Egg will endlich raus aus dem toten Winkel
Die Egger Bürgergemeinschaft fordert eine schnelle Verbesserung des Busverkehrs. Sie regt nicht nur dichtere Takte an, sondern setzt sich auch für ein selbst für alte Menschen praktikables Kurzstreckenticket ein. Die Egger beklagen zudem die ständigen Fahrpreiserhöhungen. Die Stadtwerke wiederum beteuern, ihre Leistungen seien über-, ihre Erträge aber unterdurchschnittlich, und an der Busdichte arbeiteten sie. Wir dokumentieren den Mailaustausch zwischen den Eggern und den Stadtwerken.
Der folgende Schriftwechsel musste aufgrund seines Umfangs erheblich – um nahezu 50% – gekürzt werden. Dabei wurde versucht, die wichtigsten Argumente beider Seiten zu präsentieren und keine Seite zu bevorzugen oder in ein schlechtes Licht zu rücken. Größere Auslassungen werden durch eckige Klammern […] gekennzeichnet.
I. 15. Februar 2019, Egger Bürgergemeinschaft an Stadtwerke
Sehr geehrte Damen und Herren,
eines der zentralen Themen bei der Bürgerwerkstatt „Egg 2030“ im Sommer 2017 betraf die Verkehrsanbindung von Egg.
Dabei wurde von vielen Einwohnern unseres Stadtteils die Buslinie 4/13 als unzureichend angesehen und gefordert, tagsüber einen viertelstündlichen und abends einen halbstündigen Takt einzurichten. Insbesondere in den Stoßzeiten am Morgen und am späteren Nachmittag sind die Busse teilweise extrem überfüllt, recht häufig am Wochenende auch die Verbindung ab Bahnhof um Mitternacht.
Darüber hinaus wird nach wie vor das Fehlen eines Kurzstreckentarifs beanstandet. Die Einwohner von Egg sind aufgrund des Fehlens jeglicher Infrastruktur im Stadtteil auf regelmäßige Fahrten zumindest nach Allmannsdorf angewiesen. […] Dann müssen sie für diese kurze Busfahrt zur übernächsten Haltestelle in Allmannsdorf den vollen Fahrpreis von neuerdings 2,50 € entrichten.
Dagegen gibt es in zahlreichen anderen und teilweise deutlich größeren Städten wie München, Stuttgart, Leipzig und Kiel Kurzstreckentarife zwischen € 1,40 und € 1,90 für eine Strecke von in der Regel 4 Haltestellen!
Fazit: Die Einführung eines Kurzstreckentarifs in Konstanz ist mehr als überfällig!
Wie zu vernehmen war, ist ein Probebetrieb für Kurzstrecken geplant. Die genannte Strecke zwischen Egg und Allmannsdorf bietet sich aus unserer Sicht hierfür an. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass ein ausschließlich handygestütztes System für viele unserer älteren Mitbewohner ungeeignet wäre.
Wir bedauern es feststellen zu müssen, dass die Stadtwerke weiterhin eine Politik regelmäßig jährlicher Preiserhöhungen verfolgen, zuletzt zum 1. Januar diesen Jahres verschämt als „Tarifanpassung“ angekündigt. Und dieses Mal wurde dabei richtig zugelangt: Die Umweltmonatskarte verteuerte sich im Unterschied zu den Vorjahren um 1,50 € statt 1 €, der Einzelfahrschein des Mehrfahrtenblocks um 10 statt 5 Ct auf nunmehr 2,15 €, Preiserhöhungen in der Spitze von fast 5 Prozent! […]
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Marx & Johannes Schacht
Egger Bürgergemeinschaft e.V.
