„Ein Narr vom alten Schlag“

Die Lieder des Willi Hermann waren im verdrucksten Klima der 1950er Jahre mitnichten „unpolitisch“, und sie sind es erst recht nicht im Kontext unserer aktuellen Kenntnis darüber, wer Hermann wirklich war, meint Tobias Engelsing, der Direktor der Städtischen Museen in Konstanz und selbst Fasnachter.

Diese nur wenige Jahre nach dem Mord an den europäischen Juden geschriebenen Lieder sind eben doch politisch, und zwar in ihrer Verschleierung der Schuld, in ihrer penetranten Beharrlichkeit, sich von den Opfern die gute Laune nicht verderben zu lassen. Das wurde uns allen verständlich, seit wir detailliert erfahren haben, wer ihr Komponist wirklich gewesen war: Ein Propaganda-Redner des Judenhasses und des „Führer“-Staats, der niemals Reue zeigte, auch gerade dann nicht, als er in den 1950/60ern diese Lieder schrieb.

Wer als ehemaliger hauptberuflicher Propagandist des NS-Terrors in den 1950er Jahren wieder von jungen Frauen („Mädle“) singt, die einen „Meister“ in sexueller Zudringlichkeit brauchen, beweist, dass er weder Scham noch Schuld kannte. Diese Täter gaben sich vielmehr selbst als Opfer der „schweren“ Nachkriegszeit aus und beharrten darauf, endlich wieder „unpolitisch“ lachen zu dürfen: Schwamm drüber, gerade auch mit Hilfe der Fasnacht – das war die Parole, die die politische Atmosphäre der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre prägte. Hermanns O-Ton dazu: „Ein Narr vom alten Schlag lebt luschtig alle Zeit, ihm ist die Welt voll Luscht und Freid, voll Frohsinn, Heiterkeit!“

Diese Haltung hatte eine eminent politische Funktion: So gelang es bruchlos, die tausendfach überlebenden Täter stillschweigend und ohne gerichtliche Aufarbeitung ihrer Taten in die bundesrepublikanische Gesellschaft zu integrieren, während tausende Opfer mit ihren Traumata allein blieben. Willi Hermann ist ein Paradebeispiel dieser gelungenen Integration. Er durfte, im wahrsten Wortsinne, wieder mitspielen, seine Lieder waren die Eintrittskarte dazu.

Dass der liberale Christdemokrat Marcus Nabholz auch nach dem öffentlich gewordenen Ärgernis ausdrücklich darauf beharrt, die Herrmann-Lieder selbst als Präsident einer Narrengesellschaft weiter öffentlich verbreiten zu dürfen, zeugt von einem Defizit an politischem Instinkt: In Zeiten des bedrohlich erstarkenden rechtsextremen Populismus, dessen Ziel der berühmte „Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit“, ja, sogar die Revision der deutschen Erinnerungskultur und positiven Neubewertung des „Dritten Reichs“ ist, sollte ein Narrenpräsident erkennen können, welche Wirkungen solche Statements haben: Sie relativieren die Taten und Täter des Nationalsozialismus und spielen heutigen Rechtsextremen zumindest fahrlässig in die Hände. Dem Hörensagen nach ist Marcus Nabholz als Nachfolger von Heinz Maser als Programmchef der TV-Narrenkonzerte im Gespräch. Es erscheint zumindest fraglich, ob der SWR einen Narrenfunktionär in so zentrale Position heben wird, dessen Geschichtsbild von relativistischen Zügen nicht frei ist.

Was Nabholz auch zu denken geben sollte, ist die erneut aufbrausende Wut von rechts: Da klingen die rechtspopulistischen Stereotype an: „Die Medien“ verböten den Narren den Mund und übten „Meinungsterror“ aus. Auch hier machen sich Leute mit einem billigen Taschenspielertrick zu Opfern. Tatsächlich dürfen Narren in unserem Land fast alles, auch frauenfeindlichen und rassistischen Unsinn verbreiten. Für die wirklichen Opfer der Geschichte haben solche wehleidigen Faktenverdreher nichts übrig. Den Beifall von dieser Seite sollte ein Repräsentant der Konstanzer Bühnenfasnacht nicht billigen und schon gar nicht bedienen.

Tobias Engelsing (Foto: Archiv)