Drohende Abschiebung vor Schuljahrende: Innenministerium ignoriert Bitte um Aufschub
Die Kinder der Familien Kazimov und Selimi dürfen ihr Schuljahr nicht in Konstanz beenden. Mit der behördlich verfügten Ausweisung hatten sich die Eltern, Flüchtlinge aus Mazedonien und Serbien, zwar nicht abgefunden, aber schließlich resigniert akzeptieren müssen, dass der deutsche Staat nicht gewillt ist, ihnen Schutz vor der in ihren Herkunftsländern erfahrenen systematischen Diskriminierung zu gewähren. Zuletzt baten sie lediglich noch um einen Aufschub bis Ende Juli, damit die sechs betroffenen Kinder wenigstens das Schuljahr in Konstanz zu Ende bringen können.
Vergeblich, wie Rudy Haenel, der Rechtsanwalt, der die betroffenen Familien vertritt, nun zur Kenntnis nehmen muss. Zwei Briefe an das Innenministerium, in denen er – auch im Namen vieler Unterstützer_innen der Geflüchteten aus der Bevölkerung – an die Verantwortlichen appellierte, diesen Aufschub zu gewähren und die Rückkehrsituation der mit Abschiebung Bedrohten zu prüfen, blieben bis heute unbeantwortet (mehr zum Fall der Familien Kazimov und Selimi hier). Auch alle Appelle von Flüchtlingsinitiativen wie beispielsweise dem „Runden Tisch für die Begleitung von Flüchtlingen“ und Politiker_innen, darunter die Linken-Bundesabgeordnete Annette Groth und der Konstanzer Landtagsabgeordnete Siegfried Lehmann (Grüne), verhallten ungehört.
Jetzt hat der Anwalt in einem weiteren Schreiben an den baden-württembergischen SPD-Innenminister Reinhold Gall (s. Bild) das Verhalten der Behörden scharf kritisiert. Er sei „sehr enttäuscht und erschüttert“ darüber, dass „Sie meine Schreiben vom 12.05. und 05.05.2015 nicht beantwortet haben“, schreibt Haenel. Es bleibe ihm nun nichts anderes übrig, als den Familien die Ausreise zum „nächstmöglichen Zeitpunkt“ zu empfehlen. Allerdings „kann ich diese Ausreise nicht mehr ‘freiwillig’ nennen, weil sie jetzt überhastet, ohne Klärung der Rückkehrsituation, und unter dem massiven Druck einer zwangsweisen Abschiebung ab 30.05.2015, erfolgen wird.“
Der Vorgang entlarvt die vollmundigen Behauptungen der grün-roten Kretschmannkoalition, man werde alle Einzelfälle prüfen und keine Abschiebungen in die Mittel- und Obdachlosigkeit zulassen, einmal mehr als Lügen, die lediglich dazu dienen sollen, die eigene Klientel bei der Stange zu halten. Entsprechend bitter fällt das Fazit des Konstanzer Juristen in seinem Brief an Gall aus: „Für mich bedeutet dies, dass Ihre ‘Leitlinien’ das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben wurden und lediglich als politisches Feigenblatt dienen.“
jüg
Der Verein „Balu und Du“ hat inzwischen eine Petition „Keine Abschiebung für Familie S. bis Ende des laufenden Schuljahres“ gestartet, die hier Online unterschrieben werden kann.
Marvin Heider, damit stehen Sie aber nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Natürlich müsste es auch bei so genannten „sicheren Herkunftsländern“ eine Einzelfallprüfung geben.
Armut ist hier auch nicht Fluchtgrund, sondern Ausdruck von vielfachen Diskriminierungen von Roma in den Herkunftsländern. Wer keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildung sowie zu Sozial- und Gesundheitsversorgung hat, ist eben auch bitterarm. Grund dafür ist aber die systematische Diskriminierung, die hier im Asylverfahren ignoriert wird.
Was regen sich doch manche Menschen über vermutete „Wirtschaftsflüchtlinge“ auf und akzeptieren Waffenlieferungen und Kriege, die Deutschland um wirtschaftliche Interessen führt. Waffen, Krisen und Kriege sind aber die Hauptursachen für Flucht. Niemand flieht gerne oder weil es hier „komfortabler“ ist.
Eine Einzelfallprüfung von Wirtschaftsflüchtlingen aus sicheren Herkunftsländern ist nicht angezeigt. Wenn Kretschmann dies verspricht, sollte man eher das sinnlose Versprechen kritisieren, statt dessen Nichtanwendung. Sicherlich ists hier komfortabler, als in den Balkanstaaten, aber wer meint, man löse die Probleme dieser Region in BaWü, hat wohl das Auge fürs Machbare verloren.
Mit genau solchen hahnebüchenen Entscheidungen wird erreicht, dass immer mehr Menschen nicht mehr wählen gehen und politikerverdrossen bleiben oder werden.
Das reiche Bawü hätte locker die Möglichkeit, viel mehr Asylsuchende aufzunehmen, gut unterzubringen und zu betreuen, damit Sprache und Kultur gelernt werden können, schlimmste Erlebnisse mehr und mehr in den Hintergrund geraten.
Die Grünen und die SPD machen immer mehr Klientel-Politik für eine noch satte immer kleiner werdende Mitte.
Nur, wenn sich der Neoliberalismus und entgrenzte Kapitalismus so weiterentwickeln, gibt es auch diese Mitte nicht mehr. Dann haben wir südeuropäische Verhältnisse, nur daß es bei uns noch öfter regnet und auch kälter ist. Aber im Zeichen des Klimawandels haben wir auch das bald hinter uns und werden „das Land, wo die Zitronen blühn“.
Deutsche brauchen in Sachen Protest immer länger, mit mehr Vitamin C finden wir vielleicht Anschluß an Podemos, Syriza …!
Die Ausreise der Familien Kazimov und Selimi ist nicht freiwillig. Die drohende Zwangsabschiebung ab dem 30. Mai zeigt erneut, dass Ankündigungen und Leitlinien der grün-roten Landesregierung nichts wert sind. Eine Einzelfall-Prüfung hat nicht stattgefunden! Alle Kinder müssen hier bleiben – mindestens bis zum Ende des Schuljahres! Zugesagt hat die Landesregierung: Bleiberecht bis zum Schulabschluss oder Ausbildungs-Abschluss. Und: keine Abschiebung in die Mittel- und Obdachlosigkeit. Die Landesregierung ist aber in einem weiteren Punkt absolut unglaubwürdig – bei Bedarf auf dem Arbeitsmarkt, Mangel an Fachkräften. Die Familien haben sich integriert! Die Familienväter werden gebraucht! In der EU gilt die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Das wurde im vorliegenden Fall nicht geprüft und wird auch in weiteren Fällen unberücksichtigt bleiben? Ich erwarte von meiner Partei, der SPD dass sie sich annähernd um „Glaub-würdigkeit“ bemüht und ihren Worten Taten folgen lässt.