Die Posse um das Konstanzer Amtsblatt

Konstanz bekommt definitiv kein Amtsblatt, obwohl vermutlich eine Mehrheit des Gemeinderates in der gestrigen Sitzung dafür gestimmt hätte. Oberbürgermeister Uli Burchardt zog vielmehr den Vorschlag der Verwaltung, ein solches Blatt einzurichten, zurück und verhinderte so die Abstimmung darüber. Seine Begründung: Die zu erwartenden 55 Prozent Zustimmung im Gemeinderat seien ihm für dieses Projekt zu wenig.

Man kennt das aus den USA: Bei der Präsidentschaftswahl wird nicht unbedingt der- oder diejenige mit den meisten Stimmen am Ende auch PräsidentIn, sondern der mit dem prachtvollsten Edelstahltoupet. So ähnlich ging es gestern Nachmittag auch im Konstanzer Gemeinderat: Nachdem die SPD sich plötzlich vom Amtsblatt distanziert hatte und die Grünen wieder einmal in allem wackelten, an was sie so glauben, nutzte der Oberbürgermeister die günstige Gelegenheit, das Projekt komplett zurückzuziehen. Keine Abstimmung, keine überarbeitete Wiedervorlage, aus, tot, vorbei. Es sei denn, eine Fraktion bringt das Amtsblatt irgendwann nach der gesetzlichen Wartezeit (von sechs Monaten) erneut als eigenen Antrag ein. Aber wer wird sich das in ein paar Monaten kurz vor der Bundestagswahl noch antun wollen, wenn es dann doch ohnehin gilt, klare Kante zu zeigen und auf seinen Standpunkten zu beharren, sofern man welche hat?

Was war da eigentlich los?

Letztlich glich die Veranstaltung einer Posse, die zumindest einer sichtlich genoss: Der Oberbürgermeister. Uli Burchardt erklärte zu Beginn der Sitzung, er setze diesen Tagesordnungspunkt ab, und auf Zwischenrufe etwa von Anke Schwede (LLK) hin erklärte er, dies sei eine Vorlage der Verwaltung, und die Verwaltung habe jederzeit das Recht, eine ihrer Vorlagen zurückzuziehen.

Die Begründung des Oberbürgermeisters für den Rückzug hatte es dann aber in sich. Ihm sei die im Gemeinderat zu erwartende Mehrheit von 55 Prozent nicht groß genug, erklärte Uli Burchardt. Er erinnerte daran, dass noch im April das Projekt Amtsblatt im Haupt- und Finanzausschuss (HFA) eine Zustimmung von mehr als 66 Prozent erfuhr. Im September waren nach seinen Worten 75 Prozent des Gemeinderates dafür, und am 6.12. wiederum im HFA noch 64 Prozent (9 Ja, 4 Nein, 1 Enthaltung laut Protokoll). In den Worten der Beschlussvorlage: „In der Sitzung des Gemeinderats vom 29.09.2016 hat der Gemeinderat die Verwaltung beauftragt, die Ausschreibung eines Amtsblatts vorzubereiten sowie den Text der Ausschreibung und das Redaktionsstatut dem Gemeinderat im Rahmen der Haushaltsberatungen 2017/18 vorzulegen.“ Und genau das geschah gestern.

Der Oberbürgermeister berichtete, im Vorfeld der gestrigen Gemeinderatssitzung habe ihm die SPD signalisiert, sie werde geschlossen gegen das Amtsblatt stimmen, und die Mehrheit der FGL werde sich bei diesem Thema gar enthalten. Die zu erwartenden 55 Prozent Zustimmung seien ihm als Oberbürgermeister aber zu wenig, denn es sei von vornherein Konsens gewesen, dass dieses Projekt von einer breiten Mehrheit getragen werden müsse.

Etliche Gemeinderätinnen und -räte drückten mehr oder minder spontan ihr Bedauern aus: Ewald Weisschedel (FWK) etwa oder Roger Tscheulin (CDU), der mit Recht anmerkte, durch diesen Akt des Oberbürgermeisters werde die Mehrheit durch die Minderheit dominiert. Auch Gabriele Weiners (JFK) Einwurf, 55 Prozent Zustimmung im Gemeinderat seien für dieses Projekt genug, entbehrt nicht einer zwingenden Logik.

War das jetzt Wahlkampf oder was?

Für die SPD begründete Jan Welsch deren geschlossene Ablehnung des Amtsblatts durch die Sozis eher schwach: Er behauptete, der Gemeinderat habe der Verwaltung einen Prüfauftrag erteilt, und das Ergebnis eines solchen Prüfauftrages abzulehnen, sei die natürlichste Sache der Welt.

