„Ein Hund bekommt mehr Platz als ein Flüchtling“
Auf die bedauernswerte Lage von Flüchtlingen in Konstanz hat die Linke Liste Konstanz jüngst aufmerksam gemacht. In einem Brief an OB Burchardt fordert sie menschenwürdige Unterbringung und die Abschaffung des Gutschein-Systems. Eine Reaktion, auch in den übrigen Medien, gibt es bislang nicht. Deshalb der Brief hier im Wortlaut – ohne Kommentar
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
wir wenden uns mit diesem Brief an Sie, um auf die Situation von Menschen aufmerksam zu machen, die als Flüchtlinge unter uns leben, und die aus diesem Grund in ihrem Alltag Diskriminierungen und Zurücksetzungen unterschiedlicher Art ausgesetzt sind. Da ist zum einen die Tatsache, dass diesen Menschen von den zuständigen Landkreisbehörden die ihnen zustehenden Leistungen zu einem Großteil nach wie vor in Form von Gutscheinen ausgezahlt werden. Im Kreistag, wo dieses Thema jüngst diskutiert worden ist, hat Landrat Frank Hämmerle zur Begründung – zwischen den Zeilen zwar, aber eben doch – deutlich gemacht, dass er Flüchtlinge pauschal verdächtigt, Bargeld nicht für ihre Versorgung, sondern für Alkohol, Drogen u.ä. auszugeben. Wir halten das für eine völlig inakzeptable Diskriminierung, die zwar an Stammtischen geäußerte Vorurteile bedienen mag, unserer Meinung nach aber klar gegen die grundgesetzlich geforderte Gleichbehandlung Aller verstößt. Völlig zu Recht kritisieren deshalb Flüchtlingsorganisationen, ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe Tätige, Kirchen und nicht zuletzt die Betroffenen selbst diese Praxis scharf. Sie schränkt nicht nur die Selbstbestimmung der Flüchtlinge stark ein, sondern erschwert darüber hinaus auch ihre Integrationsmöglichkeiten.
Die baden-württembergische Landesregierung hat erkennen lassen, dass sie eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip will. Dazu hat sie, gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden, dem Flüchtlingsrat und anderen Fachleuten, 2012 ein Eckpunktepapier für eine Novelle des Flüchtlingsaufnahmegesetzes erarbeitet. Darin ist unter anderem festgehalten, dass künftig die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – abgesehen von der weiterhin als Sachleistung zu gewährenden Unterbringung – als Geldleistungen erbracht werden sollen. 16 der 44 Landkreise Baden-Württembergs haben diese Umstellung bereits vollzogen, so beispielsweise auch der Landkreis Biberach. Dort blieb nicht nur der vom Konstanzer Landrat herbeigeredete Missbrauch der Leistungen aus, man hat auch noch finanzielle Einsparungen erzielt.
Ein weiterer Punkt, auf den wir aufmerksam machen wollen, ist die Unterbringung in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften; der Begriff Lager kommt der Sache näher. Immer noch leben auch in Konstanz rund 170 Menschen in einer solchen Unterkunft, deren bauliche Standards im besten Fall als bescheiden bezeichnet werden müssen, auch wenn nun mit Renovierungsarbeiten begonnen wurde. Jeder Flüchtling hat in solchen Unterkünften gerade mal „Anrecht“ auf 4,5 Quadratmeter Wohn- und Schlaffläche. Auch das ist unserer Meinung nach ein eklatanter Verstoß gegen fundamentale Rechte der Betroffenen. Nur zum Vergleich: jeder Haustierbesitzer, der seinen deutschen Schäferhund auf weniger als 8,5 Quadratmeter hält, bekommt Schwierigkeiten mit dem Gesetz.
Auch in der Frage der Unterbringung von Flüchtlingen will die Landesregierung eine andere Praxis. Die geltenden Vorgaben sollen durch Regelungen ersetzt werden, die eine spürbar geringere Belegungsdichte sicherstellen. So ist geplant, neben Gemeinschaftsunterkünften andere Wohnformen zu schaffen, insbesondere Einzelwohnungen und andere dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten. Mit der Unterbringung einiger Asylbewerber in Wohnungen der Wobak in der Hegaustraße ist ein begrüßenswerter Anfang gemacht. Das löst das Grundproblem der Kasernierung aber nicht. Wir fordern deshalb die Auflösung der Gemeinschaftsunterkunft und die Bereitstellung von menschenwürdigen Wohnungen für alle Flüchtlinge.
Die Vorschläge des Eckpunktepapiers der Landesregierung sind zwar noch nicht in Gesetzesform gegossen; die darin enthaltenen Anregungen für die Verbesserung der Lebenssituation der Flüchtlinge sind aber nicht nur längst überfällig, sondern, wenn auch erst in Ansätzen, nun auch möglich. Menschen flüchten nicht ohne existentielle Not aus ihrer Heimat – Nöte, für die nur allzu häufig auch deutsche Wirtschafts- und Machtinteressen verantwortlich sind. Wem trotz einer restriktiven Abschreckungspolitik die Flucht zu uns gelungen ist, der hat ein Anrecht auf eine menschenwürdige Behandlung.
Die Linke Liste fordert Sie auf: Werfen Sie als Konstanzer Oberbürgermeister ihr politisches Gewicht in die Waagschale, damit endlich substanzielle Schritte gegen die diskriminierende Behandlung der Flüchtlinge im Kreis Konstanz unternommen werden. Setzen Sie das Thema auf die Tagesordnung des Gemeinderats. Wir wissen natürlich, dass Landrat Hämmerle das letzte Wort in diesen Angelegenheiten hat. Politische Entscheidungen fallen aber bekanntlich nicht im luftleeren Raum, und es wird auch einen Landrat nicht unbeeindruckt lassen, wenn der Oberbürgermeister und der Gemeinderat der größten Stadt in der Region sich für die Verbesserung der Lage der Flüchtlinge stark machen.
