Der „Zerbrochne Krug“ am Theater Konstanz – eine verkratzte CD?

Erneut versucht sich das Theater Konstanz an einer Inszenierung Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“. Nachdem zuletzt Michael von zur Mühlens Inszenierung im Jahr 2016 mehr Irritation als Applaus hervorrief, war die Erwartung diesmal umso größer, in den Genuss einer begeisterungsfähigen Darbietung des Lustspiels zu kommen. Immerhin wurde mit diesem Stück unter der Regie von Schirin Khodadadian die Spielzeit mit dem Motto „Respekt ist zumutbar. Immer“ eröffnet.

Obwohl die Geschichte um einen zerbrochenen Krug im fiktiven flämischen Dorf Huisum zunächst nach „Richterin Barbara Salesch“ anno 19. Jahrhundert klingen mag, fügt sie sich doch sehr gut in das gewählte Leitbild, denn das Drama hat es in sich. Da niemand gesehen hat, wer Frau Marthes (Katrin Huke) Krug des nachts zertrümmerte, läge es an Richter Adam (Ingo Biermann) herauszufinden, wer der Übeltäter war. Doch selbst verantwortlich für die Misere braucht der Vorsitzende nicht lang zu suchen. Um nicht aufzufliegen und die Umstände, unter denen der Krug im Zimmer der jungen Eve (Luise Harder) – Marthes Tochter – zu Bruch kam, nicht preisgeben zu müssen, konzentriert er sich ganz darauf, die Verantwortung anderen in die Schuhe zu schieben.

Verschmelzung von Historie und Moderne

Wie schon Michael von zur Mühlen ordnet Schirin Khodadadian das Stück mithilfe des Bühnenbilds (Carolin Mittler) in seinen historischen Kontext ein. Ein überdimensionaler schwarzer Bilderrahmen umgibt ein teilweise dreidimensionales und überlebensgroßes Abbild des Kupferstichs einer Gerichtsverhandlung, der Kleist als Inspiration für das Stück diente. Einzelne Figuren lassen sich als Pappaufsteller aus dem Hintergrund lösen und könnten so vom Ensemble in das Stück eingebunden werden. Doch das Potential des Bühnenbilds kommt kaum zum Tragen; die Schauspieler ahmen stattdessen die Figuren des Kupferstichs nach, als ob sie sich über das Kunstwerk lächerlich machen wollten. Das hat keinen ironischen Zug mehr, sondern wirkt unangemessen grotesk.

Die Kostüme (Charlotte Sonja Willi) der Schauspieler*innen sind im Wesentlichen modern und zeigen eine klare Farbgebung. Richter Adam beispielsweise ist in (teuflisches) Rot gekleidet, Eve in Pink, ihr Verlobter Ruprecht (Julian Mantaj) in Lila. Die Farben der Kostüme werden so gegen den schwarz-beigen Hintergrund des Kupferstichs kontrastiert, um visuell den Eindruck einer zeitlosen Geschichte zu vermitteln. Aber auch dieses Stilmittel verfehlt seine Wirkung: Während der fachkundige Zuschauer rätselt, wann Dorfrichtern das Privileg zugesprochen wurde, Reichs- und Bundesrichter-Rot zu tragen, umweht den beigen Mantel der Frau Gerichtsrevisorin Walter (Jana Alexia Rödiger) der Hauch des Gestapo-Offiziers. Dabei soll Letztere wohl die einzige ansatzweise integre Beamtin des Lustspiels verkörpern.

