Die Pappeln sind tot – es leben die Pappeln
So langsam zeichnet sich ein vorläufiges Ende der Posse um die Pappelallee im Tägermoos ab, denn alle Seiten haben nachgegeben: Die Stadt verzichtet auf einen Kahlschlag und hält am Fällstopp fest, und die Bürgerinitiative bekommt statt einer Mischbepflanzung die von ihr gewünschte reine Pappelallee, dafür muss sie allerdings zähneknirschend Schwarz- statt der heißgeliebten Hybridpappeln akzeptieren. Wann und wie konkret gefällt und gepflanzt wird, soll irgendwann gemeinsam entschieden werden.
Als der Technische und Umweltausschuss (TUA) am 10. Januar 2012 – einem denkbar trüben Dienstag praktisch ohne Sonne und mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt – in öffentlicher Sitzung den Tagesordnungspunkt 13 „Uferplanung Untersee und Rhein“ durchwinkte, war seinen Mitgliedern wohl kaum klar, dass sie gerade die Fackel ihres Beschlusses in das Pulverfass des Volkswillens geworfen hatten. Dieser Tagesordnungspunkt beinhaltete nämlich nicht mehr und nicht weniger als das Todesurteil für die Hybridpappeln im Tägermoos, „Freibrief für Baummörder“ nennen manche EinwohnerInnen diesen Beschluss heute.
Man hatte hehre Ziele
Dass aus dem (maßgeblich von der Politischen Gemeinde Tägerwilen formulierten) Maßnahmenkatalog drei Jahre später der größte Aufstand der Konstanzerinnen und Konstanzer wider ihre Obrigkeit seit dem Kampf um das Konzerthaus auf Klein Venedig entstehen sollte, war nun wirklich nicht zu erwarten, denn die Beschlussvorlage hatte durchaus hehre Ziele: „Erhaltung und Förderung der wertvollen Schilfbestände und Auenwaldreste. Den Auenwäldern den dafür notwendigen Raum sichern. Freizeitnutzung extensiv, naturverträglich und naturnah belassen. Nutzungsentflechtung von Velo- und Wanderweg entlang dem Ufer anstreben.“
Als eine Maßnahme mit ausdrücklich hoher Priorität wurde beschlossen: Die „bestehende Hybrid-Pappel-Allee ist kurzfristig mit standortgerechten Bäumen wie Stileichen zu ergänzen und längerfristig vollständig durch standortgerechte Bäume zu ersetzen.“ Alles klar also: Möglichst viel Natur, fremde Hybridpappeln zu Grillkohle, möglichst unschädliche Nutzung durch Erholungssuchende.
Als dann schließlich im Januar 2015, also drei Jahre später, 41 Bäume fielen, kochte der Volkszorn bekanntlich hoch und höher, Herzblut begann aus vollen Adern zu strömen, und eine Bürgerinitiative setzte bei der Stadt einen Fällstopp durch. Dass vielleicht auch manche PolitikerInnen, die damals im TUA für das Fällen gestimmt haben, heute lauthals auf die sture Verwaltung schimpfen, ist natürlich eine bösartige Vermutung.
Ein Blick in die Zukunft
Zielvorstellung der Stadt ist, wie Martin Wichmann, der stellvertretende Leiter des Konstanzer Amtes für Stadtplanung und Umwelt, in der letzten Sitzung des Gemeinderates erläuterte, ein Naturschutzgebiet mit Flachmoor, das auch als Amphibienlaichplatz dient. Ziel der künftigen Fällungen müsse es sein, die Ökologie zu verbessern, den Baumbestand zu verjüngen, den Pflegeaufwand (die Kosten also) zu verringern und die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Er geht davon aus, dass diese Bäume nur noch im Kollektiv lebensfähig sind (also nicht einzeln gefällt werden sollten) und dass die Allee in ihrer jetzigen Form mit kostenaufwendigen Maßnahmen noch etwa 10-15 Jahre halbwegs erhalten werden kann. Nach seinen Angaben hat die gerade abgeschlossene Pflege 38 000 Euro gekostet, und für die nächsten Jahre rechnet er mit jeweils 20 000 bis 25 000 Euro.
Mischbepflanzung oder Pappeln pur?
Im Gemeinderat wurde die Frage, ob es eine reine Pappelallee oder eine Mischbepflanzung mit Schwarzpappeln, Eichen, Silberweiden o. ä. geben solle, kontrovers diskutiert. Der BUND hatte sich im Vorfeld für eine ökologisch wertvollere Mischbepflanzung auch entlang des Weges stark gemacht (Gemurmel von Bürgerinitiativlern im Publikum „der BUND ist doch gekauft!“, „die kriegen doch Millionen Spenden“, „Arschkriecher“). Jürgen Ruff (SPD) etwa setzte sich für eine solche Mischbepflanzung ein, die zu stabileren Einzelbäumen führen würde und ein höheres Alter erreichen könne, außerdem zweifelte er daran, dass die Schwarzpappeln an allen Stellen tatsächlich gut anwachsen werden. Heftigen Beifall erhielt er für seine Forderung, Veränderungen dieser Größenordnung künftig nicht in einem Ausschuss, sondern vom gesamten Gemeinderat abstimmen zu lassen. Die Grünen waren in der Frage der Bepflanzung untereinander uneins, aber wahrscheinlich haben die Konstanzer in dieser Frage eh wenig zu sagen, weil dabei der Naturschutz des Kantons Thurgau ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat.
Wie geht es weiter?
Der Gemeinderat beschloss letztlich, dass die die Stadtverwaltung gemeinsam mit Vertretern der Bürgerinitiative, den Naturschutzverbänden BUND, NABU und WWF Schweiz, der Gemeinde Tägerwilen, den Vertretern des Kantons Thurgau und verschiedenen Experten ein Zielkonzept „Rheinweg Tägermoos 2050“ für den gesamten Rheinweg im Tägermoos entwickeln und irgendwann dem Gemeinderat zur Entscheidung vorlegen soll. Man darf gespannt sein, ob all diese Beteiligten es tatsächlich schaffen, sich zu einem solchen Zielkonzept zusammenzuraufen, oder ob der Kampf einfach nur in eine neue Runde geht. Bis dahin jedenfalls wird nicht mehr gefällt. Außerdem sollen ab Oktober 2015 die 41 Gefallenen durch Schwarzpappeln ersetzt werden, und wenn die nicht wachsen wollen, eventuell auch durch andere standortgerechte Bäume.
Die Konstanzer Baumschutzexperten, deren Zahl in den letzten Monaten ähnlich rasant gewachsen ist wie jene der Bundestrainer bei einer Fußballweltmeisterschaft (so Holger Reile, LLK), können also beruhigt sein: Der jetzige Zustand bleibt noch einige Zeit erhalten, und danach gibt es wohl wieder eine trauliche Pappel-Monokultur, die das natürliche religiöse Bedürfnis, in einer Blätterkathedrale zu lustwandeln, ebenso befriedigt wie den bürgerlichen Ordnungssinn. Vorhang. Applaus!
O. Pugliese