Der wundersame Ansturm auf den Politischen Aschermittwoch

„Ausgebucht“ frohlockt das ‚Singener Wochenblatt‘ online zu ihrer Ankündigung, einen Politischen Aschermittwoch in der Scheffelhalle zu organisieren. Knapp 400 Karten fanden in nur vier Tagen ihre Abnehmer. Dass dieses erstaunliche Interesse von Nazis geschürt sein könnte, kommt den Verantwortlichen in der Singener Hadwigstraße nicht in den Sinn. Denn erstmals im Landkreis sitzen Kandidaten von NPD und Rep mit auf dem Podium. Stürmen deren Parteigänger nun die Scheffelhalle?

„Ich befürchte nichts“, versichert Hans Paul Lichtwald auf Anfrage. Der Moderator der Kandidaten-Kür am 9. März, ehedem Wochenblatt-Redakteur in Radolfzell, weiß zwar um „Befürchtungen im Umfeld der Veranstaltung“, will sich „damit aber erst in Zukunft beschäftigen“. Immerhin, so Lichtwald, kämen die Wochenblatt-Leser ja aus einem „breiten politischen Spektrum“ und wollten Informationen ausdrücklich von allen Kandidaten. Berührungsängste habe er jedenfalls nicht.

Das trifft wohl auch auf Wochenblatt-Redaktionsleiter Fiedler zu, der die Einladung der NPD- und Rep-Kandidaten nachhaltig verteidigt: „Alle Kandidaten, die zur Wahl zugelassen sind, sollten eingeladen werden“. Von einem ungeschriebenen Gesetz im Landkreis, Nazis keine öffentliche Bühne zu bieten, weiß er nichts. Komisch nur, dass alle Veranstalter sich bislang an diese Regel gehalten haben und sich – wie eine wahllose Seemoz-Umfrage ergab – auch in Zukunft daran halten wollen. Einzig das Singener Wochenblatt scheint es auf eine ganz bestimmte Zielgruppe abgesehen zu haben.

Am Aschermittwoch sollen die Türen der Scheffelhalle um 11 Uhr geöffnet werden, eine halbe Stunde später dann die Diskussion auf der Bühne unter Leitung von Hans Paul Lichtwald beginnen. Eingeladen sind die Kandidaten Wolfgang Reuther (CDU), Hans-Peter Storz (SPD), Oliver Kuppel (FDP), Udo Engelhardt (Grüne), Michael Krause (Die Linke), Benjamin Hennes (NPD), Franz Weber (ödp), Markus Haberstock (Piraten) und Simone Bek (Rep). Besonders wichtig scheint den Veranstaltern immerhin der Hinweis: „Für die Bewirtung über Mittag sorgt Getränke Müller“.

Unmut erregt die Teilnehmer-Auswahl auch unter den Eingeladenen. Von einem gemeinsamen Brief an die Veranstalter ist die Rede, Hennes und Bek wieder auszuladen. Die meisten Kandidaten bekunden, wenn sie denn überhaupt zu erreichen waren, ihren Unmut allerdings nur hinter vorgehaltener Hand: „Aber zitieren Sie mich bitte nicht namentlich.“ Deutlich und öffentlich äußern mag sich nur Michael Krause (Die Linke): „Es kann nicht sein, dass wir Parteien eine öffentliche Bühne geben, die unseren Rechtsstaat mit Füßen treten. Parteien, die die Verbrechen des 2. Weltkrieges verharmlosen, … haben kein Recht, sich auf einer öffentlichen Bühne zu äußern“.

Skurril fast die Aussage aus dem Wahlkampfbüro von Hans-Peter Storz (SPD). Auch nach einem Dutzend ermüdender Anrufe antwortet eine gelangweilte Stimme nur: „Bitte rufen Sie später an“. Soll das als programmatische Aussage verstanden werden, fragt sich da der genervte Anrufer?

Auch Stadtverwaltung und Polizei wollen mit der Sache nichts zu tun haben. Singens Pressesprecher Nestle, erst durch die Seemoz-Veröffentlichung vom 19.2. aufmerksam geworden, bittet nach Nachfrage bei OB Ehret, der selbst nicht zu sprechen war, um Verständnis, dass man sich „zu privaten Veranstaltungen nicht äußern mag.“ Aber wachsam bliebe man schon, bekräftigt er. Auch Michael Aschenbrenner, Pressesprecher der zuständigen Polizeidirektion Konstanz, beschwichtigt: „Der Polizei liegen derzeit keine Hinweise vor, dass es im Zusammenhang mit der Veranstaltung zu Straftaten oder Ordnungsstörungen kommen könnte. Ich darf aber versichern, dass wir lageangepasst die erforderlichen und notwendigen Maßnahmen treffen werden.“

Der wundersame Ansturm auf Eintrittskarten für den Politischen Aschermittwoch in Singen – fast 400 Karten in nur vier Tagen – scheint, wenigstens offiziell, niemanden zu alarmieren. Zwar fasst die Scheffelhalle weit mehr als 366 Zuhörer, doch immer noch bleibt ein Teil der Halle für Fasnacht-Aktivitäten reserviert.

Nochmals Moderator Hans Paul Lichtwald: „Wir passen schon auf, wer in die Scheffelhalle kommt. Zu einer Nazi-Veranstaltung wird der 9. März in Singen jedenfalls nicht“. Andere Organisationen sind nicht so blauäugig: SPD, Gewerkschaften, Die Linke, VVN/BdA und verschiedene Jugendorganisationen diskutieren jedenfalls aktuell Gegenmaßnahmen.

Autor: hpk