Die Jungen punkten im Konzil

Wenn früher der Südkurier die BundestagskandidatInnen von CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke vor der Bundestagswahl zur Podiumsdiskussion ins Konzil bat, war der Saal knalle voll. Dieses Mal kamen nur knapp 500 Interessierte. Die erlebten vor allem zwei junge Newcomer, die den Etablierten locker das Wasser reichen konnten und im Gegensatz zu den Altvorderen einen unverbrauchten Eindruck machten. Das gilt für Ton wie Inhalt

Kaum jemand dürfte sich gewundert haben, dass Birgit Homburger (FDP), die seit 23 Jahren an ihrem Abgeordnetensessel klebt, mit Verve für Fracking eintritt. Erwartungsgemäß konnte sie damit aber nicht punkten. Nese Erikli (Grüne) attackierte Andreas Jung (CDU), der ihrer Meinung nach in der Region den heuchlerischen Öko („ich war schon in der Schule im Arbeitskreis Müll“) gibt, aber in Berlin dann doch anders abstimmt. Radojevic erntete starken Beifall, als er Homburger ein Gutachten der Bundesregierung vorhielt, nach dem die umstrittene Fracking-Methode lediglich der Industrie nütze und aus energiepolitischer Sicht nicht wünschenswert sei. Da fiel der Liberalen nichts mehr ein.

Steuern für Reiche und Erben

Das galt auch bei Fragen der Steuerpolitik: Zwar lehnten alle eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als unsozial ab, doch als Radojevic eine Steuer für Reiche und Erben forderte („die Gerechtigkeitslücke muss geschlossen werden“) und sich Erikli und Volz („viele aufgeschobenen Investitionen brauchen neues Geld“) anschlossen, wiegelten Jung und Homburger ab und glaubten den Mittelstand bedroht. Als ihnen entgegen gehalten wurde, dass solche geplanten Steuererhöhungen nur Millionäre treffen würden, verstummten die Konservativen erneut.

Tobias Volz (SPD) konnte überdies auf dem Feld überzeugen, das sein ureigenstes als Unternehmer eines Pflegedienstes ist. Er geißelte vehement den Pflegenotstand, forderte bessere Bezahlung und qualifiziertere Ausbildung und sprach sich dafür aus, die Zwei-Klassen-Medizin abzuschaffen.

Straßenbaumeister“ auf dem Podium

Erwartungsgemäß spielten bei der rund zweistündigen Debatte auch regionale Themen eine Rolle, wie der seit Jahren geforderte Ausbau der B 33. Jung will ihn „zügig vorantreiben“ und hofft dabei auf breite Unterstützung aus allen Parteien. Erikli möchte zwar nicht als Anwältin für den motorisierten Nahverkehr gelten, fürchtet aber um die Wirtschaft, „wenn der B33-Ausbau lahmt“. Radojevic wunderte sich über die anwesenden „Straßenbaumeister“ auf dem Podium und plädierte für einen zügigen Ausbau der Schiene.

In einer weiteren Runde galt es herauszufinden, ob sich die KandidatInnen links von CDU und FDP auch Koalitionen vorstellen könnten, die noch vor kurzem kaum zur Debatte standen. Warum keine Koalition mit der Linken, wurde Volz gefragt. Der Sozialdemokrat antwortete ehrlich: „Ich könnte mir diese Koalition durchaus vorstellen“. Hätte der Mann nicht den aussichtslosen Platz 35 auf der SPD-Landesliste, würde er von seiner Parteizentrale für diese Aussage heftig abgewatscht. Auch Erikli blies in ein ähnliches Horn: „Koalitionsverhandlungen sollte man grundsätzlich mit allen führen“. Da konnte sich Radojevic lässig zurücklehnen und den schmunzelnden Gönner raus lassen: „Wenn es für Rot-Rot reicht, überlasse ich Herrn Volz das Bundeskanzleramt“. Fazit: Ginge es nach Volz, Erikli und Radojevic, dann wäre eine Rot-Rot-Grüne Koalition zumindest verhandelbar.

Was alles ausgespart wurde…

Die Moderatoren Dieter Löffler (Südkurier-Leiter der Politikredaktion) und Jörg-Peter Rau (Lokalchef) schlugen sich achtbar und trugen ihren Teil dazu bei, den Abend informativ und auch unterhaltsam zu gestalten. Hätte ihnen nicht ihr Chefredakteur Stefan Lutz mit viel Begrüßungsgesülze und überflüssiger Eigenwerbung fast 15 Minuten gestohlen, dann wäre auch noch Zeit gewesen, wichtige und aktuelle außenpolitische Entwicklungen zu diskutieren. Kein Wort über die Eurokrise, keines über Auslandseinsätze der Bundeswehr, nichts über die deutschen Rüstungsexporte und keine Erwähnung des Säbelrasselns gegenüber Syrien. Auch Fragen zur Bildung blieben ebenso ausgespart wie solche zur Wohnungsbaupolitik.

Erst ganz am Schluss, als die KandidatInnen vom Publikum befragt wurden, kamen die Themen Krieg und Frieden sowie Wohnungspolitik kurz zur Sprache, und die Sprachhülsen von Homburger und Jung verrieten, dass es dabei richtig spannend hätte werden können. Aber so konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass für Eingeborene hinter Allensbach-West die Wüste Gobi beginnt und wir uns hier am See im Tal der Seligen bewegen. Und vor der Tür des Konzilgebäudes demonstrierten die Obdachlosen…

Autor: Red.