Die wechselvolle Geschichte des „Waldheim“
Es hat viele kommen und gehen gesehen und es kann aus seiner bewegten, über 90jährigen Geschichte so manche Story erzählen: Das Konstanzer „Waldheim“ – hinter dem „Tannenhof“ am Rande des Lorettowalds gelegen. Einer, der es noch aus seinen frühesten Kinderjahren kennt, ist der heute 96jährige Wilhelm Heinrich Drefahl, den jeder nur unter dem Namen „Heinz“ kennt und der in Konstanz nach dem Krieg der Fliegerei wieder entscheidend auf die Beine half.
Schon Mitte der 20er Jahre wuselten Heinz und seine Freunde auf dem Gelände des „Waldheim“ herum, das zuvor dicht bewaldet war. „Urbar“ gemacht wurde es dann in den 20er Jahren von der Konstanzer Arbeiterschaft, genauer: dem Turnverein „Bahnfrei“. In mühsamer Fronarbeit wurden die Bäume auf dem Gelände gefällt, auf dem heute die Fußballer zu Hause sind. Anschließend wurde dort dann die heutige Gaststätte errichtet. Es war eine harte Arbeit, die sich die Werktätigen da in ihrer knappen Freizeit aufgehalst hatten: Erst einmal die Bäume fällen, dann mit Keil und Axt die Wurzelstöcke zerkleinern oder, wenn es nicht anders ging, mit kleinen Sprengladungen nachhelfen. Das „Waldheim“ sollte ein Treffpunkt im Grünen für die Familien der Arbeiter werden. Als auf der gerodeten Fläche Mitte der 20er Jahre auch noch das Haus gebaut wurde, war dies sozusagen das i-Tipfelchen auf der Wunschliste.
Hans Großhans war erster Vorsitzender
Vorsitz im „Bahnfrei“ hatte der badische SPD-Landtagsabgeordnete Hans Großhans (1882-1946), der in Konstanz die Zeitung „Volksblatt“ herausgab, die sich als „Tageszeitung für das werktätige Volk“ verstand. Das Blatt bestand schon seit 1920 und musste mit Beginn der NS-Herrschaft 1933 sein Erscheinen einstellen.
Wenig später wurde der SPD-Mann Hans Großhans verhaftet und ins KZ verfrachtet. Die KZ´s Heuberg, Stetten am kalten Markt, Dachau und Mauthausen waren die furchtbaren Stationen im Leben dieses aufrechten Mannes, der noch als 60jähriger Schwerstarbeit im Steinbruch leisten musste. 1946, kurz nach der Befreiung, starb Hans Großhans an den Folgen des Martyriums, dem er in den Konzentrationslagern ausgesetzt war. In der Hussenstraße erinnert heute ein „Stolperstein“ an ihn.
Die Mitglieder des „Bahnfrei“ trugen als Abzeichen drei silbrige Pfeile am Revers. Heinz Drefahl erinnert sich mit Schmunzeln daran, wie sie als kleine Buben – im Auftrag von „Bahnfrei“ natürlich – die Laternenmasten mit Handzetteln beklebten, auf denen unter anderem die Parole stand: „Hitler musst Dich beeilen, vor den eisernen drei Pfeilen“.
Erster Wirt auf dem „Waldheim“ war Herr Rebholz, seines Zeichens Gas-Ableser und nur nebenbei Gastronom. Sein kleiner Sohn wurde übrigens beim Wurstschnappen auf der Marktstätte von einem Auto überfahren, unter das er gekrochen war.
Professioneller Betrieb
Ab Ende der 20iger Jahre wurde das „Waldheim“ professionell betrieben – und zwar von Heinz Drefahls Tante Henriette Müller, die aus der Schweiz kam. Der Vater von „Heinz“ musste bürgen, und so stand der „Übernahme“ nichts mehr im Wege. Friedrich Drefahl und seine Frau Anna halfen tatkräftig mit, und Friedrich tätigte den gesamten Einkauf: Backwaren kamen von den Konstanzer Bäckern Holzwarth und Thoma, Süßwaren von Eugen Nüssle, der im Übrigen auch im Vorstand der Konstanzer Fußballer war, Fleischwaren lieferte das Haus Franz Billers und Bier kam natürlich vom Ruppaner.
Alles lief wunderbar, bis eben die unsägliche Zeit nach 1933 kam. Der „Bahnfrei“ wurde aufgelöst; das Haus zum SA-Versammlungslokal umfunktioniert und nicht mehr bewirtschaftet. Frau Henriette Müller durfte noch zwei Jahre mit ihrer Mutter im Haus wohnen, dann zog sie aus. Unter der Terrasse des heutigen „Waldheim“ hatte die SA übrigens einen Kleinkaliber-Schießstand eingerichtet.
Nach dem Krieg hatte das „Waldheim“ eine recht wechselvolle, mitunter traurige Geschichte. Zuerst in Händen der „Naturfreunde“, war später der VfL bzw. FC Konstanz zuständig. Bewirtschafter gab es in der Folge viele – mit mehr oder weniger Erfolg. Äußerst positiv sind in diesem Zusammenhang Karle Jöhle und seine Frau zu nennen, die bis zu ihrem Ausscheiden hervorragende Wirtsleute waren. Und Karle liebte alle Hunde, denn bei Karle gab es immer etwas zu futtern. In der Folge war das „Waldheim“ wirklich alles andere als erlebenswert, bis die jetzigen türkischen Wirtsleute der guten Gastronomie wieder Leben einhauchten.
Dieter Seewald (Foto: Archiv Daniel Gross)