Eine saubere Stadt
Vertreibungen sind kein legitimes Mittel, um soziale Probleme zu lösen: Die Stadt Konstanz sollte ihren Umgang mit bettelnden Menschen ändern. Zu diesem Schluß kommt unser Autor, der die moralisch und juristisch fragwürdige Anti-Bettel-Kampagne der Verwaltung unter die Lupe genommen hat.
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Laut der Stadt Konstanz handelt es sich bei „aufdringlichem Betteln“ um eine „öffentliche Belästigung“, die nach der Umweltschutz- und Polizeiverordnung der Stadt Konstanz untersagt ist. Unter einem aufdringlichen Betteln fasst die Verwaltung bereits ein aufdringliches und körpernahes Ansprechen von Personen. (1) Was beispielsweise Greenpeace oder dem ADAC erlaubt ist, gilt bei bettelnden Menschen bereits als verbotene Handlung, welche bestraft wird. Diese Kriminalisierung hat zu einer hohen Anzahl an eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren geführt. Im Jahr 2015 waren es 221 Fälle, 2016 betrug die Zahl 260, ein Jahr später 116. Nicht selten werden Bußgeldstrafen von 100 Euro (zuzüglich Verfahrenskosten) ausgesprochen. Dass einige PolizistInnen das Betteln am liebsten ganz verbieten würden, macht beispielsweise ein SWR-Beitrag vom 14. Oktober 2016 deutlich, in dem der Konstanzer Polizeibeamte Michael Lemke einem um Unterstützung bittenden Bürger erklärt, Betteln sei pauschal verboten, was selbstverständlich nicht der rechtlichen Lage entspricht. (2)
Mit Maßnahmen wie einer erhöhten Kontrolldichte, dem Einsatz des kaum geschulten Kommunalen Ordnungsdienstes gegen bettelnde Menschen, der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsverfahren, der Auflösung von Schlaflagern und einer Plakatkampagne gegen „aggressives Betteln“ will die Verwaltung offensichtlich bettelnde Menschen aus Konstanz vertreiben. Sehr deutlich bringt das der oben genannte SWR-Beitrag auf den Punkt: „Die Polizisten hoffen, dass der Kontrolldruck die Bettelbanden vertreibt“. Auch der Südkurier nennt die städtische Strategie klar beim Namen. So titelte man beispielsweise am 14. Mai 2018: „Der Plan steht fest: So möchte die Stadt Konstanz organisierte Bettelbanden vertreiben“.
Kriminelle Banden?
Vertreibungen und Bestrafungen rechtfertigt die Stadt Konstanz mit der Behauptung, es handele sich um kriminelle Bettelbanden, gegen die man vorgehen müsse. So will Oberbürgermeister Uli Burchardt nicht dulden, „dass [sich] Konstanz […] zu einem Schwerpunkt der organisierten Bettelei“ entwickelt. (3) Bürgeramtsleiterin Anja Risse, die für die Anti-Bettel-Plakatkampagne der Stadt verantwortlich ist, erklärte in einer öffentlichen Stellungnahme: Bettelnde Menschen aus Osteuropa würden „gewissermaßen prostituiert von den dahinterstehenden Banden, die sich durch die Bettler bereichern. Das Geld wird quasi nicht den armen Menschen gegeben, sondern den kriminellen Banden.“