Prüfauftrag? Vorstadium einer Entscheidung oder so? Der Antrag der Verwaltung hieß im Kern: „Der Gemeinderat beschließt für die Herausgabe eines Amtsblattes der Stadt Konstanz finanzielle Mittel im Haushalt 2017 und 2018 von jeweils 257.000 € (Sachkosten) sowie eine 0,75-Stelle im Stellenplan. Der Gemeinderat beschließt das Redaktionsstatut für das Amtsblatt. Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, die Satzung über öffentliche Bekanntmachung dahingehend zu überarbeiten, dass zukünftig die öffentlichen Bekanntmachungen im Internet und die öffentlichen Bekanntmachungen zur Bauleitplanung nach dem Bundesbaugesetzbuch im Amtsblatt veröffentlicht werden.“ Abstimmung über Ergebnis eines Prüfauftrages? Nix da. Jan Welsch hat ein gutes Näschen für „postfaktische“ Politik. Nebelbomben sind nix dagegen.

Rosarotes Bäuerchen

Bedenkenswerter als Welschs „rosarotes Bäuerchen“ (so Holger Reile von der LLK) waren die Einwände von Anne Mühlhäußer (FGL) gegen das Amtsblatt. Sie fand das Vorhaben angesichts der angeblich vorauszusehenden Finanznot der Stadt Konstanz überflüssig und mit ca. 104 000 Euro zusätzlicher Kosten (von den Sach- und Personalkosten sind die Einnahmen durch Anzeigen abzuziehen) viel zu teuer und erklärte ein solches gedrucktes Blättchen zudem für in den Zeiten der Digitalisierung nicht mehr zeitgemäß. Der Linken Liste warf sie vor, diese sei ja nur für das Amtblatt, weil sie sich dort endlich selbst darstellen könne.

Ein absurder Vorwurf, denn im Amtsblatt war Platz für Meinungsäußerungen sämtlicher Fraktionen eingeplant – und nicht nur für jene der LLK. Noch vor wenigen Monaten wässerten so ziemlich alle Gemeinderatsmäulchen – auch bei den Grünen – beim Gedanken daran, ihre Fraktionsmeinungen per Amtsblatt auf städtische Kosten an sämtliche Konstanzer Haushalte verteilen zu lassen.

Was aber trieb die SPD, ein Amtsblatt, das immerhin die von der SPD befürwortete Bürgerinformation auf eine wesentlich breitere Basis gestellt hätte, wirklich zu ihrer Ablehnung? Sie hatte sich die ambitionierte Aufgabe gestellt, in der gestrigen Gemeinderatssitzung die Haushaltsdebatte öffentlichkeitswirksam vertagen lassen zu wollen (mehr dazu morgen), und da war das Amtsblatt ein passables erstes Bauernopfer für unsere blassroten Sparkommissare. Das ist kein Problem, denn schließlich kann man ja für oder gegen ein Amtsblatt sein, aus welchen Gründen auch immer, und seien es rein propagandistische.

Was soll das?

Was aber trieb den Oberbürgermeister dazu, das Amtsblatt nicht mit der zu erwartenden Mehrheit des Gemeinderates beschließen zu lassen, sondern das Projekt einfach zurückzuziehen? Das wird sein Geheimnis bleiben. Man darf getrost davon ausgehen, dass es nicht die Attacken des Südkuriers waren, der angesichts seiner zu erwartenden Anzeigenverluste schon früh den finanziellen Untergang der Stadt durch die Kosten für das Amtsblatt auszurufen und dem Vernehmen nach manche Fraktionen zwecks Einflussnahme auch anzurufen versuchte. Aber was dann? War hier jemals ein Quorum gefordert? Nein, das war es nicht.

Bei den Wahlen in Nordkorea mögen 98,7 % bis 108,9 % Zustimmung die Regel sein, weil es ja wirklich freie Wahlen sind. Aber ein Konstanzer Oberbürgermeister, der ein vergleichsweise kleines und billiges Projekt beerdigt, weil er vermutet, dass er mehr als 55 % Ja-Stimmen nicht bekommt? Und das, während er vermutlich auf der Stelle bereit wäre, eine 55-Millionen-Konzerthalle mit einer einzigen – nämlich seiner eigenen – Stimme Mehrheit zu bauen? Das hat Schmackes und einen starken Zug ins Unglaubwürdige.

Nun ja, die Zeiten mögen sich ändern, aber eine Erfahrung verfolgt einen am Ende doch durch ein ganzes Leben: „Wer hat uns verraten?“ reimt sich heute wie eh und je noch immer am besten auf „Sozialdemokraten“.

O. Pugliese