Eine ungerechte Welt in Frage stellen
Mehrere hundert Menschen haben in Konstanz auch am vergangenen Samstag wieder gegen Rassismus demonstriert. Die von jungen AktivistInnen der Black-Lives-Matter-Bewegung organisierte Kundgebung geriet erneut zum eindrucksvollen Fanal gegen allgegenwärtige Diskriminierung, die Menschen nichtweißer Hautfarbe erfahren. Besonders im Fokus der Veranstaltung stand Harrison Chukwu, den die Landesregierung abschieben lassen will. Eindrücke.
„Es reicht, nie wieder“
Mit einem Gedanken des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupery gab ein erster Redner, der afrikanische Schauspieler Ramses, gewissermaßen den Takt vor: „Wenn du anders bist als ich, mein Bruder, bereicherst du mich“. Unterschiede zu leben bedeute, die Schönheit der Welt zu leben. Anderssein bedeute, „dass man mutig genug ist, man selbst zu sein.“ Deshalb sei es wichtig, sich zur Unterschiedlichkeit zu bekennen. Stattdessen erlebten viele das Gegenteil: „Herablassende Blicke, wenn wir vorübergehen, abschätzige Worte hinter unserem Rücken, bei Kontrollen werden immer die herausgezogen, die vermeintlich anders sind. Im schlimmsten Fall haben sie nicht einmal Zugang zu bestimmten Orten“. Der Kampf der Black-Lives-Matter-Bewegung, so der Schauspieler, ziele nicht allein darauf, Menschen schwarzer Hautfarbe vor solcher Diskriminierung zu retten, sondern die gesamte Menschheit, weil alle Menschen miteinander verbunden seien „wie eine Kette“. George Floyds Tod sei nun der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es dürfe künftig nicht mehr akzeptiert werden, dass ein winziger Teil der Menschheit sich überlegen fühle und die Macht habe, sich über andere zu erheben und sogar über ihr Leben zu bestimmen. „Zu sterben, weil man anders ist, ist das abscheulichste, was passieren kann“. Die Menschen, die jetzt auf die Straße gingen, signalisierten unüberhörbar: „Es reicht, nie wieder!“ Heute tue sich die historische Chance auf „eine ungerechte Welt in Frage zu stellen.“
„Leid, Schmerz und Blut“
Über den langen und leidvollen Weg der schwarzen Emanzipationsbewegung, die vielerorts immer noch am Anfang steht, referierte eine der Veranstalterinnen. „Skin Color“, dieses von Kolonialmächten aufgeherrschte rassistisches Konstrukt, sei lange auch von Schwarzen Menschen übernommen worden, sodass ihnen die eigene Kultur „negativ, minderwertig und weniger attraktiv“ erschien. Doch auch Gegenbewegungen wie etwa das in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstandene „Black is beautiful“-Feeling hätten sich als „kulturelle und strukturelle Utopie“ entpuppt. Sie machte das am Beispiel von Haartrachten deutlich. Die Frisuren in afrikanischen Gesellschaften waren ein integraler Teil des sozialen Lebens, weil sie den Status ihrer TrägerIn signalisierten. Heute wird dieses Kulturgut, das abzurasieren sich weiße Kolonialisten einst zur Aufgabe gemacht hatten, allzu oft als Ethno-Folklore missbraucht. Doch seien solche Haartrachten eben „nicht nur cool und stylisch, sondern mit Leid, Schmerz und Blut beschmiert“, kritisierte die Rednerin mit Blick auf die Promiszene, wo man sich gern damit schmückt. Im wirklichen Leben gilt immer noch die Regel: „Trägt eine weiße Frau ihre Lieblingsfrisur zum Bewerbungsgespräch, gilt sie als professionell und seriös. Trägt eine schwarze Frau ihre Lieblingsfrisur zum Bewerbungsgespräch, wird das Gespräch in den Kontext Hiphop gestellt, um ihr dann einige Tage später abzusagen.“ Die aufgesetzte „Blackness“ von Leuten wie Shirin David oder Kim Kardashian sei nur ein Mittel, um Geld zu verdienen. „Sie wollen unsere Schönheit, aber nicht unsere Probleme.“ Schwarzen Menschen verweigere der institutionelle Rassismus hingegen systematisch die Möglichkeit, ihre kulturelle Identität zu leben. Ihn immer und überall zu bekämpfen sei deshalb unverzichtbar.
