Die Singener Schlammschlacht ist eröffnet

Nicht nur Lokalpolitiker schauen dieser Tage mit Sorge nach Singen: In zehn Tagen, am 22.Juli, sollen die Wahlbürger in einem Bürgerentscheid bestimmen, ob es zu einer kreisweiten Fusion der Kliniken von Singen und Konstanz kommt. Bei einer Absage der Fusion, der sämtliche Gemeinderäte bereits zugestimmt haben, droht eine Privatisierung beider Krankenhäuser. Es steht also viel auf dem Spiel: Entsprechend heftig wird um die Entscheidung gekämpft – nicht immer mit fairen Mitteln.

Da kommt der aktuelle Bericht der Wirtschaftsprüfer den Befürwortern einer kreisweiten Fusionslösung gerade recht. Denn deren Hauptargument ist: Der HBH-Verbund Singen ist alleine nicht überlebensfähig – es braucht den Zusammenschluss mit dem Klinikum Konstanz. Und die Singener Wirtschaftsführer stellen denn auch klar:

„Der HBH-Klinik-Verbund ist weiterhin überschuldet“. Die Prüfer haben Jahresabschlüsse der vergangenen drei Jahre unter die Lupe genommen. Im operativen Bereich stehe der Klinik-Verbund danach allerdings gut da, so HBH-Geschäftsführer Peter Fischer. Die Ertragslage sei gut und die Fallzahlen hätten an allen HBH-Standorten gesteigert werden können. Aber damit sei der Gesundheitsverbund „noch nicht auf der sicheren Seite“. Den Bilanzen nach gebe es beim Eigenkapital ein Defizit von über neun Millionen Euro. Damit sei die Hegau-Bodensee-Hochrhein-Kliniken GmbH „aus Sicht von Banken und anderer Kreditgeber nicht mehr kreditwürdig“.

Konsequenz für Oberbürgermeister Ehret und die Befürworter der Kreislösung: An einer Zustimmung zur kreisweiten Fusion am 22.7. könne es keinen Zweifel geben. Nur so sei der Fortbestand der Gesundheitsvorsorge in Singen auf Dauer zu sichern.

Der Trick der Kritiker

Das rief postwendend die Kritiker vom Verein „Pro Singen“ auf den Plan, die den Bürgerentscheid  mit 4500 Unterstützer-Unterschriften erst möglich gemacht hatten. Trickreich allerdings lenken sie in ihrer aktuellen Presseerklärung vom Problem der HBH-Überschuldung ab, indem sie die Kreditwürdigkeit des Landkreises Konstanz infrage stellen, der im Zweifel für die Schulden in Singen aufkommen müsste. „Klar ist, dass der Landkreis keine Bürgschaften für neue Kredite des angedachten Kreiskrankenhauses geben kann,“ so Kreisrätin Veronika Netzhammer (CDU), die damit eine Mitteilung des Regierungspräsidiums Freiburg – nicht ganz sinnentsprechend – zitiert.  Die Kreisräte Hänssler, Netzhammer und Rühland, allesamt Kritiker der Kreislösung, fühlen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass der Landkreis Singener Schulden nicht stemmen könne, weil er mittelfristig unterfinanziert sei. Deshalb hätten sie bei den Haushaltsberatungen auch für eine höhere Kreisumlage gestimmt.

Die Korrektur durch das Landratsamt ließ nicht auf sich warten: „Die Zitate aus dem Haushaltserlass (des Regierungspräsidium, die Red.) geben den Inhalt nur unvollständig wieder“. Die Verschuldung des Landkreises konnte von 2005 auf 2011 um etwa fünf Millionen Euro gesenkt werden. „Der Landkreis wird auf dieser Basis auch in Zukunft die nötigen Mittel erhalten, um seine Investitionen zu finanzieren und vertraglich zugesicherte Bürgschaften zu geben“, so die unmissverständliche Mitteilung aus dem Landratsamt.

Wer „Ja“ will, muss mit „Nein“ stimmen

Viele Fragezeichen rund um die Bürger-Entscheidung am 22. Juli. Wird das immer noch geltende Quorum erreicht, wonach sich 25 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligen müssen? Bei der letzten Kommunalwahl sind gerade mal 12.900 Personen von 33.000 Wahlberechtigten zur Wahl gegangen. Und dann muss noch eine Mehrheit zustande kommen. Das aber wird kompliziert. Denn wie schon bei der Abstimmung zu Stuttgart 21 müssen die WählerInnen mit „nein“ stimmen, wenn sie „ja“ meinen. Wer den zustimmenden Beschluss des Gemeinderats vom 24. April aufheben und damit der Klinikfusion eine Absage erteilen will, stimmt mit „ja“ , wer aber die Klinikfusion im Landkreis will (und dem Gemeinderat nicht widerspricht) stimmt mit „nein“. Wer hat sich nur solchen Schmarren ausgedacht?