Linke Liste Konstanz
Es ist richtig, dass ein Landrat das wahrnimmt, was in den Städten „seines“ Landkreises durch Gemeinderäte verabschiedet und von Politikern wie Bürgermeister u.a. gefordert wird. Allerdings sind die Spielräume eines Landrats in der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen begrenzt. Geht es um Räumlichkeiten, so ist der Landkreis in den letzten Monaten mit großer Vehemenz auf die Suche nach neuen Gebäuden gegangen, in denen weitere Flüchtlinge untergebracht werden können. Bei einer steigenden Zahl von Hilfesuchenden in Deutschland und einem ohnehin bestehenden Problem des fehlenden Wohnraums ergeben sich automatisch Limits, die dann noch dadurch gefördert werden, dass die finanziellen Zuweisungen für die Kommunen in dieser Sache nicht wirklich größer werden.
Und auch in der Frage danach, welchen Geldmittel man Flüchtlingen zugute kommen lassen kann, bewegt sich der Landkreis zumindest auf der Gesetzesgrundlage – die allerdings nicht mit der Rechtsprechung übereinstimmt. Sieht beispielsweise das Bundesverfassungsgericht für jeden Menschen in Deutschland ein sozio-kulturelles Existenzminimum vor (die eben nicht mit einem Gutscheinwesen erreicht werden kann), hat die Bundes- und Landespolitik solche Urteile bisher – nach meinem Verständnis rechtswidrig – unbeeindruckt ignoriert. Tatsächlich wäre es dem Landrat allerdings möglich, auch für Lebensmittel u.a. liquide Mittel statt Essensbons auszugeben. Das würde nämlich sicherlich auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen – und eben auch des Flüchtlings – stärken, die unser Grundgesetz nicht nur in Art. 1 vorsieht.
Insgesamt geht es aber nicht nur Flüchtlingen schlecht (wenngleich sich ihre Not doppelt und dreifach aufsummiert und eine besondere Dramatik und Tragweite annimmt). Auch „Hartz IV“-Empfänger und andere Bedürftige, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, können mit solchen Praktiken abgespeist werden – und ebenso in Sachen Wohnraum sieht es hier nicht so aus, wie man es von einem entwickelten Industriestaat erwarten würde. Die Situation ist für jeden in Deutschland, der auf eine existenzielle Unterstützung durch den Staat angewiesen ist, im Grunde unwürdig. Und die Flüchtlinge trifft dies in einem herausragend harten Maß.
Wesentlich erscheint mir allerdings, den Protest nicht nur an die Kommunalpolitik zu richten. Die grundgesetzliche Widrigkeit aufzuheben, ist ein Muss des Gesetzgebers. Er muss mit Nachdruck dazu bewegt werden, die Lebensbedingungen von sozial Schwachen so auszugestalten, dass sie unserer Verfassung entsprechen. Und die Zustände, wie sie in Flüchtlingsheimen herrschen, gehören unter vielen anderen Missständen, gegen die mit aller Deutlichkeit die Stimme erhoben werden muss, zu einer unerträglichen Fehlentwicklung.
Zweifelsohne müssen die Bedenken ernst genommen werden, die auch bei der Steuerung der Aufnahme von Flüchtlingen Kritik anbringen. Doch jeder, der aus Gründen von Verfolgung (egal, ob politisch, religiös, sexuell, ethnisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich…) oder Vertreibung, Lebensbedrohung oder Gewalt und Krieg zu uns flieht, muss eine Aufnahme erfahren, die dem angemessen ist, was unser Land im Vergleich zu vielen anderen Regionen der Welt an Wohlstand aufbieten kann. Ich befürworte dies neben einer eklatant verstärkten und intensivierten Politik der subsidiären Hilfen vor Ort. Flucht ist stets ein traumatisches Erlebnis, das es so gut wie möglich zu vermeiden gilt – auch, um jedem ein Anrecht auf eine sichere Heimat zu schaffen, in der Sicherheit und humanitär erträgliche Bedingungen herrschen.
Dort, wo das nicht möglich ist, muss die Völkergemeinschaft eingreifen – und da hat Deutschland innerhalb der Europäischen Union eine wesentliche Führungsrolle (auch, was die Frage nach Abschottung angeht – wir müssen Flüchtlinge kontinental verteilen und Lasten aufgliedern; die Bundesrepublik trägt bislang einen zu geringen Anteil an diesen Aufgaben). Und um dieser nachzukommen, braucht es eine rechtlich unstreitbare Reform der Gesetze, die die Sicherung von Flüchtlingen und sozial schwachen Menschen in Deutschland generell neu regeln.
Daher rate ich der Linken Liste, aber auch der Grünen-Fraktion im Kreistag, die ähnliche – berechtigte – Kritik vorbrachte, ebenso wie den Kreisverbänden der Parteien hier vor Ort, denen die Thematik ein Anliegen ist, bei ihren Landes- und Bundesverbänden, aber auch mit eigenem Antrieb in Stuttgart und Berlin den Schulterschluss – auch mit Organisationen, Interessenverbänden und Einzelpersonen – zu suchen, um die Politiker zu dem aufzufordern, was sie geschworen haben: „Verfassung und Rechte zu wahren und zu verteidigen“.