Ein Jahr Klimanotstand: Durchwachsene Bilanz
Vor ziemlich genau einem Jahr rief der Gemeinderat einstimmig den Klimanotstand für Konstanz aus und machte damit als erstes Kommunalparlament den Klimaschutz zur Aufgabe höchster Priorität. Anlass für die Fridays-for-Future-Aktiven, eine vorläufige Bestandsaufnahme zu machen. Ihr Befund: Einige Maßnahmen wurden zwar eingeleitet, die grundsätzliche Weichenstellung zum Erreichen des Pariser Klimaziels fehlt jedoch. Die KlimaschützerInnen wollen deshalb jetzt Druck machen, damit sich die Stadt das Ziel setzt, bis 2030 „klimapositiv“ zu werden.
Gemeinsam mit den Ratsfraktionen haben die Konstanzer FfFler dazu eine Resolution verfasst, die am heutigen Montag Oberbürgermeister Uli Burchardt überreicht werden soll. In der folgenden Pressemitteilung ziehen sie nach einem Jahr Klimanotstand ein Resumée und skizzieren weitere Schritte.
Vor einem Jahr rief der Konstanzer Gemeinderat als erste deutsche Stadt einstimmig den Klimanotstand aus. Damit erklärte die Stadt am Bodensee die Klimakrise zur existentiellen Bedrohung und ihre Bekämpfung zur Aufgabe höchster Priorität. Dieser Grundsatzbeschluss löste eine Welle in ganz Deutschland und darüber hinaus aus. Nach zahlreichen kleineren und größeren Städten, wie z.B. Erlangen oder Kiel, die dem Konstanzer Vorbild folgten, rief im November vergangenen Jahres die Europäische Kommission den Klimanotstand aus. Bis jetzt sind 67 Städte in Deutschland dem Konstanzer Vorbild gefolgt.
Ein Jahr nach der Ausrufung ziehen die Konstanzer Klimaschützer*innen von Fridays for Future Bilanz und blicken nach vorne. Am Montag wollen sie anlässlich des Jubiläums dem Konstanzer Oberbürgermeister eine, gemeinsam mit den Gemeinderatsfraktionen ausgearbeitete Resolution überreichen, nach der die Stadt sich das Ziel setzen soll, bis 2030 klimapositiv zu werden, um so dem Grundsatzbeschluss des vergangenen Jahres gerecht zu werden.
Aus Sicht von Fridays for Future sind im vergangen Jahr durchaus Schritte in die richtige Richtung unternommen worden. So wurde in der ersten Sitzung nach dem Klimanotstand bereits eine Solarpflicht für Neubauten beschlossen und in den Wochen nach dem Klimanotstand wurde in der Verwaltung eine Stabstelle zum Klimaschutz eingerichtet, von der aus alle Verwaltungsabteilungen unterstützt werden sollen, um Klimaschutz voranzutreiben. Im anstehenden Nachtragshaushalt wurden die Mittel für den Klimaschutz von ca. einem auf zwei Prozent des Gesamthaushaltes aufgestockt und in diesem Atemzug einige Maßnahmen, wie z.B. eine Solarinitative für Privathaushalte gestartet. Die jungen Klimaschützer*innen bemängeln aber, dass die beschlossenen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen, um die „überlebenswichtige“ 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. In dieses Bild passend fehle bis heute ein Beschluss zur Zielsetzung und ein konkreter Plan, wie die Stadt bis 2030 klimapositiv werden wird. Dies bedeutet, dass ab spätestens 2030 weniger Treibhausgase ausgestoßen werden müssen, als die umliegenden Wälder, Moore und Landwirtschaft wieder aufnehmen können.
Cyra Mehrer von Fridays for Future fasst das vergangene Jahr zusammen: „Gut, aber bei weitem nicht gut genug. Nach vielen kleinen Trippelschritten haben wir ein Jahr nach dem Klimanotstand immer noch keine Zielsetzung. Und ohne Zielsetzung kann man ein Ziel nicht erreichen. Das ist, als wolle man im Fußball ein Tor schießen, kickt aber nur hin und her, ohne auf das Tor zu schießen.“
Um diese Zielsetzung anzugehen, arbeitete die Konstanzer Fridays for Future Bewegung daher an einer Resolution , die das Ziel klimapositiv 2030 rechtsverbindlich beschließen soll. Für den Beschluss der Resolution, die in den nächsten Wochen im Gemeinderat eingereicht werden soll, hofft die Konstanzer Klimabewegung nun auf eine breite Unterstützung aller Gemeinderatsfraktionen. In Vorabgesprächen mit Fridays for Future haben sich laut den Klimaaktivist*innen bereits die meisten Fraktionen für den Beschluss stark gemacht. Mit dem Beschluss der Resolution werde das Ziel 2030 klimapositiv gesetzlich verankert und ein grober Fahrplan für das kommende Jahrzehnt in Auftrag gegeben, sowie ein detaillierter Maßnahmenplan bis 2022. Ab 2023 soll dann mithilfe von Bürgerbeteiligung entschieden werden, wie der Weg zur klimapositiven Stadt gelingen kann.
