Die wunderbare Welt des Bauens

seemoz-Fahrrad-BrückeOffensichtlich treibt kaum etwas auf der Welt (abgesehen von der menschlichen Sexualität) derart bizarre Blüten wie das Baurecht. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man in Konstanz ein wenig spazieren radelt. Da gibt es beispielsweise zwischen Arbeitsamt und Neuwerk eine eher unscheinbare Fahrrad- und Fußgängerbrücke über die Reichenaustraße, deren Belag ziemlich bröckelt … und so ganz langsam ein ungeahntes Geheimnis preisgibt …

Die Fußgänger- und Fahrradbrücke über die Reichenaustraße, die sinnigerweise Arbeitsamt, Aldi und Neuwerk miteinander verbindet, wurde vor knapp 10 Jahren fertig gestellt und ist damit ein Frischling unter den Konstanzer Brückenbauwerken. Obwohl diese Brücke im Vergleich zu anderen Brücken im Stadtgebiet wenig frequentiert wird, ist der vor einigen Jahren schon einmal renovierte Belag bereits jetzt wieder an ca. 10 Stellen aufgeplatzt (s. Foto), in den Löchern sammelt sich das Regenwasser, und radelnde wie per pedes lustwandelnde ZeitgenossInnen gewinnen so langsam den Eindruck, dass die Stadtverwaltung dieses Problem einfach aussitzen will – oder schlichtweg verpennt hat.

Mensch, trauʼ Deinen Augen nicht

Doch weit gefehlt, Zeitgenosse, schiebst Du die Schuld auf die Stadt. In der Welt des öffentlichen Bauens ist nichts wie es scheint, denn dem Laien verborgene Mächte üben die Herrschaft über die Bauwerke aus, ihr Zauberstab sind Gesetze wie das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und ihre Bannflüche sind Normen, Erlasse und Verordnungen, deren Namen man in Gegenwart von Jugendlichen und Heranwachsenden gar nicht aussprechen darf, ohne denen die Ohren gründlich zuzuhalten. Alle unter 18 also ab hier bitte weggelesen.

Was also heißt das in Bezug auf diese Brücke und ihren maroden Belag? Es heißt: Diese Brücke gehört gar nicht der Stadt Konstanz, sondern führt über eine Bundesstraße, die Reichenaustraße nämlich, und ist Eigentum des Bundes. Und da greifen ganz andere Regeln, wenn es um die Renovierung geht.

Danach sieht die Sache so aus: Städte mit mehr als 80 000 EinwohnerInnen müssen für Bundesstraßen und zugehörige Bauwerke auf ihrem Gebiet selbst aufkommen. Der Bund errichtet die Bauwerke zwar und bezahlt den Bau, aber die Pflege müssen dann die Städte übernehmen und selbst bezahlen. Also wäre die Stadt Konstanz, was diese Brücke anbelangt, ein Straßenbaulastträger (das ist ein Hagelfluch der schwarzen Bau-Magie), denn, so weiß es Wikipedia, „die Straßenbaulast bezieht sich nicht nur auf die Straße bzw. den Weg als solches, sondern erstreckt sich auch auf die zugehörige Straßenausstattung, Bauwerke (wie etwa Brücken, Tunnel, Lärmschutzwände) sowie straßenbegleitende Grün- und Gehölzflächen.“ Die Stadt Konstanz hätte sich also um den Belag und die sonstige Renovierung dieser Brücke zu kümmern und die Renovierungsarbeiten auch zu bezahlen. Löcher im Belag heißen also: Pfui, Stadtverwaltung Konstanz?

Nummer 80 000 stirbt! Sofort!

Nein, denn dieser Zauberspruch gilt für Konstanz nicht. Die Stadt Konstanz hatte nämlich nach der letzten offiziellen Zählung weniger als 80 000 Einwohner, und man spürt, wie die Bauverwaltung allenthalben aufatmet. Mit mehr als 80 000 Einwohnern hätte Konstanz nicht nur besagte Brücke am Arbeitsamt, sondern auch die riesige neue Rheinbrücke zu unterhalten, für die jetzt deren Eigentümer, der Bund, oft mehr schlecht als recht aufkommt.

[Man malt sich lieber nicht aus, was passiert, wenn ein Mensch kommt, sich beim Einwohnermeldeamt in Konstanz anmelden will und auf dem Bildschirm der Sachbearbeiterin vor dem tiefscharzen Desktopbild der neuen Rheinbrücke die Warnung „Achtung, 80 000!“ aufflackert … die Hand der Sachbearbeiterin fährt in die Schublade, ein Schrei, Blut spritzt im Rhythmus des ersterbenden Herzschlags über ein Stück Kuchen, ein Handy und ein Hochzeitsfoto, fürs Bürgerbüro wird die automatische Durchsage aktiviert „Vorsicht Kassenpatient, auf keinen Fall wiederbeleben! … Vorsicht Kassenpatient, auf …“]

Also: Konstanz hat weniger als 80 000 Einwohner und ist daher für dieses Brückle über eine Bundesstraße nicht verantwortlich. Sagt das FStrG. Belag kaputt? Der Bund muss ran.

