Die große Entwertung
Die Krisenschübe, von denen das kapitalistische System seit Beginn des dritten Jahrtausends geschüttelt wird, brachten selbst seine abgebrühtesten Apologeten in Politik, Wissenschaft und Medien in arge Erklärungsnöte. Inzwischen ist man sich weitgehend einig: Schuld war eine übertriebene Aufblähung der kreditfinanzierten Spekulation auf den Finanzmärkten. Für Norbert Trenkle sind solche Erklärungsversuche grundfalsch und gefährlich. Der Redakteur der Zeitschrift „Krisis“, der am 2. Juni im Rahmen der AStA-Ringvorlesung „Die Politik in der Krise“ an der Uni referieren wird, bietet einen radikal anderen Erklärungsansatz an.
Nichts, so die These des studierten Ökonomen, sei „analytisch so naiv und ideologisch so gemeingefährlich wie die Dolchstoßlegende, eine gesunde Realwirtschaft sei der grenzenlosen Habgier einer Handvoll Banker und Spekulanten zum Opfer gefallen“. Sie entspringe einem hemdsärmeligen Pragmatismus, der dem Versuch geschuldet sei, nur ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, die globalen wirtschaftlichen Verwerfungen entsprängen der Produktionsweise selbst.
Für Trenkle wird gerade umgekehrt ein Schuh daraus: Die jahrzehntelange Aufblähung des Finanzüberbaus sei keinesfalls die Ursache der wirtschaftlichen Verwerfungen, sondern lediglich ein Versuch, eine viel grundlegendere Strukturkrise der kapitalistische Warenproduktion aufzuschieben. Der Prozess habe seinen Ausgangspunkt bereits in den 1970er Jahren gehabt: „Die Akkumulation von Kapital beruht seitdem auf dem Ansaugen von zukünftigem Wert“ – nur so waren die erforderlichen Ressourcen für die weitere Produktivkraftentwicklung zu mobilisieren. Doch dieser Vorgriff auf die Zukunft stoße nun zunehmend an strukturelle Grenzen.
Eine Produktionsweise, die auf der Vernutzung lebendiger Arbeitskraft beruht, sei angesichts „des ungeheuren Produktivkraftschubs der mikroelektronischen Revolution“ zum Scheitern verurteilt, weil sie den ihr zugrundeliegenden Verwertungszwang zunehmend selbst untergrabe. Trenkle ist davon überzeugt, dass die Weltgesellschaft für die „armselige kapitalistische Produktionsweise längst zu reich“ ist. Für ihn gibt es deshalb keinen Zweifel daran, dass sich der nächste Kriseneinbruch bereits am Horizont abzeichnet. Und der werde in seinen Auswirkungen noch weit dramatischer ausfallen als der vergangene.
PM/jüg/Bild: Unrast Verlag
Norbert Trenkle, Mitglied der Gruppe Krisis
Dienstag, 2. Juni, 19 Uhr, Raum A 701, Universität Konstanz