Der Appell der Gewerkschaft

Die für die Krankenhaus-Beschäftigten in Konstanz wie Singen zuständige Gewerkschaft ver.di gehört zu den ersten und energischsten Verfechtern einer Kreislösung. Kein Wunder, dass sie ihre Mitglieder zu einer eindeutigen Abstimmungs-Entscheidung aufruft. Wir dokumentieren das Schreiben der Gewerkschaft, das in diesen Tagen alle ihre Mitglieder in Singen erreichte:

Liebe Kolleginnen, lieber Kollegen,

vor knapp zwei Jahren stand das HBH-Klinikum in Singen vor der Insolvenz. Die Beschäftigten haben durch Abschluss eines Sanierungstarifvertrages, von ver.di verhandelt, dazu beigetragen, dass momentan die finanzielle Situation stabil ist. Das hat die Beschäftigten nicht nur finanzielle Opfer gekostet, auch die Arbeitsbelastung ist weiter gestiegen.

Zwar wurden jetzt 3,5 Millionen Euro Überschuss erwirtschaftet bei einem Jahresetat von rund 100 Millionen Euro. Jede Tariferhöhung um 1% kostet jedoch allein schon 700.000 Euro. Diese Größenverhältnisse muss man sich vor Augen halten, wenn man davon spricht, dass in den nächsten Jahren „größere“ Gewinne nach Konstanz fließen könnten.

Frau Netzhammer blendet die brenzlige Situation von vor zwei Jahren heute offenbar gänzlich aus, ebenso wie die Tatsache, dass sie als verantwortliche Aufsichtsrätin des HBH-Verbundes von der drohenden Insolvenz „überrascht“ wurde.

Ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass eine kreisweite Fusion alle Probleme beseitigt, aber ich sehe im Zusammengehen der einzelnen kommunalen Krankenhäuser im Landkreis die einzige Chance, sich regional auf längere Sicht hin gegen die Privatisierungswelle zu behaupten. Erklärtes Ziel der Bundes- als auch Landespolitik ist eine „Marktbereinigung“, also eine Reduzierung der Krankenhäuser. Der Logik eines Bettenüberhangs kann sich auch ein ein Herr Rühland nicht verweigern.

Gleichzeitig tobt auf dem Gesundheitssektor ein Konkurrenzkampf der privaten Konzerne. Die Übernahme der Rhön-Kliniken durch den Fresenius-Helios-Konzern ist zwar gerade gescheitert, aber wenn die Privaten ihre 15 % Renditeerwartungen umsetzen wollen, dann können sie dies nur durch immer stärkere Expansion. Manche sehen in dem dadurch verursachten Wettbewerb sogar noch etwas Positives, ich zitiere lieber das Magazin der Süddeutschen von letzter Woche:

„Wenn Ärzte und Kliniken wirtschaftlich erfolgreich arbeiten, ist das gut für uns alle. Es sei denn, ein Patient braucht Hilfe“.

Keine Singener Bürgerin, kein Singener Bürger muss bei einer Kreisfusion befürchten, in Zukunft seinen gebrochenen Arm, seinen geplatzten Blinddarm, in Konstanz behandeln zu lassen. Das ist und bleibt Unfug, egal wie scheinbar honorig er auch vorgebracht wird. Und die Singener Kinder werden weiter in Singen geboren. Aber wenn die regionalen Kräfte nicht gebündelt werden, werden wir viel häufiger nach Villingen-Schwenningen, Freiburg oder Tübingen fahren müssen, weil hochspezialisierte Medizin nicht mehr im Kreis angeboten werden kann.

Und noch ein Wort zum Vorgehen von Frau Netzhammer und Herrn Rühland: Allein schon der Name des Vereins „Pro Singen“ verkörpert für mich einen fehlgeleiteten Lokalpatriotismus, weil unter dem Deckmantel, das Beste für Singen zu wollen, mit falschen Zahlen und Argumenten Ängste geschürt werden.

Wenn die Gegner der Kreisfusion immer wieder die Frage der Unternehmensanteile aufwerfen und dabei den Eindruck erwecken, es ginge nur darum, bessere Einflussbedingungen auszuhandeln und Konstanz in die Schranken zu weisen, dann halte ich dieses Vorgehen mittlerweile für unlauter. Es wird dabei konsequent verschwiegen, dass es bereits zwei Rechtsgutachten gibt, die besagen, dass es aus kartellrechtlichen Gründen keine politisch tragbare Alternative gibt. Eines dieser Gutachten ist auf Betreiben eben dieser Fusionsgegner vom Singener Gemeinderat in Auftrag gegeben worden. Die Alternative zum jetzigen Konzept, das über viele Monate erarbeitet worden ist, ist eben keine kreisweite Lösung und das sollte jede/r wissen, der am 22. Juni abstimmt.