CD mit Hänger

Wo das Stück mit den Mitteln der Komödie Herrschaftskritik und Machtmissbrauch unter Beschuss nehmen sollte, wird die Konstanzer Inszenierung wie schon 2016 zur Groteske. Unter von zur Mühlens Regie hatten die Darsteller*innen den Text völlig emotionslos und außerhalb jeglicher Rollen heruntergerattert. In der aktuellen Inszenierung ist dies zwar nicht der Fall, stattdessen wird der Textfluss durch die Wiederholung einzelner Phrasen, Worte oder Laute an einigen Stellen so lange unterbrochen, bis die Figuren nicht mehr wissen zu scheinen, was sie als nächstes sagen wollten. Die Konversation reißt ab, die Szene läuft ins Leere. Das ist besonders bitter, blickt man in den Kleist’schen Originaltext: Schnelle Sprecherwechsel treiben hier eine provokante Handlung zackig zum Höhepunkt. Weil sich die Figuren immer wieder ins Wort fallen, kann sich der Richter lange aus der Zwickmühle manövrieren. Dieser Effekt geht auf der Konstanzer Bühne völlig verloren. Wie bei einer CD mit einem Kratzer an entscheidender Stelle wird das Zuhören zur Frustration. Was auch immer künstlerisch damit bezweckt werden soll, es trägt nicht dazu bei, dass das Publikum folgen kann. Vielleicht sehen Zuschauer*innen, die das Stück nahezu auswendig kennen, darin einen interessanten Kniff – aber sollte das Theater unserer Zeit nicht auch und insbesondere für Menschen zugänglich sein, die keinem bildungsbürgerlichen Milieu entstammen?

Ähnlich verhält es sich mit dem körperlichen Spiel. Über die Ebenen der Bühne hinweg fällt nicht allein der an einem Klumpfuß leidende Richter Adam nicht nur einmal, sondern 2-, 3-, 4-, 5-mal hintereinander und poltert dabei was das Zeug hält. Der Gesang (Musikalische Leitung: Johannes Mittl), der den Kupferstich stimmungsvoll untermalt und von den Darstellenden gekonnt zum Besten gegeben wird, kompensiert diese Qual für die Ohren ein wenig. Der Bezug des wiederholt auf niederländisch intonierten Lieds „Was sollen wir trinken? 7 Tage lang“ zum Stück bleibt allerdings unklar. Insgesamt scheint sich bildlich an Kleinigkeiten im Text abgearbeitet und verausgabt zu werden, während die eigentliche Handlung unter die Räder kommt. Erst nach etwa einer Stunde nimmt die Inszenierung an Fahrt auf, Szenen werden zu Ende gespielt und die eigentliche Geschichte wird klarer.

Doch wo bleibt die Botschaft?

Besonders schade ist, dass unter all der „Hampelei“, um einen etwas ratlosen Zuschauer zu zitieren, die Botschaft des Stücks verloren geht. Skandalös, dass gerade ein Richter, dessen Aufgabe die Wahrung des Rechts ist, das Recht (und einen Krug) bricht! Skandalös, dass sich sein Rechtsbruch nicht nur darin beschränkt, seine eigene Untat zu vertuschen: Die Untat selbst macht das Stück so ungeheuerlich. Der Krug geht in der Kammer der jungen Frau Eve zu Bruch, weil  der Richter ihre Sorge um das Wohlergehen ihres Verlobten und seine eigene Macht schamlos ausnutzt, um sie sexuell zu belästigen. Der Text impliziert eine versuchte Vergewaltigung: „So Schändliches von mir fordernd, dass es kein Mädchenmund wagt auszusprechen!“ Skandalös, dass sein Vorgesetzter, der Gerichtsrat, der ihn eigentlich kontrollieren soll, der jungen Frau mit Geld die Beschwer abzukaufen sucht (den Originaltext überschreitend versteht sich)! Diese zentralen Botschaften gehen im Hin und Her zwischen Komödie und Farce der Inszenierung einfach unter. Persönlich hatte ich den Eindruck, dass auch Luise Harder keine sonderliche Begeisterung aufbrachte, diese Botschaft zu transportieren. Unterm Strich: Ein weiterer gescheiterter Versuch eines Konstanzer Kleist. Hoffentlich bricht dieser Krug kein drittes Mal.

Text: Franziska Spanner, Bild: Adolph von Menzel (1877), This file is in the public domain because it has been released by the Los Angeles County Museum of Art www.lacma.org with its „Public Domain High Resolution Image Available“ mark.