Eine Ohrfeige für die Seilbahn

Der Technische und Umweltausschuss (TUA) legte gestern eine Sondersitzung ein, um sich gemeinsam mit Experten in die Zukunft der Mobilität in Konstanz zu vertiefen. Dabei wurden Überlegungen zu S-Bahn, Straßenbahn, Wasserbus und Seilbahn präsentiert, durchaus mit dem berechtigten Anspruch, Alternativen für die Mitte dieses Jahrhunderts auszuloten. Auch die Wirtschaft erhielt überraschend Rederecht und nutzte das für eine Südkurier-Schelte und das übliche Gebarme über sinkende Profite.

Gerald Hamöller von der Firma Rambøll ist ein auf Anhieb gewinnender Mensch: Man denke ihn sich als stattlichen Mann mittleren Alters mit einem graumelierten Pferdeschwanz und einem ironischen Zug um den Mund. „Ich lebe zwar schon seit 20 Jahren in Baden, aber ich komme aus Westfalen, da schmunzeln wir alle“, gab er auf die irritierte Nachfrage aus dem Gremium hin zu Protokoll.

Gemeinderätinnen und -räten ist gute Laune bei einem Vortragenden offenkundig verdächtig – zumal wenn er ein Gutachten über die Möglichkeiten eines Seilbahnsystems für Konstanz abgibt. Seilbahn ist Chefsache, da werden heiliger Ernst (und innerhalb der Verwaltung wohl auch fußfällige Devotion?) erwartet.

Nichts Genaues weiß man nicht

Wie dem auch sei, Hamöller war von erfrischender Ehrlichkeit: Konstanz leidet nach seinen Angaben unter einem Problem, das typisch für viele Städte dieser Größenordnung ist: Es fehlt schlichtweg an Daten, zumal an aktuellen. Es gibt zwar uralte Zählungen, aber die sind methodisch unbefriedigend. Was ein Verkehrsplaner braucht, ist eine Quell-Ziel-Erhebung. Er will also nicht wissen, wie viele Leute am Sternenplatz in den Bus ein- und am Bürgerbüro wieder aussteigen.

Für eine vernünftige Verkehrsplanung muss er vielmehr in Erfahrung bringen, wo Ausgangspunkt und Endziel der Befragten liegen: Wer am Sternenplatz in den Bus zur Laube steigt, kommt eventuell ja schon aus Wollmatingen oder gar Meersburg, und erst die Betrachtung des gesamten Weges einschließlich aller Strecken, die eine/r mit Fähre, Seehas, Bus, Auto, Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt hat, lässt eine vernünftige Analyse und Verbesserung von Mobilitätsströmen zu. Eine solche Erhebung wird in Konstanz im nächsten Jahr durchgeführt, um Aussagen zur Verkehrsplanung deutlich verlässlicher zu machen. Die derzeitigen alten Daten legen etwa nahe, so Hamöller irritiert-ironisch, dass die Strecke vom Königsbau zur Uni die meistfrequentierte in Konstanz sei, mit so etwas sei nichts anzufangen.

Luftkrank über Konstanz?

In Deutschland sind urbane Seilbahnen (anders als touristische und industrielle) rar. Sie haben auf den ersten Blick erhebliche Vorteile: Sie fahren auf einer eigenen Ebene und stehen damit anders als etwa Busse nicht im Stau. Ihr Takt und ihre Kapazität lassen sich durch das Einhängen von Gondeln sehr flexibel gestalten, und es gibt verschiedene Systeme: Ein-, Zwei- oder Dreiseilumlaufbahnen mit Kabinengrößen zwischen 15 und 35 Menschen. Sie lassen sich barrierefrei ausgestalten und erlauben auch die Mitnahme von Fahrrädern. Ach ja, und die Dreiseilbahnen haben auch noch den Vorteil, dass man bei einer Betriebsstörung nicht über eine Leiter aus der seit Stunden im Orkan schaukelnden Kabine gerettet werden muss. „Runter kommen sie immer“, kommentierte ein grüner Verkehrsexperte entspannt, statt ganz menschenfreundlich genügend Kotztüten für die Gondeln zu fordern.

Nächster Halt Hafner?

Konstanz liebäugelt derzeit mit Strecken etwa vom Döbele entlang der neuen Rheinbrücke zur Geschwister-Scholl-Schule und weiter zum Hafner oder über die Uni zur Mainau. Etliche Pluspunkte also für das Lieblingsprojekt von Uli Burchardt? Konstanz und das vielbesungene Koblenz endlich Schwestern, im Herzen vereint durch eine städtische Seilbahn? Das Beispiel hinkt, so der Experte, denn die Seilbahn in Koblenz wurde nicht bis zum Hauptbahnhof verlängert und ist daher kein Vorbild für Konstanz, das mit einer Seilbahn ja den alltäglichen innerstädtischen Verkehr entlasten will. Touristenbeglückung wäre in Konstanz nur ein Nebeneffekt, und in der Tat steht – Seilbahn hin oder her – kaum zu erwarten, dass sich eines Tages japanische Touristen im Hafner die Finger wundknipsen, weil die Fahrt dorthin so wunderschön ist.

