Die waidwunde Künstlerseele ächzt in Konstanz und Singen

Teils genialische, teils dämonische, zumeist aber ziemlich überspannte Künstlerfiguren belebten die künstlerische Phantasie vergangener Jahrhunderte, von E.T.A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler bis hin zu Giuseppe Tartini, der einen seiner besten musikalischen Einfälle angeblich dem Teufel selbst verdankte. In diesem Geiste will die Südwestdeutsche Philharmonie bei ihrer Saisoneröffnung in Konstanz und Singen die „Künstlerseele“ mit Werken von Mieczyslaw Weinberg und Hector Berlioz ausloten.

Wenn wir mal von der höchst strittigen Behauptung ausgehen, dass der Mensch und damit auch – als eine der wunderlichsten menschlichsten Erscheinungsformen – der Künstler eine Seele habe, ist wohl Hector Berlioz‘ (1803-1869) „Symphonie fantastique“ op. 14 von 1830 ein unverfälschter Ausdruck derselben. Nicht umsonst trägt das Orchesterstück den knappen Titel „Épisode de la vie d’un artiste, symphonie fantastique en cinq parties (Episode aus dem Leben eines Künstlers, fantastische Sinfonie in fünf Teilen)“.

Ein Hexensabbat

Das Werk ist ein aus der Tradition Beethovens erwachsener zutiefst romantischer Versuch einer authentischen Musik, die an den hergebrachten Formen rüttelt – statt der damals üblichen vier Sätze hat dieses Stück deren fünf, und in ihnen sind die Qualen der Künstlerseele Programm: Ein sensibler Künstler verliebt sich abgöttisch in eine Frau, die ihn aber abweist (ob es diese Frau wirklich gibt, oder ob er sie sich nur herbeiphantasiert, sei dahingestellt). Nachdem der Künstler sich verschmäht sieht, nimmt er eine ordentliche Portion Opium und träumt, er werde als Mörder seiner Geliebten zum Tode verurteilt. Nach seiner Hinrichtung findet er sich auf einem Hexensabbat wieder, auf dem er auch seine Geliebte, eine Hexe, trifft. Das alles endet in einer Mischung aus Hexentanz und lateinischer Messe, denn so ganz nebenbei krochen diese verflixten Romantiker auch noch gern zu Kreuze. Ihr erstes Auge richteten sie auf ihr Inneres, ihr zweites in die Hölle (zumeist in jene der verschmähten Liebe) und ihr drittes starrte gebannt nach Rom.

Mit anderen Worten: Berlioz hat – angeregt natürlich nicht zuletzt durch Goethes Faust – eine dieser haarsträubenden romantischen Schauergeschichte vertont, bei der es „eigentlich“ um all das schöne Opium schade ist. Aber nur „eigentlich“, denn musikalisch war das Werk – wie so vieles von Berlioz! – ein echter Meilenstein auf dem Weg von Beethoven direktemang ins zwanzigste Jahrhundert.

Musik aus einem Jahrhundert der Katastrophen

Bis vor wenigen Jahren war der polnisch-sowjetische Komponist Mieczysław Weinberg (1919-1996) im deutschen Musikleben fast unbekannt. Dabei beeindrucken die Ernsthaftigkeit und tiefe Emotionalität seiner Werke, welche eng mit seiner Biografie verbunden sind: 1939 floh er als Musikstudent aus Warschau in die UdSSR, und blieb so der einzige Überlebende des Holocaust in seiner Familie. Er pflegte bald eine engere Freundschaft mit Schostakowitsch, der ihm einige Türen öffnete und mit dem er sich künstlerisch intensiv austauschte.

„Ich betrachte es als meine moralische Pflicht, über den Krieg und über die schrecklichen Dinge zu schreiben, die den Menschen in unserem Jahrhundert widerfahren sind“, sagte Weinberg einmal. Sein 1948 komponiertes Cellokonzert, das (wem auch sonst?) Mstislaw Rostropowitsch gewidmet ist, ist nach seinem Violinkonzert ein weiterer Schritt der Entdeckung Weinbergs für Konstanz, die ein Herzensanliegen der Intendantin Insa Pijanka ist.

Die Musiker

[the_ad id=“87862″]Maximilian Hornung, 1986 in Augsburg geboren, gewann 2007 als Cellist des Tecchler Trios den Ersten Preis beim ARD-Musikwettbewerb. Seine umfangreiche und vielseitige Diskographie umfasst sowohl Solokonzerte als auch äußerst prominent besetzte kammermusikalische Einspielungen. Im Alter von nur 23 Jahren wurde er Solocellist beim BR-Symphonieorchester und erhielt im Jahr 2017 eine Professur an der Münchner Musikhochschule. 2022 wurde Hornung offiziell als neuer Intendant der Traunsteiner Sommerkonzerte vorgestellt.

Dirigiert wird das Symphoniekonzert von Marcus Bosch, Erster Gastdirigent der Südwestdeutsche Philharmonie und am See wie unter dem Hohentwiel in den letzten Jahren vor allem durch seinen Bruckner-Zyklus hervorgetreten.

Termine und Karten

Konstanz: Freitag, 23. September um 19.30 Uhr und Sonntag, 25. September 2022 um 18 Uhr im Konzil Konstanz. Karten sind beim Stadttheater Konstanz, Telefon 07531 900 2150, bei der Südwestdeutschen Philharmonie (9.00 Uhr bis 12.30 Uhr) und bei der Tourist-Information am Hauptbahnhof sowie in allen Ortsteilverwaltungen erhältlich. Außerdem im Internet unter: www.philharmonie-konstanz.de. Eine Stunde vor Konzertbeginn findet im Studio der Philharmonie eine Konzerteinführung mit Intendantin Insa Pijanka statt.

Singen: Samstag, 24. September um 20 Uhr in der Stadthalle Singen. Vorverkauf: Tourist Information Marktpassage, Telefon 07731 85-262, www.stadthalle-singen.de.

Text: MM/red, Bild: Cellist Maximilian Hornung, fotografiert von Marco Borggreve