnen sein könnte.

Die Nähe zum Volk – wer’s glaubt, wird selig

Wolf genießt es zu erleben, wie sich die lokale Prominenz eines Landrats plötzlich auf das ganze Land ausdehnen lässt. Und das auch noch mit dem Nimbus eines bisher nie sonderlich beachteten Landtagspräsidenten. Als einziger verbliebener Amtsträger der in die Opposition verbannten CDU ist er auf einmal die Verkörperung der Partei. Und so macht er überall den Landeslandrat.

Es gibt nicht wenige Leute, die ihn für so etwas wie einen Oberministerpräsidenten halten und Bitten und Vorschläge an den vermeintlich regierenden Landtagspräsidenten richten, der den Kümmerer gibt. Er lässt den „kleinen Leuten“ ihren Glauben. Er, der bisher nicht nur dem Alphabet nach Hinterbänkler im Plenum war. Auf einmal ist überall vorne, wo Guido Wolf ist. Andere haben zurück in die Reihe zu treten. Was der bisherige Fraktionsvorsitzende Peter Hauk erst lernen musste, wird Wolf anderen sicher schneller beibringen, wenn sie in seinem neuen, größeren Revier geduldet werden wollen. Denn das von ihm als besondere Tugend genannte Zuhören hat enge Grenzen.

Jetzt, da er sich in der Partei Leitern schafft, um Ministerpräsident Kretschmann „auf Augenhöhe entzaubern“ zu können, hat Wolf wahr gemacht, was er seinerzeit als Verlegenheitslösung der CDU auf dem Posten des Landtagspräsidenten angekündigt hatte: Ein „politischer Landtagspräsident“ wolle er sein. Bis jetzt sieht noch alles nach Tuttlinger Landratsamt aus.

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Autor:  Jochen Kastilan, Fotograf: Felix Kästle (kontextwochenzeitung.de)

Jochen Kastilan war 20 Jahre bis ins Jahr 2000 Redaktionsleiter der „Schwäbischen Zeitung“ in Spaichingen.