Beste Busse

Ganz so einfach ist das alles also nicht. Konstanz hat, so Verkehrsexperte Hamöller lobend, ein ausgezeichnetes Busnetz, das sich sehr angenehm von dem vieler anderer Kommunen abhebt. Man kommt im gesamten Stadtgebiet und den Wohnorten relativ leicht von A nach B. Seilbahnen lohnen sich aber nur, wenn sie stark frequentiert werden. Eine Seilbahnlinie etwa von der Stadt nach Wollmatingen wäre also nur dann sinnvoll, wenn man den parallelen Busverkehr auf dieser Strecke massiv reduzierte. Außerdem hat die Seilbahn einen weiteren erheblichen Nachteil: Man benötigt trotzdem noch ein Bus- oder ähnliches System als Zu- oder Abbringer (wohl weil die Haltestellen der Seilbahn ziemlich weit auseinanderliegen?). Auch der Zeitvorteil hält sich in Grenzen. Seilbahnen erreichen etwa 6-8,5 Meter pro Sekunde (also etwa 22 bis 31 Stundenkilometer) und benötigen außerdem Brems- und Haltezeiten. Letztlich sind sie auf der Strecke von der Innenstadt zur Mainau nicht schneller als ein Bus, der durch seine vielen Haltestellen viel kleinräumiger wirkt.

Außerdem ist die rechtliche Seite komplett offen: Die Überfahrtrechte für Privatgrundstücke seien ungeklärt, unklar sei auch die rechtliche Lage beim Bau der Pfeiler. Da habe Konstanz allerdings Glück, denn die nötige Rechtsprechung, die Neuland betreten müsse, sei vom gerade beschlossenen Wuppertaler Seilbahnneubau zu erwarten. Insgesamt solle man mit 20 bis 30 Jahren für Planung und Bau rechnen – und zu den Kosten könne man derzeit noch nichts sagen.

Die Seilbahn, so Hamöller, werde sicher auch in Deutschland als Transportmittel ihren Weg machen, sie müsse aber zur jeweiligen Stadt passen. In Wuppertal etwa mache eine mit anderen Verkehrsmitteln vernetzte Seilbahn durchaus Sinn, weil es dort deutliche Höhenunterschiede zu überwinden gibt, die für Busse ein erhebliches Hindernis darstellen. Unter den speziellen örtlichen Bedingungen Wuppertals hat die Seilbahn demnach einen echten Mehrwert, zumal man dort aufgrund der speziellen Topographie Busse einsparen kann. Für Konstanz, so der unausgesprochene Subtext des Experten, ist sie hingegen schlecht geeignet.

Unsere Wirtschaft unkt und ätzt

Wes Geistes Kind die Verwaltung ist, zeigte sich in der TUA-Sitzung mit erschreckender Deutlichkeit. Als einzigem externem Interessenverband hatte man nämlich überraschend „unserer“ Wirtschaft ein Rederecht eingeräumt. Nein, keinem Umweltverband, auch nicht Pro Bahn oder dem ADFC, keinem Behindertenvertreter, sondern einzig und allein dem örtlichen Einzelhandel.

Für den trat Peter Kolb, Geschäftsführer von Sport Gruner, in die Bütt. Was hatte er zum Verkehr zu sagen? Praktisch nichts. Dafür nützte er die Gelegenheit zu einem Rundumschlag in bester Betonkopf-Manier, dass es selbst einen ideologiefesten Linken erröten ließ. Das Gejammer, das er über die miese Stimmung und Wirtschaftslage in Konstanz erhob, ging durch Mark und Bein. Einleitend schurigelte er erstmal Jörg-Peter Rau vom Südkurier für dessen angeblich standortfeindliche Berichterstattung und sagte ihn vor versammelter Mannschaft in herzhaftester Trump-Manier, wie er, Kolb, aus dieser Sitzung berichtet haben wolle.

Nach diesem hochgradig amüsanten Angriff auf die gedruckte Presse führte Kolb dann aus, dass der sinkende Frankenkurs große Gefahren für die Konstanzer Wirtschaft mit sich bringe. Dass der Boom in Konstanz erst vor einigen Jahren durch einen unerwartet rasanten Anstieg des Franken begann, ließ er unerwähnt. Ebenso vergaß er den Hinweis, dass durch diese Entwicklung der Kreuzlinger Einzelhandel ruiniert wurde. Angesichts der sich abzeichnenden katastrophalen Lage, die in Konstanz viel schlimmer sei als anderswo, brauche man viele auswärtige Premium-Kunden. Durch die hohen Lebenshaltungskosten vor Ort habe der normale Konstanzer nämlich viel zu wenig Geld zum Konsumieren, also müsse der Auswärtige ran. Der aber sei sensibel: Wenn der Schweizer von Abschleppaktionen in Konstanz lese, empfinde er das als Beleidigung und bleibe weg.

Obwohl er darüber klagte, dass aufgrund der miesen Lage in Konstanz die vorhandenen Parkplätze etwa im Lago am Wochenende nicht mehr ausgelastet seien („nur noch 20 Tage mit viel Verkehr im Jahre 2017“), forderte er weitere, längst „überfällige“ Parkplätze in der Stadt. Er sprach sich gegen „Vergrämungsaktionen und Absperrungen“ aus und bat den Gemeinderat, doch den Angestellten des Konstanzer Einzelhandels zu helfen und eine wirtschafts (=auto-) freundliche Verkehrspolitik zu treiben.

Zu Kolbs Auftritt gibt es einfach nichts zu sagen, was nicht schon anderswo letztinstanzlich als Beleidigung verboten worden wäre.

O. Pugliese