Ich frage mich auch immer wieder, weshalb Frau Netzhammer diese rechtlichen Rahmenbedingungen konsequent ignoriert, weshalb Sie diese Fakten ausblendet und was sie sich davon erhofft, wenn die Kreisfusion platzt. Ein besseres Gegenkonzept hat sie nicht und ein „weiter so“ beinhaltet keine Zukunftsperspektive.

Jede Singener Bürgerin, jeder Singener Bürger trägt am 22.07.2012 eine hohe Verantwortung. An Euch liegt es, ob es in der Zukunft im Kreis Konstanz stabile Verhältnisse in der Krankenhauslandschaft gibt. Bitte beteiligt Euch an der Abstimmung, setzt euch mit den Argumenten auseinander. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte stimmt am 22.07.2012 mit „Nein“  und damit für eine kreisweite Klinikfusion. Und ebnet damit auch für die Beschäftigten der Krankenhäuser den Weg für stabile Verhältnisse und akzeptable Arbeitsbedingungen.

Mit kollegialen Grüßen

gez. Margrit Zepf 

Die Fragen der Beschäftigten

Auch im Konstanzer OB-Wahlkampf spielt die Klinikfusion eine wichtige Rolle. Das haben zwar die KandidatInnen bislang nicht so recht begriffen, doch die Gewerkschafter fordern Antworten: Am heutigen Donnerstag stehen die Kandidaten Seeliger, Burchardt und Reiser den Beschäftigten der Konstanzer Stadtbetriebe ab 16.30 Uhr im „Restaurant Zeppelin“ Rede und Antwort. Und die Krankenhaus-Beschäftigten fragen: Wie halten Sie es mit der Klinikfusion? Was denken Sie über Privatisierungen?

Vorab schon hat der Personalrat des Konstanzer Klinikums die Kandidaten befragt. Nur zwei Zitate:

Sabine Seeliger: „Ich würde für die kommunale Trägerschaft kämpfen. Mit Privatisierungen wird Geld aus der gesetzlichen Krankenversicherung in Renditeausschüttung für Kapitalanleger umgeleitet, Arbeitnehmerrechte geschwächt und nicht aus dem Blickwinkel der Bevölkerung über das medizinische Konzept entschieden. Schon während der Diskussionen im Vorfeld des Bürgerentscheides hätte Konstanz ein Signal der Stärke in Richtung Singen senden sollen, indem Sondierungen mit Friedrichshafen und auch mit der Spital Thurgau AG aufgenommen werden. Das Signal, dass man keineswegs abhängig von Singen ist, wie es die Gegner der Kreisholding gerne behaupten, wäre richtig. Sollte der Bürgerentscheid die Kreislösung kippen, wären diese zwei Optionen für Konstanz möglich. Dass grenzüberschreitende Kooperation geht, zeigt das Modellprojekt „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Deutschland /Schweiz im Gesundheitswesen am Beispiel der Grenzregion Basel-Stadt/Basel-Landschaft/Landkreis Lörrach“.

Uli Burchardt: „Ich habe mich bereits öffentlich zu einer Krankenhauszukunft in öffentlicher Trägerschaft bekannt. Selbstverständlich würde ich es sehr begrüßen, wenn es in Singen zu einer Entscheidung pro Kreislösung kommen würde. Gelingt dies nicht, ist das nicht das Ende des Konstanzer Klinikums in öffentlicher Trägerschaft, aber es würde neue Überlegungen erforderlich machen: So gibt es seit Jahren intensive Bemühungen, auch mit anderen Häusern am Bodensee zu kooperieren, um wirtschaftliche Synergien zu schaffen. Das betrifft etwa Friedrichshafen und das schweizerische Münsterlingen.

Zusätzlich dazu müsste aber ein medizinisches Konzept mit deutlichem Schwerpunkt auf überregionaler Attraktivität und hoher Wirtschaftlichkeit erarbeitet und schnell umgesetzt werden. Dabei müssten wir in erster Linie die Spezialisierung auf ganz gezielte Schwerpunkte stark anstreben, um Patienten mit besonders hoch vergüteten Leistungen überregional anzuziehen. So könnten weniger wirtschaftliche Disziplinen querfinanziert werden. Dies würde sicherlich auch dazu führen, dass mehr Schweizer Patienten nach Konstanz kommen als bisher. Denn es bleibt festzuhalten, dass deutsche Patienten zwar nicht ungern in die Schweiz zur Behandlung gehen – bislang aber wenig Schweizer Patienten nach Konstanz kommen. Grund hierfür sind sicherlich auch momentan noch bestehende politische und rechtliche Hürden. Diese müssten verringert werden, um einen Patiententransfer aus der Schweiz leichter zu ermöglichen“.

Autor: hpk

Weitere Links:

Am 22. Juli fällt die Entscheidung

Stadt Singen schlägt Bürgerentscheid vor

Was Sie immer schon über die Klinikfusion wissen wollten…

Der Gemeinderat Singen entscheidet: Ja, aber