II. 28. Februar 2019: Stadtwerke an Egger Bürgergemeinschaft
Sehr geehrter Herr Marx, sehr geehrter Herr Schacht,
das Fahrplangebot der Stadtwerke Konstanz GmbH orientiert sich an den im Nahverkehrsplan 2015 definierten Qualitäten und Quantitäten. […] Dementsprechend wurde der Nahverkehrsplan im TUA (Technischer und Umweltausschuss), sowie in den einzelnen Ortschaftsräten der Stadt Konstanz vorberaten und sodann vom Gemeinderat beschlossen. Der Nahverkehrsplan definiert das öffentliche Verkehrsinteresse hinsichtlich einer ausreichenden Verkehrsbedienung und der wirtschaftlichen Verkehrsgestaltung, sowie die integrierte Nahverkehrsbedienung und die im Verkehrsverbund abgestimmten Tarife und Fahrpläne. Das Verkehrsangebot der Stadtwerke Konstanz GmbH liegt insbesondere in den Bereichen „Haltestellenabfahrten je Einwohner“, „Platzkilometer je Einwohner“ und „Fahrplanstunden je Einwohner“ deutlich über dem Durchschnitt vergleichbarer Städte. Dieses überdurchschnittliche Angebot wird auch überdurchschnittlich in Anspruch genommen, wodurch sich eine hohe Marktausschöpfung ergibt. Gleichzeitig liegt die Ertragskraft im Stadtbusverkehr Konstanz deutlich unter dem Durchschnitt, was unter anderem auf die vergleichsweise günstigen Tarife, vor allem im Zeitkartenbereich und auch bei der bundesweit einzigartigen 2. Rabattstufe im Bereich der Mehrfahrtenkarten, zurückzuführen ist. […]
Um der von Ihnen angesprochenen Auslastung der Ringlinien am Morgen und Nachmittag Rechnung zu tragen, wird bereits heute in der Hauptverkehrszeit ein 15-Minuten-Takt angeboten. Im Jahr 2018 wurde eine Quell-/Zielerhebung in vier über das Jahr verteilten Zählperioden durchgeführt, welche auch Erkenntnisse zur tagesdurchgängigen Auslastung der Ringlinien bringen wird. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir dieses Ergebnis abwarten […] wollen.
Grundsätzlich sehen die „Empfehlungen zur Tarifbildung“ des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmer (VDV) den Kurzstreckentarif als Tarifprodukt für großflächige Tarifzonen in Großstädten vor. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die VHB-City-Zone Konstanz diese Definition nicht vollumfänglich erfüllt, sowie im Hinblick auf den Umstand, dass der überwiegende Teil des Beförderungsentgeltes als Grundpreis dafür entrichtet wird, dass das Fahrplanangebot zur Verfügung steht, kann beim Kurzstreckentarif aus unserer Sicht nicht von einem überfälligen Angebot gesprochen werden. […]
Im Hinblick auf die speziell bei diesem Thema immer wieder geforderte Tarifgerechtigkeit, stellte sich eine auf der zurückgelegten Entfernung basierende Variante als die Sinnvollste heraus. Diese ist jedoch aus technischen Gründen ausschließlich auf Basis einer App umsetzbar. Eine solche App- Lösung wurde im Vorfeld der Veranstaltung auch durch Herrn Biehler vom Stadtseniorenrat ins Gespräch gebracht.
Auf Basis der Erkenntnisse aus der Informationsveranstaltung, sowie unter Berücksichtigung der Äußerungen aus den Reihen des Stadtseniorenrates, sind die Stadtwerke Konstanz zu dem Ergebnis gekommen, dass eine schnelle Umsetzung des Kurzstreckentarifes derzeit ausschließlich mit einer luftlinienbasierten App-Lösung realisiert werden kann. Anfang März 2019 wird bei den Stadtwerken ein Gespräch mit dem Stadtseniorenrat zu diesem Thema stattfinden. Wir wollen an dieser Stelle jedoch nicht unerwähnt lassen, dass mit unserer Jahreskarte ein für den Kunden in der Handhabung äußerst komfortables Tarifprodukt besteht, welches bereits ab 19 Busfahrten pro Monat die günstigste Möglichkeit zur unbegrenzten Busnutzung darstellt. […]
Die zum 01.01.2019 umgesetzte Erhöhung der Beförderungstarife um durchschnittlich 3,06 % versetzt uns in die Lage, die durch die bekanntermaßen hohen Tarifabschlüsse deutlich gestiegenen Personalkosten zu kompensieren und einen Anstieg des jährlichen Defizites von derzeit rund 4,5 Millionen EUR zu vermeiden. […]
Mit freundlichen Grüßen i. A. Otto Wolf
III. 10. April 2019, Egger Bürgergemeinschaft an Stadtwerke
Sehr geehrter Herr Wolf,
aufgrund fehlender Sachkunde zu den Feinheiten von Nahverkehrsplänen können wir natürlich gegenwärtig nicht selbst überprüfen, ob Ihre Aussage zutrifft, bei den Stadtwerken Konstanz stünde im Vergleich zu anderen Städten einerseits einem überdurchschnittlichen Angebot andererseits nur unterdurchschnittliche Einnahmen gegenüber. Der erste Anschein belegt dies indessen nicht, wenn man beispielweise die Fahrpläne und Tarife der vergleichbaren Städte Tübingen und Ulm betrachtet. Dass geringere Einnahmen in Konstanz auf „vergleichsweise günstige Tarife“ zurückzuführen sind, können wir ebenfalls so nicht nachvollziehen. In Tübingen kostet der Einzelfahrschein € 2,40, in Ulm € 2,30 sowie € 2,10 als Handyticket, schließlich € 2,30 in Freiburg und damit überall weniger als in Konstanz.
