Der zähe Kampf um ein bisschen Grün

Seit Jahren wird in Kreuzlingen gegen die Bebauung einer Grünfläche zwischen den Schlössern Girsberg und Brunegg gekämpft. Doch auch zwei Volksabstimmungen haben bisher keine Entscheidung gebracht, denn die Bürger sagen mal ja, dann wieder nein zum Thema „Schlosswiese“. Eine Geschichte über Bauwut und Bausünden am Untersee in mehreren Kapiteln. Und ohne Ende.

Beim Gang durch Kreuzlingen fällt heute vor allem eines auf: Baukräne, wohin man schaut. Jedes noch freie Fleckchen, so scheint es, wird zubetoniert, überwiegend mit eher hässlichen, großen Kisten. Mehr als 1000 neue Wohnungen sind in jüngerer Zeit in der rund 19 000 Einwohnerstadt entstanden. Niedrige Zinsen und der Zuzug solventer Ausländer, vor allem auch aus der deutschen Nachbarschaft, machen es möglich. Investoren und Spekulanten freut`s, die Einwohner inzwischen eher weniger.

Schlosswiese: Erstes Kapitel

Doch es sind nicht nur die sogenannten Baulücken innerhalb der Siedlungszone, die Zug um Zug verschwinden. Immer mehr greift die Bauwut auch in die freie Landschaft ein, nicht nur in Kreuzlingen, sondern den gesamten Untersee entlang. Ein besonders krasses Beispiel für derart rücksichtslosen Landverbrauch treibt seit längerer Zeit viele Kreuzlinger auf die Barrikaden. Die Rede ist von einer etwa einen Hektar großen Freifläche zwischen den Schlössern Brunegg und Girsberg an der Gemarkungsgrenze zu Tägerwilen. Auch an diese beiden ehemaligen Landsitze ist die massive Wohnbebauung inzwischen bedrohlich nahe herangerückt. Und die Fortsetzung war bereits durchgeplant. Auf der bisher noch landwirtschaftlich genutzten Fläche – im Volksmund jetzt „Schlosswiese“ genannt – sieht der im Laufe der Jahre mehrfach geänderte Bebauungsplan drei größere Parzellen für mehrgeschossigen Wohnungsbau vor. Damit würde auch die letzte noch freie Fläche am östlichen Kreuzlinger Ortsrand verschwinden. Vor allem aber wäre auf diese Weise der Blick auf die beiden Schlösser endgültig verstellt

Den Eigentümer kümmerte dies offenbar wenig. Die Firma Rüllen AG, die mit Immobilien aller Art handelt, sah hier die Gelegenheit, wertvolles Bauland zu vermarkten – immerhin Halbhöhenlage mit Blick auf den Untersee – und wollte nun bauen. Zwar hatte die Kreuzlinger Stadtverwaltung noch versucht, mit verschiedenen Maßnahmen wenigstens eine Reduzierung der Baumasse zu erreichen, blieb damit aber weitgehend erfolglos. Andererseits wurden Stellungnahmen von Denkmalschutz und anderen Organisationen, die sich für den Schutz der Schlösserlandschaft aussprachen, nicht berücksichtigt.

Sozusagen in letzter Not starteten die Eigentümer der beiden Schlösser zusammen mit weiteren Unterstützern eine Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative. Damit sollte erreicht werden, dass „unsere Heimat und unsere Geschichte vor der Zerstörung durch ausschließlich gewinnorientierte Interessengruppen“ bewahrt würden. Denn die Initianten hatten längst auch herausgefunden, worum es hier – wie anderswo meist auch – tatsächlich geht: Um Bodenspekulation. Irgendwelche von der Stadt Kreuzlingen beauftragte „Gutachter“ hatten für dieses Bauland Quadratmeterpreise ermittelt, die ein Vielfaches über dem ortsüblichen Ansatz liegen.

