Die Lastesel kommen

Transportfahrräder haben hierzulande seit Jahrzehnten Exotenstatus. Aber das soll sich zumindest in Konstanz sehr schnell ändern, denn solche Räder können erheblich zur Verkehrsentlastung und zum Umweltschutz beitragen. Als bundesweit beachtetes Modell­projekt startet Ende Juli ein ausbaubares Transportfahrrad-Verleihsystem mit zunächst 12 Mietstationen in Altstadt, Paradies und Petershausen. Wenn sich’s bewährt, soll es zur Dauereinrichtung werden.

TINK (Transportrad-Inititative nachhaltiger Kommunen) heißt das wissenschaftlich begleitete Modellprojekt, mit dem die Konstanzerinnen und Konstanzer demnächst auf ihre Lastenradtauglichkeit geprüft werden. An insgesamt 12 Stationen in Altstadt, Paradies und Petershausen können jedermann und jedefrau zwei Jahre lang Lastenfahrräder, von Fachleuten gemeinhin als „Transporträder“ bezeichnet, mieten.

Konstanz ist reif fürs Transportrad

Außer Konstanz nimmt das etwa gleich große schleswig-holsteinische Norderstedt als zweite Kommune an diesem Modellprojekt teil. An den Gesamtkosten von 470 000 Euro für Konstanz muss sich die Bodenseemetropole nur zu 20% beteiligen – ein echtes Schnäppchen für die hiesigen Stadtmütter und -väter also, denn den Löwenanteil bezahlt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Eine verlockende Zukunftsperspektive bietet das Projekt zudem: Nach den zwei Jahren Testphase kann die Stadt Konstanz die gesamte Infrastruktur einschließlich der Räder für einen „symbolischen“ Preis, also mehr oder weniger für lau, übernehmen. In diesen zwei Jahren soll geprüft werden, inwieweit in der Bevölkerung tatsächlich eine ausreichende Akzeptanz und Nachfrage für Lastenräder besteht.

Als Privatperson ein solches Fahrrad anzuschaffen, ist eine zwiespältige Angelegenheit: Man benötigt es nicht täglich und kriegt es kaum eine Kellertreppe runter – darum scheint es etlichen Menschen äußerst reizvoll, jeweils bei Bedarf ein solches Fahrrad mieten zu können.

Die Frage, die das Projekt TINK beantworten soll, ist natürlich: Werden die KonstanzerInnen für ihren Samstagseinkauf oder die Fahrt zum Getränkehandel oder für den feuchtfröhlichen Ausritt zum Picknick am Seeufer oder die Ausfahrt mit den Kindern das Auto stehen lassen und sich ein Transportrad mieten? Tatsächlich? Man wird sehen.

Was bietet TINK?

Die wissenschaftliche Begleitung des Projektes hat im Vorfeld eine nicht repräsentative Online-Befragung durchgeführt und dabei festgestellt, dass erstaunlich viele Menschen ein Transportfahrrad zur Kinderbeförderung nutzen wollen. Wichtig ist den KonstanzerInnen natürlich auch die Alltagstauglichkeit, und eine breite Mehrheit der Antwortenden ist nicht primär an E-Bikes interessiert.

Es wurde entschieden, in Konstanz 16 Zweiräder plus 8 Dreiräder anzuschaffen, darunter auch einige mit Elektroantrieb – wer an der Friedrichstraße wohnt, wird es zu schätzen wissen. Die Hälfte der Fahrräder soll übrigens Kindersitze haben und ist damit bestens für den Ausflug an Hörnle oder Kuhhorn geeignet, denn neben ein paar Kindern passt auch noch das gesamte Zubehör locker mit hinein.

Wichtig für den Erfolg eines solchen Systems ist die Usability, wie man auf neudeutsch sagt. Die Wege zur nächsten Leihstation sollen nicht zu lang und das Verfahren nicht zu umständlich sein. Deshalb ist ein relativ dichtes Netz von Stationen geplant, das bei Bedarf verlagert oder ergänzt werden soll. Wo sich ein Fahrrad gerade befindet, wird per GPS ermittelt, so dass sich verlässliche Daten über die tatsächliche Nutzung und mögliche weitere Verleihstationen gewinnen lassen.

Ein dichtes Netz

Ein Mietsystem funktioniert natürlich nur, so lange es den KundInnen entgegenkommt, denn es braucht schon starke Argumente, um jemanden zum Umstieg aufs Transportrad zu bewegen: Deshalb müssen die Fahrräder nicht an derselben Station abgegeben werden, an der sie gemietet wurden, mann/frau kann also getrost von A nach B fahren und muss das Ding nicht eigens zurück kutschieren. Die Rückführung von Rädern in die Heimatstation werden die Betreiber des Systems per Muskelkraft (und nicht etwa mit einem Auto) erledigen.

Derzeit werden, so erklärte Umweltpsychologe und Hauptinitiator Marco Walter dem gemeinderätlichen Arbeitskreis Radverkehr, noch zusätzliche Sponsoren gesucht, die weitere Mietstationen ermöglichen. Bau- und Getränkemärkte etwa sind typische Kandidaten, denn dort kauft man zwar sperrige Produkte, die nicht in jeden Fahrradkorb passen, aber man braucht für die meisten Einkäufe auch nicht unbedingt einen Lieferwagen.

Attraktive Transportalternative

Am Preis jedenfalls wird das Projekt auf keinen Fall scheitern: Die 1. Stunde kostet gar nichts, danach wird ein € pro Stunde fällig, und in zwei Stunden kann man für einen Euro schon ziemlich viel Kram in einer Stadt von der Größe Konstanz’ transportieren, mit diesem Preis kann kein anderes Transportmittel mithalten. Der Tagestarif wird bei neun € liegen. Die Fahrräder sind holländische Qualitätsware, haben eine 8-Gang-Schaltung und kosten in der Anschaffung pro Stück um die 2000 Euro.

Wer noch keine Fahrpraxis hat: Wenn’s mit einem halbwegs beladenen Transportrad auch nur die Steigung zu einer der Konstanzer Brücken hochgeht, ist man für acht Gänge durchaus dankbar. Obacht erfordert aber besonders die Fahrt bergab mit den Dreirädern: Da man sich mit ihnen nicht schräglegen kann, haut’s einen in den ersten Kurven beinahe aus dem Sattel, weil die Fliehkräfte wesentlich stärker sind als erwartet. Zu Anfang ist in Kurven also höchste Tempozurückhaltung geboten, aber nach ein paar Kilometern hat mann/frau sich daran gewöhnt.

Ein Tipp aus der Praxis: Jene Transporträder, die als Dreiräder ausgebaut sind, sind bei Eis und Schnee Gold wert: Damit kommt man durch jede Schneewehe auf ungeräumten Radwegen und ausrutschen oder umfallen kann man damit auch kaum.

Harald Borges

Weitere Informationen:
https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/tink-transportrad-initiative-nachhaltiger-kommunen