Wir begrüßen es sehr, dass Sie eine weitere Verdichtung des Ringverkehrs der Linien 4 und 13 nach Auswertung der Erhebungen in Erwägung ziehen. Die von uns geschilderte Überfüllung zahlreicher Busse wird durch die Erhebung belegt werden können.
Die Notwendigkeit eines Kurzstreckentarifs ist auch deshalb wichtig, weil in Konstanz Kurzstreckenfahrten über z.B. nur zwei Haltestellen sehr häufig vorkommen. So fahren viele Egger Einwohner nach Allmannsdorf zum Einkaufen, zu Apotheke oder Bank und viele Mitglieder der Universität an diese von Sonnenbühl und Königsbau. Dass für diese Kurzfahrten gleichwohl der volle Preis von € 2,50 bezahlt werden muss, ist nicht einzusehen. […]
Ihre Aussage, dass der von den Stadtwerken gegenwärtig erwogene neue Entfernungsrabatt „aus technischen Gründen ausschließlich auf Basis einer App umsetzbar“ sei, wird nicht begründet und ist für uns auch nicht nachvollziehbar. Dass dieses möglich ist, wird ja durch die zahlreichen „appfreien“ Kurzstreckenangebote anderer Städte belegt. […]
Ebenso vermissen wir Überlegungen geschweige denn Maßnahmen, durch geeignete strukturelle Maßnahmen und Tarifangebote mehr Umsteiger vom Individualverkehr zu gewinnen. Beispielweise gibt es sowohl in Ulm als auch in Tübingen inzwischen samstags eine kostenlose Busbenutzung! In Ravensburg zahlt man dann ebenso wie ab Mai in Friedrichshafen dort sogar für das Tagesticket 1 € und in Radolfzell an allen Tagen diesen Preis. Und in Konstanz? Vergleichbares bisher leider Fehlanzeige! […]
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Witznick, Schriftführer Egger Bürgergemeinschaft e.V.
Prof. Dr. Andreas Marx, 1. Vorsitzender Egger Bürgergemeinschaft e.V.
