„Einmal möchte ich sie auch hören“
Es gibt nicht viele Komponisten, deren Musik stellenweise so schön ist, dass sie schmerzt. Anton Bruckner (1824-1896) gehört definitiv zu diesem auserlesenen Kreis. Seine Motette „Ave Maria“ schwebt über den trüben Wassern des menschlichen Geistes, und bei den Tönen seines „Locus iste“ muss selbst ein Stein sich zu blühen bequemen. Seine V. Sinfonie, ein echtes Meisterwerk, gibt es am Samstag live im Münster zu erleben.
Bruckner? Der große Unbekannte, der Gewöhnungsbedürftige, the missing link zwischen Beethoven und Mahler (während Bruckners Zeitgenosse Brahms, ohne es zu ahnen, die Linie Bach-Schönberg klarmachte)? Ein Spötter hat gar einmal bemerkt, er falle gern auf der Stelle tot um, wenn garantiert sei, dass die Wiener Philharmoniker an seinem Grabe ein Adagio von Bruckner spielten – bei dieser Musik werde er nämlich gleich wiederauferstehen, um endlich ausgiebig Rache an seinen Feinden zu nehmen und danach ins Himmelreich einzukehren.
Trotz solch ehrenvoller Nachreden ging dem kauzigen Meister mit der Attitüde des Provinzlers das Komponieren (wie das Leben selbst) nicht immer leicht von der Hand. Es wird überliefert, er habe nach seinen eigenen Worten seine V. Sinfonie „nicht um 1000 Gulden“ noch einmal schreiben wollen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Musikeranekdoten etwa denselben Wahrheitsanspruch wie Einträge im Poesiealbum haben: Sie wollen vor allem Gefallen erregen.
Ein Stiefkind
Bruckner arbeitete an seiner V. Sinfonie, mit rund 75 Minuten Spieldauer einem echten Schlachtross, wohl zwischen Februar 1875 und Mai 1876 und brachte noch bis 1878 Korrekturen an. Damit entstand die V. etwa zeitgleich mit der I. und II. von Brahms und der IV. von Tschaikowski, doch stand sie lange in deren Schatten. Es war für Bruckner eine äußerlich glückliche Zeit, denn er hatte gerade eine langersehnte Stelle an der Universität erhalten. Er wusste durchaus, wem er dafür zu danken hatte, und widmete seine neue Sinfonie nämlich Karl Ritter von Stremayr (1823-1904), dem damaligen Unterrichtsminister.
Für ihren Schöpfer wurde die V. aber regelrecht zum Stiefkind, denn er konnte sie nie von einem Orchester gespielt hören. Die späte Uraufführung 1894 in Graz, die einzige zu seinen Lebzeiten, konnte er krankheitshalber nicht mehr besuchen – was vielleicht auch ein Glück war, denn der Dirigent der Uraufführung, Franz Schalk, hatte das Werk sehr gründlich „verbessert“, aus dem Finale über 100 Takte gestrichen und in die Instrumentierung eingegriffen. Die „Neue Zeitschrift für Musik“ attestierte Schalks Fassung später „eine kleinliche Furcht vor Dissonanzen“.
Franz Schalk (1863-1931) hatte wie sein Bruder Joseph (1857-1900) bei Bruckner studiert, sich mit ihm befreundet und eine Laufbahn als Berufsmusiker eingeschlagen. Vor allem Franz setzte sich als Dirigent sehr für Bruckners Werk ein, kannte aber keine Gnade, wenn es darum ging, den Brucknerschen Notentext zu verändern und zu kürzen oder im eher unsicheren Bruckner Selbstzweifel zu verstärken, die ihn zu zeitraubenden Umarbeitungen einiger Sinfonien veranlassten. So liegen die Sinfonien I-IV jeweils in mehreren Fassungen von Bruckners Hand vor, während es von der V. allerdings nur eine einzige gibt.
Schalk fertigte zudem zusammen mit dem Dirigenten und zu Lebzeiten berühmten Liedkomponisten Ferdinand Löwe (1865-1925) Bearbeitungen zahlreicher Bruckner-Sinfonien für zwei Klaviere an. Dies ist vermutlich die einzige Fassung, in der Bruckner sein Werk jemals gehört hat. Der Meister selbst versuchte zwar nach der erfolgreichen Uraufführung in Graz, eine „richtige“ Aufführung mit Orchester in Wien zu arrangieren, aber der Plan scheiterte. Sein Wunsch, „einmal möchte ich sie auch hören“, ging damit nicht in Erfüllung, und erst 1935, beinahe vier Jahrzehnte nach Bruckners Tod, erklang das zu diesem Zeitpunkt ziemlich vergessene Stück erstmals in der Originalversion von Bruckner, die sich dann auch auf Anhieb durchsetzte.
Der Hit in den Fußballstadien
Heute ist Bruckner öfter zu hören, und einige Töne aus seiner V. haben leicht abgewandelt eine Popularität gelangt, von der Bruckner nichts ahnen konnte – er starb ein halbes Jahr nach der Gründung des Fußballclubs Hannover 96 und dreieinhalb Jahre vor der Gründung von Bayern München. Zu seiner Zeit war beileibe noch nicht abzusehen, welche Zuschauermassen der Fußball eines Tages anziehen würde. Wenn es heutzutage im Stadion hoch hergeht, erklingen immer wieder Schlachtgesänge nach dem Riff des Songs „Seven Nation Army“ der Band „White Stripes“. Und dieses Riff gleicht – ob dies Jack White, dem Autor des Liedes, nun bewusst gewesen sein mag oder nicht – wie ein Ei dem anderen einem Thema aus Bruckners Sinfonie No. V.
Konzert: Bruckner V. Wer: Südwestdeutsche Philharmonie, am Stab Marcus Bosch. Wo: Münster Konstanz, Münsterplatz, 78462 Konstanz. Wann: Samstag, 14.05.2022 um 19.30 Uhr. Karten: 42, 35, 27, 18 Euro.
Karten für das Konzert sind im Kulturkiosk des Stadttheaters Konstanz (07531 900-2150), bei der Südwestdeutschen Philharmonie (9.00 Uhr bis 12.30 Uhr) und bei der Tourist-Information am Hauptbahnhof sowie in allen Ortsteilverwaltungen erhältlich. Tickets können auch im Internet gekauft und per print@home ausgedruckt werden unter: www.philharmonie-konstanz.de.
Text: Harald Borges, Bild: Der Dirigent Marcus Bosch, fotografiert von Martin Goffing