Solche Behauptungen entbehren jeglicher empirischer Grundlage. So stellte selbst der Leiter des hiesigen Landespolizeireviers gegenüber dem Südkurier klar, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für mafiöse Strukturen hinter osteuropäischen Gruppen gibt. Bereits 2012 erklärte der Sprecher der Polizeidirektion Konstanz: „Definitiv können wir nicht sagen, dass eine große Organisation dahinter steht, die alles kassiert“. (4) Da die Stadt wegen zunehmender Kritik langsam in Erklärungsnot kommt, greift sie auf absurdeste Gerüchte zurück. So verwies Bürgeramtsleiterin Risse beispielsweise auf Meldungen aus der Bevölkerung, wonach Bettler aus großen Limousinen ausgestiegen seien. Diese Gerüchte scheinen für sie bereits den Verdacht organisierter Kriminalität nahezulegen. Als gelernte Juristin sollte Risse wissen, dass sich solche waghalsigen Verdächtigungen verbieten, solange stichhaltige Beweise fehlen. (5)
Zieht man zusätzlich noch wissenschaftliche Studien zu dem Thema zu Rate, wird die These von „kriminellen Banden“ noch unglaubwürdiger. So hat die Professorin Erika Geser-Engleitner von der Fachhochschule Vorarlberg 2016 eine Studie über bettelnde Menschen aus Rumänien veröffentlicht, derzufolge es sich bei den Befragten überwiegend um Angehörige von Großfamilien handelt. Ein „Banden-Betteln“ konnte die Professorin bei den Familiengruppen nicht feststellen. Allerdings fand sie heraus, dass 75 Prozent nicht krankenversichert waren. Zusätzlich litt die Mehrheit der Befragten unter akuten oder chronischen Gesundheitsproblemen. Die Stadt will sich solcher sozialen Problemen entledigen. Stetig steigender Kontrolldruck und Diffamierung etwa durch die Plakatkampagne soll für eine „saubere“ Stadt sorgen. Die Vorverurteilung von „kriminellen Banden“ aus Osteuropa, die man los werden müsse, bedient sich zudem der unseligen rassistischen Tradition des Antiziganismus, die zur Ermordung von einer halben Millionen Sinti und Roma in Europa geführt hat.
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Polizeiwillkür an der Tagesordnung
Was die Maßnahmen der Stadt Konstanz für die Menschen auf der Straße bedeutet, möchte ich an zwei persönlichen Begegnungen im letzten Jahr verdeutlichen:
Die erste fand an einem kalten Tag im Dezember statt, als ich den Romni Garbor auf der Markstätte traf. Er bat mich um ein wenig Geld und fragte, ob ich noch eine Hose für ihn hätte. Garbor erzählte, er komme aus Ungarn und lebe mit seiner Frau und zwei Kindern schon längere Zeit in Konstanz. Er leidet unter Herzproblemen, auch eines seiner Kinder benötigt Medikamente. Um sie bezahlen zu können, ist er auf Spenden von Passanten angewiesen. Ihren Schlafplatz hatte die Familie im Stadtpark, bis der von der Polizei aufgelöst wurde. Die Beamten kamen mit einem Müllwagen und warfen seine Decke, Matratze und Schlafsack in den Abfall. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass ihm so etwas passiert ist, berichtete Garbor. Die Polizei nehme ihm regelmäßig das Geld weg, laut seinen Aussagen hat er meist noch nicht einmal eine Quittung dafür bekommen. Garbor hatte sich während unseres Gesprächs bereit erklärt, dass ich es aufzeichne, damit seine Geschichte öffentlich wird.
Sozial schwierige Situationen, wie die von Garbor, werden von der Stadt Konstanz komplett ignoriert oder sogar mit Fehlinformationen beschönigt. So heißt es beispielsweise im städtischen Amtsblatt, dass „grundsätzlich […] in unserer Gesellschaft niemand auf das Betteln für die Existenzsicherung angewiesen“ sei. (6) Angesichts der verheerenden sozialen Situation von Roma in Osteuropa zeugt diese Aussage von tiefer Realitätsverweigerung, Geschichtsvergessenheit und Menschenverachtung.