O. Pugliese (Textbearbeitung & Foto)
„Da der ÖPNV in Deutschland eine kommunale Aufgabe ist, liegt die Finanzierung ebenfalls in der Hand der ohnehin meist klammen Kommunen. “
„Um mehr Menschen in Busse und Bahnen zu bekommen, reicht eine Senkung des Fahrtpreises oft nicht aus. Was nutzt die Kostenfreiheit, wenn die Taktung schlecht, die nächste Haltestelle zu weit entfernt, das Netz lückenhaft und Komfort und Sicherheit mangelhaft sind?“
„Während Deutschland sich schon fast hysterisch über ein paar Straßen aufregt, die nun für ältere Dieselfahrzeuge gesperrt wurden oder noch gesperrt werden, ist die Debatte in anderen europäischen Ländern viel weiter. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo verantwortet beispielsweise einen Maßnahmenplan, der schon heute ältere Busse, Last- und Lieferwagen aus der Innenstadt verbannt hat und die komplette Innenstadt ab 2024 für Diesel und ab 2030 generell für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren abriegelt. Ähnliche Pläne gibt es in Barcelona, Madrid, Amsterdam, Oslo und Gent.“
„Wer in London mit einem Auto in die Innenstadt will, muss beispielsweise 11,50 GBP pro Tag zahlen; rund 14 Euro. Seit Oktober 2017 wird zusätzlich für Besitzer älterer Euro-4-Modelle (Benzin und Diesel) eine „Giftmaut“ von 10 GBP pro Tag fällig. Hinzu kommen die mit durchschnittlich 10,40 Euro pro Stunde wohl teuersten Parkgebühren in Europa – wobei es jedoch einem Kunststück gleicht, in der City überhaupt einen Parkplatz zu bekommen, da die allermeisten Parkbereiche für Einwohner reserviert sind. Städte wie London versuchen also, Autos durch massive Zusatzkosten aus der Stadt zu verdrängen.“
„Auch wenn man als Politiker damit sicherlich keine Wählerstimmen gewinnt – wer das Verkehrschaos und die Abgase herunterfahren und die Menschen in Bus und Bahn bekommen will, muss auch das Autofahren unattraktiver machen – komplett autofreie Innenstädte oder horrende Maut- und Parkgebühren sollten da aber eher eine ultima ratio sein, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Eine zusätzliche Verknappung und Verteuerung des Parkangebots und restriktive Verkehrsleitkonzepte sind aber auch nur dann sinnvolle Lenkungshilfen, wenn es etwas zu lenken gibt; sprich, wenn es für die Autofahrer attraktive Alternativen gibt.“
„Was spräche beispielsweise gegen ein obligatorisches Bürgerticket? Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat 2015 eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, die den Preis für ein solches für alle Berliner verpflichtendes Bürgerticket bei 40 bis 50 Euro pro Monat beziffert und für einkommensschwache Haushalte deutliche Rabatte vorsieht. Das wäre sicher ein guter Ansatz … wenn man gleichzeitig sicherstellen würde, dass auch Geld für die nötigen Investitionen fließt.“
„Abseits der Metropolen ist es in den meisten Fällen ja nicht der Ticketpreis, sondern das zu schlechte Angebot, das die Menschen von einer Nutzung oder gar einem Umstieg auf den ÖPNV abhält. Hier müsste der Staat – gleich aus welcher Quelle genau – schon sehr viel Geld in die Hand nehmen, um das Angebot zu verbessern. Und das ist sogar alternativlos, wenn man die Verträge zu den Klimazielen wirklich einhalten will. Doch diese Debatte wird leider nicht geführt. Stattdessen debattieren wir lieber darüber, ob wir lieber mit einem Diesel oder mit einem braunkohlestromgetriebenen E-Auto im Stau stehen wollen.“
„Nachdenkseiten“ vom 20.04.2019
Längerer Artikel mit vielen guten Gedanken, Hinweisen – ich finde: lesenswert!
Eine Vergünstigung, wie hier der Kurzstreckentarif, der mehr als 2 Bedingungen stellt, ist ein Ärgernis und kein nutzerfreundliches Entgegenkommen.
Für eine gültige Fahrkarte wird nicht nur
– ein Smartphone benötigt,
– sondern auch, ein noch voller Akku,
– eine voraussichtlich alle zwei Jahre neue App der Stadtwerke,
– ausreichend Speicherplatz im internen Handyspeicher, um jeweils die Apps und Updates der Stadtwerke herunterzuladen,
– ein dazu passendes Betriebssystem, das im allgemeinen nach 2 Jahren veraltet ist, und ein neues Smartphone erfordert,
– ein Bezahlsystem mit der Preisgabe sensibler Bankdaten im Netz,
– Die Preisgabe sensibler Bewegungsdaten im Netz.
– Eine durchgehende Netzverbindung bei der Buchung und Bezahlung
– Die Preisgabe sensibler Bewegungsdaten im Netz.
Das ist meine Erfahrung mit der Bahnapp.
Nutzerfreundlichkeit, Datensicherheit und Nachhaltigkeit sieht anders aus. Ersteres scheint eh keinen Stellenwert bei den Stadtwerken zu haben, wie die voreilige Verlegung der Linie 6 vor der erst jetzt ernsthaften Prüfung von Alternativen belegt.
