Die Lebensmittel-Retter vom Wochenmarkt
Ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel ist für die Tonne. Schon der Bauer auf dem Feld lässt – meist auf Anweisung der Großmärkte – Gemüse auf dem Feld liegen, weil der Kunde das nicht mag oder die krumme Gurke nicht in die Kiste passt. Bis zu einem Drittel der Ernte bleibt so auf deutschen Äckern liegen. Dagegen kämpfen Lebensmittel-Retter auch in Konstanz – sie wühlen in Müllcontainern oder sehen sich auf Wochenmärkten um. Eine weltweite Aktion gegen Haltbarkeitsdatum und Überfluss-Wirtschaft.
Weil die Supermarktkunden erwarten, eine halbe Stunde vor Ladenschluss noch einen knackigen Salatkopf oder ein paar frisch aufgebackene Brötchen kaufen zu können, muss konstant nachgeliefert und aufgefüllt werden. Was abends übrig bleibt, landet dann auf dem Müll. Verbraucher, die beim Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum übervorsichtig sind, sorgen dafür, dass beispielsweise Joghurt lange Zeit vor seiner tatsächlichen Verderblichkeit weggeworfen wird. Millionen Jahre altes Himalaya Salz, das mindestens haltbar ist bis Februar 2017, salzt sicher auch im März noch gut. Denn das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwurfdatum.
Anton, der Mülltaucher
Das findet auch Anton, Student aus Konstanz, der überhaupt nicht zimperlich ist mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum (Name v.d.Red. geändert). „Das ist bei vielen Lebensmitteln einfach nur ein schlechter Witz“, findet Anton. „Nährstoffe wie Getreide, Reis zum Beispiel, kann ja gar nicht schlecht werden. Auch bei Käse mache ich mir keine Sorgen, wenn der mal ein paar Tage drüber ist. Bei Joghurt sind ein paar Tage auch kein Problem. Nur bei Fleisch muss man aufpassen. Da sollte man das nicht überstrapazieren. Um Fisch und Geflügel mache ich eher einen Bogen.“
Anton ist Mülltaucher. Im Schutze der Nacht stattet er den Müllcontainern seinen Besuch ab. Ausgestattet mit Rucksack, Müllsäcken, Schutzhandschuhen und einer Stirnlampe durchforstet er die Container von Supermärkten in der Konstanzer Innenstadt nach Lebensmitteln. „Manchmal wunderst du dich echt, was alles weggeschmissen wird.“, meint Anton, „Da wird der ganze Satz Eier weggeworfen, weil eines aufgeplatzt ist. Oder ein Tetrapak Saft ist aufgegangen, dann landen die anderen 20 Packungen auch in der Tonne, weil ein bisschen was drüber gelaufen ist.“
Er mache das nicht regelmäßig, und auch eher im Winter, wegen der günstigeren Temperaturen. In Konstanz gebe es Supermärkte, wo die Tonnen zugänglich seien, aber speziell in der Innenstadt sei es relativ begrenzt, da viele Supermärkte ihre Müllbehälter einschließen. Ein Schloss aufknacken würde Anton nie, von kleinen Zäunen oder Absperrungen hingegen lässt er sich nicht aufhalten.
Er macht das auch aus politischer Überzeugung. „Lebensmittel sind wertvoll und es ist keinesfalls selbstverständlich, in einer solchen Fülle zu leben, wie wir es tun. Früher waren Lebensmittel heilig, jetzt werfen wir sie weg. Gemessen am globalen Hunger und der Armut ist das ein unglaublich irrationales Verhalten, das unserem kulturellen Umgang mit der Natur nicht gut tut.“
Foodsharing, bundesweit vernetzt
„Das Schönste an den gefundenen Sachen ist“, so Anton, „dass sie frei sind. Sie sind für die Konsumwelt wertlos, aber sie ernähren einen und man kann sie teilen und zusammen mit Freunden was damit kochen. Das ist für mich der beste Nutzen aus der Sache.“
Damit Leute wie Anton nicht im Dunkeln Mülltonnen räubern müssen, versucht der 2012 gegründete Verein Foodsharing Strukturen zu schaffen, die Lebensmittel vor der Tonne retten. Durch Kooperationen mit Supermärkten und Händlern werden nicht verkaufte Lebensmittel statt in den Müll zu den sogenannten Fair-Teilern gebracht. So bezeichnet man die Orte, an denen die Lebensmittel der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Diese Fair-Teiler gibt es in ganz Deutschland. Foodsharing ist inzwischen deutschlandweit vernetzt.
