Die Ideologien und Netzwerke der radikalen AbtreibungsgegnerInnen
Sie machen wieder mobil – die sogenannten LebensrechtlerInnen, die Frauen das Recht auf Selbstbestimmung verweigern. Daher lädt die Bildungsbude – Singens neuer Verein für politische Bildung – am Mittwoch, 9. September, zu einem Vortrag und anschließender Diskussion ein. Referentin ist die Münchner Pro Choice-Aktivistin Lina Dahm. Ihr Thema: Der Kulturkampf der Lebensschutz-Bewegung.
In einer Zeit, in der das gesellschaftliche und politische Koordinatensystem immer weiter nach rechts verschoben wird, werden einst erkämpfte, feministische Errungenschaften wieder grundlegend in Frage gestellt. Auch die selbst ernannte „Lebensschutz“-Bewegung wittert in diesem Klima Morgenluft und will in die Offensive. Radikale AbtreibungsgegnerInnen wie „pro femina“, die „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) oder die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) arbeiten mit vielfältigen Methoden und bisweilen bestens vernetzt an ihrem Ziel, Schwangerschaftsabbrüche zu verunmöglichen. Gleichzeitig ist ihr Kampf gegen Abtreibung nicht das einzige Themenfeld, mit dem sie hantieren. Sie hetzen gegen LGBTIQ, vergleichen Schwangerschaftsabbrüche mit der Shoa, vertreten rassistische und völkische Positionen und/oder stellen sich gegen alles, was nicht in ihr christlich-reaktionäres Weltbild passt.
Die Referentin Lina Dahm ist Feministin und Pro Choice Aktivistin aus München. Seit einigen Jahren betreibt sie intensiv Recherche zur „Lebensschutz“-Bewegung und zu antifeministischen AkteurInnen. Ihr Vortrag gibt einen Überblick über die derzeitige Situation ungewollt Schwangerer in Deutschland, beleuchtet den von „LebensrechtlerInnen“ geführten Kulturkampf und die dahinterstehenden Ideologien und widmet sich anschließend einigen in Bayern aktiven Gruppierungen sowie ihren Netzwerken.
Der Vortrag findet am Mittwoch, 9. September um 19.00 Uhr im Wichernsaal, Freiheitstraße 36 in Singen, statt. Veranstalterinnen sind die Bildungsbude e. V., die VVN-BdA Konstanz und die Teestube Singen. Zudem wird das Projekt im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und durch die Singener Kriminalprävention (SKP) unterstützt.
Aufgrund der aktuellen Corona-Situation ist die Teilnehmenden-Zahl entsprechend den Räumlichkeiten begrenzt. Aus diesem Grund wird um eine vorherige Anmeldung gebeten: info@bildungsbude.org. Ein Einlass zur Veranstaltung kann nur nach vorheriger Anmeldung erfolgen.
Text: MM/up
Bild: Website der Bildungsbude
Wann: Mittwoch, 9. September, 19.00 Uhr.
Wo: Singen, Freiheitstraße 36, Wichernsaal. Anmeldung erforderlich: info@bildungsbude.org
Auch ich habe mich früher als Abtreibungsgegner verstanden, konnte mit den entsetzlichen Ideologien und Vergleichen manch einer Organisation aus der Bewegung aber überhaupt nichts anfangen und distanziere mich mit Vehemenz von deren Meinung und Standpunkten. Dennoch bezeichne ich mich durchaus als „Lebensschützer“, der aber keinesfalls radikal oder mit Hetze denjenigen Frauen begegnet, die in ihrer oftmals hilflosen Situation vor oder nach einem Schwangerschaftsabbruch ohnehin von Selbstvorwürfen und Gewissensbissen geplagt werden. Ich freue mich über jedes neue Kind, weil ich selbst das Leben genieße.
