EADS macht sich an Konstanzer Bildungsstätten breit
Erst die Fachhochschule (HTWG), dann das Ellenrieder-Gymnasium, jetzt die Universität: Der Bodensee-Rüstungskonzern EADS kauft sich in die Konstanzer Bildungslandschaft ein. Vor wenigen Tagen erst unterzeichnete Uni-Rektor Rüdiger in Friedrichshafen eine Rahmenvereinbarung mit Top-Managern der EADS-Tochterfirmen Astrium und Cassidian. Doch die Universität hält sich mit Informationen seltsam zurück – der Rektor habe den Vertrag in „Eigenverantwortung unterschrieben“. Eine Parallele zu den Vorgängen um das Ellenrieder-Gymnasium?
So gibt es keine Pressemitteilung oder andere offizielle Meldung der Universität zu der EADS-Vereinbarung. „Das haben wir EADS überlassen“, war aus der Pressestelle zu erfahren. „Wir hätten auch nichts anderes wie EADS schreiben können“. Sodass die Informationen zu diesem Artikel weitgehend auf Industrie-Angaben beruhen.
Die beiden EADS-Unternehmen Astrium und Cassidian wollen ihre schon länger bestehende Kooperation mit der Universität Konstanz ausbauen. Eine entsprechende Rahmenvereinbarung zur „Intensivierung und Koordinierung der Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung“ wurde jetzt von Hochschule, Astrium und Cassidian unterzeichnet, wie die EADS-Firmen mitteilen. Die Vereinbarung verfolge eine stärkere Kooperation von Cassidian und Astrium mit den Fachbereichen Mathematik, Physik, Biologie, Informatik und Sportwissenschaften (?) der Universität Konstanz. Dabei sei vor allem die Schaffung von Doktoranden- und Postdoktorandenstellen vorgesehen, so die Mitteilung aus Friedrichshafen. Die Rahmenvereinbarung wird zunächst bis Ende 2015 geschlossen. Sie verlängert sich automatisch um zwei Jahre, „wenn beide Partner weiterhin darin eine zukunftsweisende Chance sehen“.
Die Kooperation dauert schon 20 Jahre
Bereits die Fachhochschule Konstanz (HTWG) wie auch das Konstanzer Ellenrieder-Gymnasium pflegen rege Kontakte zur Rüstungsschmiede EADS. Die Fachhochschule betreibt ein Praktikanten-Programm mit dem Waffenbauer aus Friedrichshafen, erst vor wenigen Tagen referierte ein EADS-Manager vor HTWG-Studenten, ein anderer Manager sitzt sogar im Hochschulrat. Und vor wenigen Monaten geriet das Ellenrieder-Gymnasium in die Schlagzeilen, als deren Rektor Beckmann selbstherrlich eine Kooperation mit EADS vereinbarte – aus dem Kollegium, aber auch aus Eltern- und Schülerschaft, jeweils nicht rechtzeitig informiert, sowie aus der Öffentlichkeit hagelte es seitdem Proteste (seemoz berichtete mehrmals, s. linkliste).
Cassidian und Astrium verleihen seit mehr als 20 Jahren zwei Nachwuchswissenschaftlern der Universität Konstanz den ‘EADS-Forschungspreis Claude Dornier’. Der Forschungspreis, der mit insgesamt 6.000 Euro dotiert ist, wird alljährlich für herausragende akademische Leistungen in den Fachbereichen Mathematik, Physik sowie Statistik und Wirtschaftswissenschaften vergeben. Auch die Fortführung der Auszeichnung ist Teil der Vereinbarung, so EADS.
Über Astrium (www.astrium.eads.net)
Astrium ist das führende europäische Unternehmen bei Weltraumtechnologien. Als eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der EADS ist das Unternehmen auf zivile und militärische Raumfahrtsysteme und Dienstleistungen spezialisiert. Im Jahr 2010 erreichte Astrium einen Umsatz von 5 Milliarden € und beschäftigte mehr als 15.000 Mitarbeiter. Das Kerngeschäft gliedert sich in drei Bereiche: Astrium Space Transportation für Trägerraketen und Weltraum-Infrastrukturen, Astrium Satellites für Satelliten und Bodensegmente sowie Astrium Services.
Über CASSIDIAN (www.cassidian.com)
Cassidian, eine Division des EADS-Konzerns, ist einer der weltweit größten Anbieter globaler Sicherheitslösungen und -systeme. Dazu gehören Flugzeuge und unbemannte Plattformen, boden- und schiffsgestützte sowie teilstreitkräfteübergreifende Systeme, Aufklärung und Überwachung, Cybersecurity, sichere Kommunikation, Testsysteme, Flugkörper, Dienstleistungen und Supportlösungen. Im Jahr 2009 erwirtschaftete Cassidian mit rund 28.000 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von € 5,4 Milliarden.
„Rüstungsforschung hat an der Uni Konstanz keinen Platz“
Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Rektor der Universität Konstanz, sieht in der Kooperation eine Chance für die Wissenschaft: “Die Vereinbarung trifft eine der zentralen Säulen des im Rahmen der Exzellenzinitiative erfolgreichen Zukunftskonzepts der Universität: alles zu tun, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs die bestmögliche Forschungsumgebung zu bieten.” Allerdings lässt der Rektor gegenüber seemoz mitteilen, dass „Rüstungsprojekte und geheime Forschungen“ ausdrücklich von der Vereinbarung ausgenommen seien.
Solche Erklärung ist auch dringend nötig. Denn immerhin hatte der Große Senat der Universität Konstanz schon 1991 eine Zivilklausel verabschiedet, die bis heute gilt: „Der Große Senat…erklärt…, dass Forschung für Rüstungszwecke, insbesondere zur Erzeugung von Massenvernichtungswaffen, an der Universität Konstanz keinen Platz hat und auch in Zukunft keinen Platz haben wird“.
„Strategische Bedeutung für die Wirtschaft“
Cassidian-Standortleiter Dr. Gerhard Wischmann verwies bei der Unterzeichnung auf die langjährige enge Verbindung zur Hochschule. Er unterstrich, dass von den herausragenden Leistungen der Konstanzer Wissenschaftler die Industrie und Wirtschaft der Region in besonderem Maße profitieren. “Die enge Zusammenarbeit mit der Universität ist von langfristig strategischer Bedeutung für den Erhalt der wirtschaftlichen Leistungskraft der Region. Nach dem Erfolg der Universität in der Exzellenzinitiative wollen wir dies auch schriftlich und verbindlich manifestieren.”
Astrium-Standortleiter Eckard Settelmeyer unterstrich: “Eine solche Partnerschaft ermöglicht den Studenten eine praxisnahe Ausbildung. Den Unternehmen ermöglicht es, dass neueste Erkenntnisse aus der Forschung in die Anwendung fließen können.” Beide EADS-Manager waren übrigens für weitergehende Stellungnahmen nicht zu erreichen.
Autor: PM/hpk
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