„Lebensmittel-Retter Konstanz“
Susanna Güttler hat bereits mehrere dieser Treffen besucht. „Dort trifft man dann auch prominente Personen der Foodsharing-Bewegung, wie zum Beispiel Valentin Thurn, Gründer von Foodsharing und Produzent des Dokumentarfilms Taste the Waste, oder Raphael Fellmer, der 5 Jahre lang im Geldstreik gelebt hat. Es ist spannend nachzuverfolgen, wie diese Personen und ihre Projekte sich weiterentwickeln.“, findet sie.
Die studierte Ernährungswissenschaftlerin lebt seit drei Jahren in Konstanz und ist Gründerin der „Lebensmittel-Retter Konstanz“. Was als Gruppe auf Facebook begann, hat sich zu einer etablierten Foodsharing-Gruppe in der Stadt entwickelt. Auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam wurde die 31-jährige durch ein Erlebnis mit weggeworfenen Lebensmitteln: „Ich wurde von einem Freund zum Essen eingeladen.“, erzählt sie, „der hat mir anschließend erklärt, dass er die Zutaten dafür im Müll von Supermärkten gefunden hat. Und es hat sehr gut geschmeckt.“
Wegwarte und Foodo machen mit
Foodsharing ist in Konstanz gut organisiert. Es gibt feste Kooperationen mit Supermärkten und Lebensmittelhändlern vor Ort. Zum Beispiel arbeitet die Gruppe mit mehreren Ständen auf den Konstanzer Märkten zusammen. „Mit der Wegwarte in der Chérisy-Kaserne arbeiten wir schon von Anfang an, die haben uns auch den ersten Anhänger gesponsert.“, berichtet Susanna. Auch der Lebensmittel-Lieferservice Foodo macht mit. Der hat den Lebensmittelrettern sogar die Mitnutzung eines Liefer-Fahrrads mit Kühlbox für den Sommer in Aussicht gestellt. Auch eine Kooperation mit der Tafel besteht, denn auch da bleibt mal was im Regal. „Kooperationen mit Bauern haben wir ebenfalls versucht. Zum Beispiel mit Reichenau-Gemüse, da gab es auch einen Kontakt, aber die Mengen waren leider einfach zu groß für uns.“
Die Lebensmittelretter besuchen zwei bis drei Betriebe täglich, um Lebensmittel abzuholen. Sie selbst nehmen sich, was sie brauchen und der Rest geht zu den Fair-Teilern in der Stadt. In Konstanz gibt es mehrere dieser Lebensmittel-Verteiler: Im Palmenhaus im Paradies, in der Uni- Aula und mittwochs im Treffpunkt Petershausen. „Eine von uns stellt die Sachen auch mal vor ihre Haustür, damit sich Leute dort was mitnehmen können.“, erzählt Susanna. Und Nachbarn legen manchmal etwas dazu.
Geld soll keine wichtige Rolle spielen bei Foodsharing. „Wir machen das alle freiwillig“ erklärt Susanna. „Insgesamt sind so um die 60 Menschen in der Gruppe, davon sind 20 aktiv. Die zwei Anhänger, die wir nutzen, wurden gespendet. Für kleinere Reparaturen, wie etwa einem platten Reifen am Fahrrad, gibt es eine Spendenkasse.“
Negative Reaktionen hat Susanna noch keine mitbekommen. „Am Anfang war es etwas schwieriger, da hatten wir auch Probleme mit Leuten, die sich als Lebensmittelretter von Foodsharing ausgegeben und so das Vertrauen mancher Händler missbraucht haben. Aber ich glaube, die meisten finden das richtig gut. Foodsharing ist hier schon relativ beliebt, die Lebensmittel in den Fairteilern sind manchmal echt schnell weg.“
Frankreich verbietet das Wegwerfen, Deutschland sollte folgen
Foodsharing behauptet auf seiner Website, insgesamt bereits fast 4000 Tonnen Lebensmittel gerettet zu haben. Doch das soll nicht immer so bleiben, meint Susanna. „Es wäre ganz cool, wenn wir bald alle arbeitslos wären und die Betriebe ihre Sachen selber recyceln oder verbrauchen würden, aber bis es soweit ist, machen wir das eben.“
Dass es auch anders gehen kann, zeigt ein Blick ins benachbarte Frankreich: Dort wurde im Mai 2015 das Wegwerfen unverkaufter Lebensmittel verboten. Supermärkte müssen nun alle liegen gebliebenen Lebensmittel für wohltätige Zwecke spenden und für Tierfutter oder als Kompost der Landwirtschaft zur Verfügung stellen. Ab einer Ladengröße von über 400m² müssen sie außerdem Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen eingehen. Doch in Deutschland stehen solche Gesetze bisher auf keiner politischen Agenda.
Rafael Cuenca Garcia