Man stelle sich den umgekehrten Fall vor, dass der Nutzer 8 Bedingungen stellt, bevor er einen Fahrpreis entrichtet. (Bekomme ich einen Sitzplatz, ist da die Aussicht und ggf. der Sicherheitsausstieg auch nicht mit Werbung verklebt, fährt der Fahrer auch nicht ruppig, kann ich mein Rad mitnehmen, kann ich vor meinem Haus anstelle der Haltestelle aussteigen?) Da wird die Zumutung schnell sichtbar.
Falls jemand die vollständigen Schreiben lesen möchte: http://konstanz-egg.de/busanbindung-von-egg-stadtwerke/
Bei dieser Gelegenheit wäre auch mal zu erwähnen, wie die Stadtwerke bei Radfahrern auf der Fähre Reibach machen. Eine Rückfahrkarte für knapp 11 Euro! ist m. E. schon fast sittenwidrig und spricht allen Bemühungen um eine umweltschonende Verkehrspolitik Hohn. Wenn ich mir überlege, wie viel „Kohle“ allein durch diese Klientel auch und gerade in der touristischen Hochsaison in die Stadtwerke-Kasse gespült wird, kann ich mir die Knausrigkeit dieses kommunalen Unternehmens auf anderen Gebieten (s. o.) beim besten Willen nicht erklären.
(Habe übrigens gerade nach dem Geschäftsbericht der Stadtwerke gegoogelt: Angaben zum Bilanzgewinn habe ich nicht gefunden).
Die Argumentation der Stadtwerke bzw. der Stadt kann ich nicht nachvollziehen. Nach meiner persönlichen Erfahrung besteht durchaus ein großes Interesse an einer Verbesserung der Verkehrsverbindung Egg Richtung Innenstadt. Die Einwohnerzahl von Egg wird größer, zumindest hat es den Anschein, wenn man beobachtet, wieviele Häuser in den letzten Jahren dort gebaut wurden. Hinzukommt, dass eine große Zahl an Studenten und Mitarbeitern der Universität in Egg ein- und aussteigen.
Der Hinweis bzw. Ankündigung auf eine „Kurzstrecken-App“ erscheint mir nahezu als Realsatire: Benötige ich zukünftig, um mit dem Bus zu fahren, ein Smartphone? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Es soll durchaus Menschen geben, die kein Smartphone besitzen. Und die Stadtwerke, die eine Einrichtung der öffentlichen Hand sind und die Aufgabe haben, Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge bereitzustellen, müssen in der Lage sein, das Fahren mit dem Bus möglichst kostengünstig allen zugänglich zumachen. Meines Wissens besteht in diesem Land (noch) kein gesetzlicher Zwang, ein Smartphone zu besitzen, so dass die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen nicht an den Besitz dieses Geräts gebunden sein sollte.
Die gehbehinderte alte Dame, die auch Kurzstrecken nicht mehr laufen kann und deshalb ihren Rollator in den Bus hievt, soll nun, mit der einen Hand krampfhaft Halt suchend, mit der anderen auf dem Smartphone noch schnell die Kurzstrecken-App öffnen und ihren Fahrschein kaufen. Ihr habt sie doch nicht mehr alle! Wer ein derart eingeschränktes Angebot schafft, spekuliert darauf, es mangels Nachfrage gleich wieder abzuschaffen. Und riskiert eine Klage wegen Diskriminierung.
Und wenn ein Herr Biehler, langjähriges FDP-Mitglied und Software-Entwickler, sich berufen fühlt, eine solche App-Lösung namens der von ihm als Schriftführer des Stadtseniorenrats zu vertretenden älteren Menschen zu unterstützen, geht im jedwede Fähigkeit ab, über das eigene Ego hinaus die Lebenswirklichkeit notgedrungen busfahrender Menschen nachzuempfinden.
Durch Dauerkarten, Studi- und Schülertickets ihrer Einnahmen gewiss, haben die Stadtwerke leider null Interesse, die Bedürfnisse ihrer busfahrenden Kunden zu berücksichtigen. Und reden sich phrasendreschend („ausreichende Verkehrsbedienung“ „wirtschaftliche Verkehrsgestaltung“ „überdurchschnittliches Angebot“) aus ihrer Verantwortung heraus, mit dem ÖPNV im Sinne der Daseinsfürsorge eine Alternative zum Autoverkehr anzubieten.