Ein Adler namens Eddie
Die Wintersaison ist längst eröffnet und die Skisprungfans bewundern die weiten Sätze von Gregor Schlierenzauer, Severin Freund & Co. Zeit also, kurz vor der Vierschanzentournee, an einen Skispringer zu erinnern, der in den späten achtziger Jahren der Liebling der Massen war. Und das, obwohl – oder gerade weil – er immer Letzter wurde. Die Rede ist von Michael Edwards, einem weitgehend vergessenen Sportler. Er hat auf seine Art Sportgeschichte geschrieben
Michael Edwards wurde 1963 geboren und war der erste Skispringer, der für Großbritannien bei Olympischen Winterspielen an den Start ging. Anfangs versuchte sich der gelernte Maurer als Skifahrer und kam sogar ins englische Nationalteam. Dann aber, bei einer Fernsehübertragung der Vierschanzentournee 1985/86, packte ihn die Begeisterung für das Skispringen. Er kaufte sich für wenig Geld gebrauchte Sprungski und machte seine ersten Hüpfer auf kleinen Hügeln rund um die südwestenglische Stadt Gloucester. Derart angefressen von dieser Sportart, reiste er dann regelmäßig aufs europäische Festland und trainierte auf richtigen Schanzen. Um Geld zu sparen, übernachtete er sogar in Kuhställen oder auf dem Rücksitz seines Autos.
1987 trat er bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften in Oberstdorf an und belegte den letzten Platz. Dennoch stand Michael Edwards plötzlich im internationalen Rampenlicht. Stars wie Matti Nykänen oder Jens Weißflog bestimmten zu jener Zeit die Wettkämpfe und da wurde man aufmerksam auf den Exoten, der sich mutig in die Anlaufspur warf und so völlig anders daher kam. Aufgrund seiner starken Weitsichtigkeit musste er dicke Augengläser tragen und jeder Sprung war ein absolutes Wagnis. Die Fans zitterten mit ihm und hofften jedes Mal, dass sich der sympathisch-schräge Vogel nicht alle Knochen bricht. Seine Kontrahenten, allesamt Profis, sprangen meist doppelt so weit wie Edwards, aber dieser eroberte die Herzen der Zuschauer im Handumdrehen. Er landete bei 73,5 Metern, was britischen Rekord bedeutete. Edwards wurde Kult und seine Anhänger nannten ihn fortan liebevoll „Eddie the eagle, der Adler“.
1988 erfüllte sich dann Eddies großer Traum: Er nahm als erster britischer Skispringer bei den Olympischen Winterspielen in Calgary teil – und wurde Letzter. Doch die Zuschauer kümmerte das nicht, sie feuerten ihn frenetisch an und freuten sich wie die Schneekönige, dass der britische Adler sein sportliches Abenteuer unverletzt überstand. Knapp 100 000 jubelten, als der Chef des Organisationskomitees bei der Abschlussfeier allen Athleten dankte, einem aber besonders: „Sie haben Weltrekorde gebrochen, persönliche Bestleistungen aufgestellt und einer von Ihnen flog wie ein Adler“. Der Hype um seine Person machte Eddie für kurze Zeit zum Medienstar. Er brachte ein Buch auf den Markt, gab unzählige Interviews und nahm mehrere Singles auf. Alleine 1988 wurden seine Einnahmen auf mehrere hunderttausend Euro geschätzt und Edwards gehörte zu den Großverdienern im Skisprung.
Ein Jahr nach Calgary passierte es dann doch: Eddie wackelte bei einem Springen in Innsbruck gefährlich schräg durch die Lüfte, stürzte und brach sich das Schlüsselbein. Es war sein letzter Wettkampf, denn die Veranstalter verhinderten weitere Teilnahmen. 1990 wollte er es nochmal wissen, aber er konnte sich nicht mehr qualifizieren. Seinen allerletzten Sprung machte er 2004 anlässlich der Eröffnung der umgebauten Schattenbergschanze in Oberstdorf und die Zuschauer verabschiedeten mit großem Jubel die wohl schillerndste Figur, die der Wintersport jemals gesehen hat.
Finanziell reichlich blauäugig verlor er aber sein Vermögen, weil er sich mit dubiosen Geschäftemachern eingelassen hatte. Der Adler musste Privatinsolvenz anmelden. Doch Eddie ließ sich nicht unterkriegen und studierte Jura. Er hätte Anwalt werden können, verwarf dann aber den Plan: „Ich mache lieber was mit den Händen“, und kehrte in seinen ursprünglichen Beruf als Maurer zurück. Nebenbei tritt er als besonderer Gast beim Fernsehen auf, bekommt immer wieder kleinere Werbeaufträge oder gibt Motivationskurse. Seine wichtigste Botschaft dabei: „Gewinnen heißt nicht nur, erster in einem Wettbewerb zu werden. Und man sollte nie den Spaß an der Sache verlieren“.
Autor: H.Reile