„Vor einem Jahr hat die Stadt Konstanz durch die Ausrufung des Klimanotstandes beschlossen, eine internationale Führungsrolle im kommunalen Klimaschutz anzunehmen“, so Manuel Oestringer von Fridays for Future, „es geht jetzt darum, dass wir dieser gerecht werden. Der erste Schritt dazu ist es, das nötige Ziel ins Auge zu fassen, um dann gemeinsam mit anderen Vorreiterstädten den Wandel hin zu einer klimapositven Gesellschaft zu gestalten.“ Noemi Mundhaas von Fridays for Future Konstanz ergänzt: „Die meisten Fraktionen haben sich bereits hinter die Resolution der Zielsetzung gestellt. Jetzt geht es darum, dass wir diese chnell beschließen, um so mit einem klaren Fahrplan vor Augen den wirtschaftlichen Weg aus der Corona-Pandemie zu beschreiten.“
MM/red (Foto: Fridays for Future Konstanz)
Was ambitioniert begann, ist mittlerweile durch eine Krise ausgebremst worden, die derzeit alle Nachrichten beherrscht. Nur vereinzelt schaffen es Meldungen über den Klimaschutz in die Wohnzimmer der Deutschen, „Corona“ ist allgegenwärtig. Dennoch dürfen wir diese Pandemie nicht ohne Nachhaltigkeit denken. Schwerlich errungene Fortschritte können nicht der zweifelsohne größten Herausforderung der letzten Jahrzehnte geopfert werden. Denn während uns gegen das Virus sicherlich früher oder später etwas einfallen wird, so lässt uns das Klima auch dann nicht in Ruhe, wenn wir die Zeiten von Mundschutz und Abstandsgeboten schon längst vergessen haben.
Konstanz war an der Spitze, nun sollte es als Vorzeigekommune auch daran arbeiten, sich nicht von den stringent gesetzten Zielen zu verabschieden. Während die Autobranche schon laut nach Lockerungen ruft, um weiterhin klimaschädliche Modelle günstig an Mann und Frau zu bringen, braucht es auf städtischer Ebene vor allem die Einhaltung der Resolution, die „Fridays for Future“ mit einigen Gemeinderatsfraktionen derzeit erarbeitet hat und die dem Oberbürgermeister übergeben wird. Denn mittlerweile sind die Mitstreiter der Bewegung zu Experten geworden, auf die wir hören sollten.
Ich selbst tat mir lange Zeit schwer mit den Protesten, nicht nur der Jugend. Mittlerweile wendet sich für mich allerdings das Blatt und ich gewinne den Eindruck, wie ernst es die Klimaschützer meinen, wenn sie nun gar während des Shutdowns mit pfiffigen Ideen ihre Demonstration im Netz oder in kleinen Gruppen fortsetzen. Der Vorwurf, hier würden Schüler nur den Unterricht schwänzen wollen, zieht heute nicht mehr. Viel eher ist es eine dramatische Sorge der aktuellen und nächsten Generation, dass wir bei allen anderen Problemen, die die Welt derzeit beherrschen, die bedrohlichste Gefahr für uns alle herunterspielen und verwässern.
Zwar macht uns „Corona“ deutlich, wie wichtig die Wirtschaft für unser aller Wohlstand ist. Doch die Hoffnung, dass durch ein entschleunigtes Alltagsleben auch das Klima eine Pause zum Durchatmen bekommt, ist mittlerweile klar verpufft. Viel schlimmer: Wir scheinen aus der Krise nicht zu lernen, fallen in ein kapitalistisches und industrielles Zeitalter zurück, indem lediglich der schnelle Profit zählt, egal, ob wir dabei die Luft verpesten, die Meere verschmutzen oder die Wälder abbrennen. „Corona“ hat es nicht geschafft, uns aufzurütteln. Dazu braucht es nun wieder Widerstand derjenigen, die die Suppe später einmal auslöffeln müssen: Der nächste Dürresommer könnte bereits vor der Tür stehen.
Ein Umdenken auf ganz kleiner Ebene, das ist ein notwendiger Anfang, um später auch diejenigen an der Spitze von Politik und Unternehmen zu erreichen und in die Verantwortung zu nehmen, ob sie aus Klimaprotesten und „Covid-19“ etwas mitgenommen haben. Wie hilfreich „Home-Office“ für das Klima sein kann, wie Entschleunigung uns im gestressten Arbeitsalltag hilft und wie sehr wir uns der Solidarität mit unseren Nächsten verpflichten, all das sind positive Auswirkungen der Krise, die ich mir auch nach Abflauen der Infektionszahlen weiterhin wünschen würde. Macht uns „Corona“ zu anderen Menschen? Wenn wir verstärkt auf unsere Nächsten achten, unseren eigenen Lebensstil in aller Ruhe durchdenken und sensibel werden für diejenigen, die unseren Laden am Laufen halten, dann wird das nicht nur auf unsere Gesellschaftsform positive Auswirkungen haben; dem Neoliberalismus könnte endlich Einhalt geboten werden – und das täte auch dem Klima gut…