ECE: „Größte Milchmädchenrechnung aller Zeiten“
Gut 100 Singener BürgerInnen haben sich gestern Abend zur vierten Donnerstagsdemonstration vor dem Café Hanser eingefunden. In den zahlreichen Gesprächen vor Beginn der Kundgebung wurde die Enttäuschung darüber ausgedrückt, dass sich nur drei Gemeinderäte gegen das Einkaufscenter ausgesprochen haben. Bleibt nun der Bürgerentscheid am 17. Juli, um den Center-Koloss doch noch zu verhindern.
Dass es hier um eine grundsätzliche Entscheidung geht, machte Regina Henke, Sprecherin der Bürgerinitiative „Für Singen“ deutlich: Innerstädtischer Wohnraum, Kultur, Grünflächen, Begegnungsstätten, eine authentische Gastronomie und eine saubere Umwelt seien die Zutaten, die urbanes Leben ausmachen – auf Shoppen und Konsumieren allein lasse sich die Weiterentwicklung der Stadt nicht reduzieren. Das Modewort des von den Befürwortern vielgepriesenen „Foodcourt“ übersetzte sie auf Deutsch mit „Schnellrestaurants“, die die hiesige Gastronomie kaum bereichern dürften.
Manuel Waizenegger, Geschäftsführer des Modehauses Zinser, stellte anschließend nochmals klar, dass das Ja des Regierungspräsidiums zum ECE (das amtlich korrekt Einkaufs- und Dienstleistungszentrum [EDZ] heißt – Anm. d. Verf.) nur bedeute, dass das Regierungspräsidium die Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Gemeinden im Umkreis geprüft habe, ausdrücklich aber nicht die Auswirkungen innerhalb Singens. Dies abzuwägen sei ausschließlich Sache der Stadt Singen. Das Ja des Regierungspräsidiums zum ECE sage also nichts über die Folgen des riesigen Konsumtempels innerhalb Singens aus.
Die Gutachter der Handelsberatungsagenturen „BBE“ sowie „Stadt und Handel“ malen bei Ablehnung des ECE ein „Null-Szenario“ an die Wand, dem sich auch die Stadtplaner in der Gemeinderatssitzung angeschlossen haben. Soll heißen: Wenn das ECE nicht als „barmherziger Retter der Stadt“ mit seinen 80 Geschäften auf 16 000 Quadratmeter zusätzlicher Verkaufsfläche auftreten dürfe, würden u. a. Scheffelstraße/Ekkehardstraße und auch obere August-Ruf-Straße noch schneller absterben, als sie es angeblich eh schon tun, da der hiesige Einzelhandel weder (finanziell) fähig, noch beweglich und kreativ genug sei, auf die stetig wachsende Konkurrenz des Online-Handels zu reagieren. Auf diese Entwicklung aber mit noch mehr Verkaufsfläche zu reagieren, sei – so Manuel Waizenegger – nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern sogar die „größte Milchmädchenrechnung aller Zeiten“.
Seine Befürchtung, wie die Innenstadt sich mit dem Center verändere, malte er düster aus: das Gros der über die City verteilten Filialketten (von H&M über Depot, Tchibo bis NewYorker) könnte in das Center umziehen, statt ihrer bezögen dann allseits berüchtigte Discounter die leerstehenden Flächen. Eine Entwicklung, die sich bereits in etlichen Kleinstädten vollzogen hat. In Singen werde mit dem ECE, so Waizenegger weiter, „ ein Pferd gesattelt, welches in anderen Städten bereits auf dem Weg zum Abdecker ist“.
Spricht man mit Singener BürgerInnen, erkennt man, dass immer noch vielen die Dimensionen des riesigen Bauwerkes nicht deutlich geworden sind. Veranschaulicht man ihnen diese vor Ort – dazu sind die „Begehungen“ an den Donnerstagen gedacht – und bittet sie danach um ihre Meinung dazu, reichen die Bewertungen von ungläubigem Staunen – „Das kann doch nicht wahr sein“ – bis zu klarer Ablehnung „Viel zu groß für Singen“.
Vielleicht sollte man – nach Schweizer Vorbild – alle Stimmbürger einmal um das geplante Areal gehen lassen, um die Dimensionen begreifbar zu machen. So könnte dann jeder für sich entscheiden, ob er diese Ausmaße eines geschlossenen Baukörpers an dieser zentralen Stelle der Stadt für verträglich hält.
Bleibt noch der Bürgerentscheid am 17. Juli. Bis dahin will die Bürgerinitiative mit Infoständen, Veranstaltungen und einer Plakataktion weiter aufklären.
Dieter Heise