Gleichermaßen kann ich werdende Mütter verstehen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen für eine Abtreibung entscheiden – und ich respektiere deren Verweis auf ihr Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Dennoch halte ich die Beratung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen wollen, als dringend geboten. Denn viele der Probleme, die für werdende Eltern als unüberwindbar erscheinen, können mit Hilfe von außen gut geregelt werden. Überdies fordere ich ein verantwortungsvolles Sexualleben ein, denn in der heutigen Zeit kann eine Schwangerschaft mit den unterschiedlichsten Mitteln gesteuert werden. Besonders nach Vergewaltigungen und anderen traumatischen Erlebnissen halte ich eine Abtreibung aber für überaus nachvollziehbar, ähnlich, wie sie auch bei gesundheitlichen Risiken für Frau und Kind legitim sein sollte.
In den allermeisten Fällen wird man nicht ungewollt schwanger. Wir sollten lernen, mit dem Leben vorsichtig umzugehen. Nachwuchs darf nicht zum Spielball eines ungeschützten Geschlechtsverkehrs werden. Die Einstellung, ein Kind könne man im Zweifel ja ohnehin „wegmachen lassen“, halte ich für inakzeptabel, unethisch und beschämend. Mit einer bewussten Familienplanung, einem umsichtigen Miteinander in Ehe und Beziehung, einem Verzicht auf den schnellen „One Night Stand“ und dem Ausleben von Treue und Vernunft wäre schon vielen Frauen dabei geholfen, nicht in die Zwickmühle zu geraten.
Insgesamt wünsche ich mir in Deutschland eine positivere Einstellung zu Kindern. Gerade die Furcht davor, Nachwuchs mit einer Behinderung auf die Welt zu bringen, muss ernst genommen werden. Die mittlerweile angebotenen Tests, die vorgeburtlich „Trisomie 21“ ausschließen sollen, mögen zwar eine Gewissheit bringen. Ich halte aber an der Argumentation fest, dass mithilfe solcher Untersuchungen Dämme gebrochen werden: Wo setzen wir Grenzen? Wann kommt das „Designer-Baby“? Und wieso maßen wir uns an, über die Qualität und den Sinn fremden Lebens zu befinden? Da ich selbst schwer erkrankt bin, weiß ich, dass ein Leben dennoch – und gerade dann – lebenswert ist, wenn es durch zahlreiche Täler führt. Negative Erfahrungen stärken uns, ohne sie würden wir den Alltag nicht bewältigen können. Wir wünschen uns natürlich nur das Beste für unser Kind, doch es sind die Ecken und Kanten, die dabei helfen, unser Dasein selbstständig zu bestreiten.
Wir sollten zudem die Hilfsangebote für schwangere Frauen deutlich ausbauen, denn finanzielle und soziale Gründe dürfen nicht dazu führen, Familien zur Abtreibung zu zwingen. Eine weitere Lockerung der derzeit geltenden Rechtslage befürworte ich nicht, denn Schwangerschaftsabbrüche sollten nicht zur Normalität werden. Gleichzeitig braucht es ein solides Netz an Unterstützung für werdende Familien, die beispielsweise aufgrund ihres jungen Alters, ökonomischen Zwängen oder aus Angst vor der Zukunft abtreiben wollen. Und wir müssen uns mit aller Deutlichkeit gegen eine Diskriminierung von Frauen wenden, die abgetrieben haben. Vorwürfe sind der völlig falsche Weg, um sie nach dem schweren Eingriff in den eigenen Organismus aufzufangen. Sie benötigen psychologischen Beistand und professionelle Begleitung, um den Verlust zu verarbeiten.
Insgesamt ist das Thema zu vielschichtig, um einfache Antworten zu geben. Deshalb halte ich das Vorgehen strikter Abtreibungsgegner für falsch. Es braucht Sensibilität und Offenheit für einen neuen Blickwinkel. Auch wenn ich mich als Humanist stets für das Leben einsetzen werde, bin ich der festen Überzeugung, dass es Momente gibt, in denen Abtreibungen gerechtfertigt erscheinen. Ein „Schwarz-Weiß-Denken“ darf es in einer solch heiklen Diskussion nicht geben.