Auf dem Bazar der öffentlichen Gelder

Ganz Gallien ist besetzt – wirklich ganz Gallien? Die ganze Brücke ist Sache des Bundes – wirklich die ganze Brücke? Auf dem Papier ja, aber vergessen wir nicht: In Sachen Bauen herrscht schwarze Magie … Lewandowski zaubert fünf Tore in neun Minuten?!? Stümper! Hätte er in neun Wochen den Belag der Brücke vom ersten Aufplatzen des Belags über die Planung bis zur Ausführung renoviert, dann erst wäre er mein Held.

Man stelle sich Bund und Stadt mal als zwei Feilschende auf einem Markte vor, auch wenn das rein fiktiv ist, oder zumindest ziemlich, denn es lebt niemand, der den folgenden Dialog bezeugen könnte. Die Stadt: „Bund, Du baust die Reichenaustraße ab der neuen Rheinbrücke aus, jetzt bezahl‘ gefälligst auch eine Brücke, damit meine Bürger da heile rüberkommen und nicht wie die Hasen hakenschlagend um ihr billiges Leben hoppeln müssen.“ Der Bund schreit zurück: „Beim Barte der Kanzlerin, ich gab schon mein letztes Hemd für die Errichtung dieses vorzüglichen Stücks Boulevard, von dessen Lob alle Welt widerhallt, und von der Du, Stadt, vor allen anderen profitierst, weil Deine Leute nun viel schneller aus der Innenstadt ins Industriegebiet und – wenn sie das überhaupt wollen – sogar wieder zurückkommen.“ Also geschieht, was in solchen Fällen zu geschehen pflegt: Man fängt an zu verhandeln.

Dies ist Mein und das ist Dein

Im Falle dieser Brücke am Arbeitsamt ist man damals denn auch zu einem kreativen Ergebnis gekommen: Man hat sich darauf geeinigt, dass die Brücke dem Bund gehört und der Belag der Stadt. Wie bitte?

Das ist kein Witz. Das ist reinste Baumagie. Schwarze Magie? Weiße Magie? Egal! Gott, der Herr, gibt denen, denen er die Macht verleiht, Brücken zu bauen, auch die Weisheit, diese Macht richtig anzuwenden. Überall entstehen dank dieser Magie überaus nützliche Brücken, und bei dieser einen gehört der Belag eben der Stadt und die Brücke selbst dem Bund.

Natürlich ist der Stadtverwaltung nicht entgangen, dass da seit einiger Zeit große Placken aus dem Belag herausbröckeln und Regenwasser in das Bauwerk eindringt, was zu weiteren Schwierigkeiten führen wird. Selbstverständlich hat sie reagiert. Aber auch in diesem Amt sind wenige Menschen für viele Bau- und Erhaltungsprojekte zuständig, daher dauert das alles ein wenig länger, als das der radelnde oder laufende Laie gern hätte. Man ist jedenfalls seit geraumer Zeit dabei, mit dem Regierungspräsidium über den Belag und andere Renovierungsarbeiten zu sprechen, damit man vielleicht zwischen Stadt und Bund kostengünstig zusammenarbeiten kann.

Aber es gilt auch noch die Z-Brücke am Petershauser Bahnhof zu stemmen, man vergesse nicht, was in den letzten Jahren etwa mit dem Radweg entlang der Bahn an Gutem geleistet wurde und wie viel Arbeit darin steckt bis hin zur Absicherung der Radler gegen zerreißende Oberleitungen oder den Schutz von Brückenbaustellen gegen entgleisende Züge. Die Stadt beschäftigt zu wenig Personal, die zu beachtenden Vorschriften hingegen sind zahlreich, die Baumagie ist komplex. Vielleicht ist ja gar noch ein langjähriger Mitarbeiter, der den ganzen Sachverhalt von der Pieke auf kannte, inzwischen in Rente gegangen, so dass sich jemand komplett neu einarbeiten muss – wer außer den Harry Potters in unserer Verwaltung weiß das schon?

Die Magie wirkt: Letzte Nacht habe ich unversehens von Venedig geträumt. Sonst träume ich eigentlich immer von Penélope Cruz, nie von Städten. Jetzt plötzlich von Venedig, Sie verstehen schon – Seufzerbrücke und so. Aber das gehört nun wahrlich nicht hierher.

O. Pugliese