Ein anderes Erlebnis verdeutlicht die Willkür der Polizei. Am 25. September 2018 erklärten mir zwei Mitarbeiterinnen der Ortspolizei unmissverständlich, sie nähmen „rumänisch aussehenden Bettlern“ das Geld weg, weil sie Bettelbanden angehörten und sich bettelnden Menschen aus Rumänien nicht in Konstanz aufhalten dürften. Aufgrund dieser Aussagen legte ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Ordnungsamt ein, ohne Erfolg. In dem Antwortschreiben heißt es, die Bettlerin gehöre einer bekannten „rumänischen Bande“ an, man habe sie wegen aggressiven Bettelns verwarnt und ihr einen Platzverweis erteilt. Über meine Beschwerde zeigte sich das Bürgeramt Konstanz „sichtlich verwundert“, „da der Sachverhalt für alle Beteiligten […] abschließend und offensichtlich zufriedenstellend behandelt worden war“.
Nach diesen Erlebnissen habe ich versucht, im Gespräch mit BehördenvertreterInnen etwas zu erreichen, leider auch das ohne jeglichen Erfolg. Allerdings führten sie mir noch einmal die restriktive Auslegung des Gesetzes vor Augen. Beispielsweise wurde bereits die Frage „haste mal ne Mark“ oder das Ausstrecken eines Bechers von einigen hohen Verantwortungsträgern als illegitim eingestuft. Das polizeiliche Vorgehen wird offenkundig ohne Wenn und Aber von der Behördenleitung gedeckt. Würde nur eine betroffene Person dagegen klagen, wäre diese juristische Interpretation der Stadt Konstanz vermutlich völlig haltlos. Der Kontrolldruck der Polizei, das fehlende Wissen über unser Rechtssystem und die Sprachbarriere türmen aber Hindernisse auf, die es den Betroffenen kaum möglich machen, den juristischen Weg einzuschlagen.
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Dies alles zeigt, dass man sich schon mal die Frage stellen muss, wo wir in Konstanz angelangt sind: Die Stadt Konstanz vertreibt hilfebedürftige Menschen und legitimiert das mit Behauptungen über kriminelle Strukturen, für die die Stadt seit mehreren Jahren keinerlei Beweise vorlegen kann, und die wissenschaftlich weitgehend widerlegt sind. Immerhin gibt es seit einiger Zeit zunehmend mehr kritische Stimmen von Konstanzer BürgerInnen, die auf der Facebookseite „Aktion gegen den ungestörten Altstadtbummel“ dokumentiert sind.
Jannik Held
Anmerkungen
1 https://www.konstanz.de/site/Konstanz/get/documents_E314691775/konstanz/Dateien/Service/Amtsblatt/2018/Amtsblatt%20Ausgabe%2016%20vom%2008.%20August%202018.pdf
2 https://www.youtube.com/watch?v=w1CzGRS37cM
3 http://www.konstanz.de/rathaus/medienportal/mitteilungen/12448/index.html
4 https://www.suedkurier.de/archiv/region/kreis-konstanz/konstanz/art1360087,5739343
5 https://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Der-Plan-steht-fest-So-moechte-die-Stadt-Konstanz-organisierte-Bettelbanden-vertreiben;art372448,9736278?wt_mc=skwww.skwww.skwww_g_skwww.share_e-mail
6 http://www.konstanz.de/rathaus/08928/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCGfYR,f2ym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A–
Lieber Jannik,
vielen Dank für diesen faktenreichen und wichtigen Beitrag.
Juli 2018 hat die Linke Liste Konstanz eine umfangreiche Anfrage im Gemeinderat zum Thema sogenanntes aggressives Betteln gestellt. Einzelheiten können u. a. hier nachgelesen werden:
https://linke-liste-konstanz.com/eine-welt-ohne-armut/
Schon damals gab es keine „harten“ Beweise für die von der Stadtverwaltung angeordneten Vertreibungen bzw. Platzverweise, die auch „halblegalerweise“ vom Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) ausgesprochen wurden und werden. Diesem Vorgehen muss m. M. n. so schnell wie möglich ein Ende gesetzt werden.
Die Stadt rechtfertigte damals das rüde Vorgehen mit der Behauptung, es gebe kriminelle ausländische „Bettelbanden“, wofür es allerdings nur Indizien gibt, wie Frau Risse damals auf Nachfrage einräumen musste.