„Den Menschen bleibt nichts“
Den Bogen zu einem aktuellen Fall spannte Doris Künzel vom Café Mondial. Sie gehört zum UnterstützerInnenkreis für Harrison Chukwu, dem Konstanzer mit nigerianischen Wurzeln, der nach zehn Jahren abgeschoben werden soll. Die ehemalige Sozialarbeiterin richtete Grüße des vom Rausschmiss Bedrohten aus, den sein Job an der Teilnahme hinderte, und warb um Unterstützung für eine vom Mondial gestartete Unterschriftensammlung für den in der Stadt bestens integrierten Geflüchteten. Der an den grünen Ministerpräsidenten, seinen CDU-Innenminister und den Konstanzer Oberbürgermeister gerichtete Appell soll der Forderung nach einem Verbleib von Harrison Nachdruck verleihen.
Künzel, die in ihrem Beruf lange Jahre Geflüchtete betreut hat, nutzte die Gelegenheit für eine Abrechnung mit der Politik europäischer Staaten. Für die Flucht vieler Menschen aus Afrika nach Europa gebe es viele Gründe, sagte sie. Einer davon sei die unsägliche Armut der Menschen dort, „von der wir hier in Europa profitieren“. In jedem Smartphone, das wir kaufen, steckt der Rohstoff Coltan aus dem Kongo, in jedem billigen T-Shirt für drei Euro die Baumwolle, geerntet von Namibias Kindersklaven, in jedem Mandelsaft die billig importierten Mandeln aus Burkina-Faso. Die billigen Rohstoffe kommen aus Afrika, verarbeitet werden sie hierzulande, „den Menschen dort bleibt nichts“. Auch diese bittere Wahrheit sei Rassismus und ein neuer Kolonialismus der reichen Länder gegenüber Afrika und den Ländern des Südens.
Nigeria, das Land aus dem Harrison stammt, sei der größte Exporteur von Erdöl auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Konzerne wie Shell, Exon Agip oder Total bedienten sich nicht nur an den reichen Ressourcen des Landes, sondern verursachten zudem schwerste ökologische Schäden. Willfährige Regierungen, die am Leben der Menschen dort kein Interesse haben, lassen Proteste der Bevölkerung gegen diese unmenschlichen Zustände durch Polizei und Militär brutal unterdrücken, wobei überdies hiesige Rüstungskonzerne, derer es gerade am Bodensee viele gibt, vom Einsatz ihrer Waffen profitieren. Das alles werde von unseren Politikern ausgeblendet, „wenn sie über die angeblich so vielen Flüchtlinge klagen, die zu uns kommen“. Diese weltweite Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Ressourcen sei – verschärft durch den Klimawandel zu einer Herausforderung für uns alle geworden, betonte Künzel. „Wir in Europa müssen endlich dafür sorgen, dass die Fluchtursachen und nicht die Geflüchteten bekämpft werden.“
Für Harrison Chukwu stark machte sich auch Mohamed Badawi. Der sudanesische Sprachwissenschaftler, Musiker und seit dieser Legislatur auch Stadtrat der FGL, ist überzeugt: „Konstanz ist Konstanz, weil wir da sind. Konstanz wäre nicht die Stadt, durch die wir täglich gehen und in der wir gemeinsam leben, wenn einer von uns fehlen würde.“
jüg (Fotos: Anna Blank)
Bewundernswert ist das unermüdliche Engagement der Unterstützer*Innen von Harrison Chukwu! Es bleibt zu hoffen,
dass Innenminister Strobl sich seiner christlichen Wurzeln bewusst wird. Was soll das C in der Partei, der er angehört, wenn es nicht zum bloßen Buchstaben verkommen soll?
Kleiner Hörfehler: Es waren die Mangos aus Burkina Faso und nicht die Mandeln. Zu dieser Thematik gibt es einen ausgezeichneten Artikel, erschienen auf seemoz im Juni 2017 mit dem Titel:
Mangos: Ja, Mangosaft: Eher nein!
https://archiv.seemoz.de/internationales/mangos-ja-mangosaft-eher-nein/