Welches Spiel hier gespielt werden sollte, hatten offenbar schließlich auch die Bürger begriffen. Die nötige Anzahl Unterschriften wurde erreicht, das heißt, die Initiative „Gegen die Zerstörung der Schlosslandschaft zwischen Brunegg und Girsberg“. kam zustande, im September 2010 stimmten die Kreuzlinger Stimmberechtigten darüber ab. Mit fast 60 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde die Initiative angenommen, was auch eine Ohrfeige für Stadtspitze und die Mehrheit des Gemeinderates bedeutete, die sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen hatten. Schließlich, so wurde argumentiert, müsse die Stadt, sollte die Initiative angenommen werden, rund 5 Millionen Franken aufbringen, um das Land zu kaufen oder den Eigentümer zu entschädigen. Geld, das die Stadt nicht hat.

Schlosswiese: Zweites Kapitel

Mit der Annahme der Initiative wurde die Stadt Kreuzlingen verpflichtet, alles zu tun, um eine Bebauung des Geländes zu verhindern. Das heißt im Klartext: die Stadt muss das Land kaufen, um entscheiden zu können, was künftig damit geschieht. Und das zum Preis von 5,35 Millionen Franken. Da in der Schweiz Stadt und Gemeinderat eine solche Entscheidung nicht allein treffen können, war erneut das Volk gefragt. Das aber sagte vor einigen Wochen klar und deutlich nein zu diesem Vorhaben. Schließlich würde man damit „die teuerste Viehweide der Schweiz“ kaufen, auch wolle man nicht „die Landbesitzer mit 5 Millionen belohnen“, so Stimmen zu diesem Ergebnis.

Also hat die Stadt den Schwarzen Peter wieder zurück. Sie ist nach wie vor in der Pflicht, die Initiative umzusetzen, was nun eine Nutzungsänderung der bisher als Bauland ausgewiesenen Fläche bedeutet mit der Folge, dass der Eigentümer enteignet werden und dafür eine angemessene Entschädigung erhalten muss. Wobei nun verschiedene Seiten fordern, dass der Grundstückswert diesmal von ernst zu nehmenden Gutachtern realistisch ermittelt wird. Doch auch diese weiteren Schritte müssen letztlich wieder vom Volk entschieden werden. Weitere Kapitel „Schlosswiese“ folgen also sicher.

Noch eine Bausünde geplant

In Kreuzlingen liegt derzeit der Kommunale Richtplan, die Raumplanung für die Zukunft, öffentlich aus. Ausgewiesen ist darin auch eine sogenannte „Strategische Arbeitszone“ bei der Autobahn-Ausfahrt „Kreuzlingen-Süd“, ein rund 15 Hektar großes Gelände mitten im Wald. Solche „Arbeitszonen“ mit möglichst optimaler Verkehrsanbindung werden im Kanton Thurgau für die Ansiedlung von Großbetrieben geplant. Im Kreuzlinger Richtplan heißt es dazu, die Ausweisung solcher Industrie- und Gewerbegebiete sei für die langfristige Stadtentwicklung nötig. Die Fläche im Wald im Süden von Kreuzlingen komme dann in Betracht, wenn anderswo die dafür nötigen Areale nicht vorhanden seien.

Kreuzlingen sei heute vor allem eine erfolgreiche Dienstleitungs-, Schul- und Wohnstadt. Dazu passten große neue Arbeitszonen nicht, schon gar nicht, wenn dafür ein wertvolles Erholungsgebiet geopfert und verbaut werde, sagt der Kreuzlinger Wolfgang Schreier. Das Debakel um die sorglose Bebauung der Schlösserlandschaft sei noch lange nicht abgeschlossen „und schon wird die nächste, viel größere und nicht mehr korrigierbare Raumplanungssünde begangen“. Deshalb ruft Wolfgang Schreier alle Kreuzlinger auf, sich dafür einzusetzen, diese Arbeitszone aus dem Richtplan zu streichen. Ein weiteres Kapitel zum Thema Landschaftsverbrauch also, das sicher noch lange nicht abgeschlossen ist.

Autorin: Regine Klett